Stress liegt im Auge des Betrachters: Eine kleine Geschichte der Stressforschung
Der Stressreport 2012 (Lohmann-Haislah 2012), für den über 17.000 abhängig Beschäftigte von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin befragt wurden, zeigt auf einen Blick: Viele Berufstätige sind stark gefordert. Über 40 % der Befragten geben an, bei der Arbeit häufig gestört zu werden, etwa die Hälfte klagt über starken Termin- und Leistungsdruck und fast 60 % sagen, sie müssten häufig verschiedene Arbeiten gleichzeitig erledigen. Aber sind die deutschen Arbeiter und Angestellten deshalb auch gestresst, werden krank und leiden unter Burnout (s. Box 1.1)? Nicht unbedingt. Der Stressreport zeigt nämlich sehr viel geringere Zustimmungswerte für Belastungen an, d. h., auf die Frage, ob Störungen bei der Arbeit belastend seien, antwortet nur ca. jeder Dritte mit Ja. Weniger als 40 % der Befragten fühlen sich durch Termin- und Leistungsdruck belastet und weniger als jeder Fünfte gibt Belastungen durch das gleichzeitige Ausführen mehrerer Arbeiten an.
Während also sehr viele Menschen in dieser und ähnlichen Umfragen angeben, dass ihre Arbeit sie mit einer Reihe von Faktoren konfrontiert, die potenziell belastend sein könnten, berichten sehr viel weniger Menschen, tatsächlich auch davon belastet zu sein. Die meisten können also mit den Anforderungen im Beruf umgehen. Was sind aber die Faktoren, die dazu führen, dass bei objektiv vielleicht gleicher Beanspruchung der eine Mensch krank wird und der andere nicht?
Box 1.1 Was ist eigentlich ein Burnout?
Der Begriff Burnout ist in aller Munde und fast so etwas wie eine Modediagnose geworden. In bestimmten Berufen scheint Burnout auch sozial eher akzeptiert zu sein als z. B. die Diagnose einer Depression. Aber was genau ist eigentlich Burnout? Herbert Freudenberger hat den Ausdruck Burnout 1974 zum ersten Mal verwendet. Weiterentwickelt wurde er von Christine Maslach, die auch maßgeblich zu diesem Thema geforscht hat (Maslach 1982). Freudenberger war Therapeut und Psychiater; er beobachtete bei seinen Patienten aus helfenden Berufen (Lehrer, Krankenpflegepersonal, Sozialarbeiter etc.), dass gerade bei denjenigen, die sich anfänglich sehr in ihrem Beruf engagieren, Gefühle von Resignation und Leere, Erschöpfungszustände und andere psychische und physische Störungen auftreten können. Heute ist man sich darüber einig, dass Burnout auch in anderen Berufen vorkommen kann; so wurde er z. B. häufig bei Managern beschrieben. Burnout ist nach Maslach und Jackson (1981), die die wohl gebräuchlichste Burnoutskala entwickelt haben, ein Syndrom, das aus drei Komponenten besteht: aus emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung und reduzierter persönlicher Leistungsfähigkeit.
• Emotionale Erschöpfung ist das Gefühl der emotionalen Überforderung. Der Betroffene sieht seine emotionalen Ressourcen erschöpft und glaubt, anderen nichts mehr geben zu können. Diese Empfindungen der mangelnden Fähigkeit zu Mitleid und Empathie sind begleitet von Frustrationen und Spannungsgefühlen. Ein häufiges Symptom ist die Angst vor dem nächsten Arbeitstag.
• Depersonalisierung zeigt sich in negativen, zynischenund herzlosen Einstellungen gegenьber den Klienten.Die Klienten werden insgesamt eher als Objekte denn alsPersцnlichkeiten betrachtet und behandelt. Sichtbare Anzeichendieser Komponente sind unpersцnliche Bezeichnungenfьr Patienten (z. B. „der Blinddarm auf Zimmer20“), Rьckzug durch verlдngerte Pausen oder ausgedehntesPlaudern mit Kollegen.
• Reduzierte persцnliche Leistungsfдhigkeit bezeichnet dasGefьhl, die Tдtigkeit nicht mehr lдnger effektiv und verantwortlichausfьhren zu kцnnen. Dabei spielt die negativeSelbstbewertung eine zentrale Rolle, d. h., man gibt dieSchuld nicht der Organisation (die z. B. die Ьberstunden,hohen Klientenzahlen etc. zu verantworten hat), sondernsieht hauptsдchlich das eigene Versagen.