Wie kann man „soziale Identität“ messen?

Wie können wir feststellen, ob die soziale Identität salient, also situativ wichtig, ist? Wie können wir herausfinden, ob Frankfurter-sein, Mann-sein usw. jeweils bedeutsam für die Menschen im Allgemeinen oder in einer bestimmten Situation ist?

In vielen Studien, aber auch in Mitarbeiterbefragungen in Unternehmen bittet man die Beteiligten, sich eine Reihe von Aussagen durchzulesen und diesen dann z. B. auf einer fünfstufigen Skala (mit den Endpunkten „trifft auf mich überhaupt nicht zu“ bzw. „trifft auf mich voll und ganz zu“) zuzustimmen. Es gibt Skalen, die sich eher für Feldstudien eignen, also für Studien, die nicht im Labor, sondern im „Feld“ (z. B. in einem Unternehmen) gemacht werden und die die Teilnehmer in Bezug auf die Identifikation mit ihrer Firma oder ihrem Team befragen. Die am häufigsten eingesetzte Standardskala dazu wurde von den US-amerikanischen Wissenschaftlern Fred Mael und Blake Ashforth (1992) entwickelt. Sie enthält die folgenden Aussagen (wenn Sie sich die Aussagen durchlesen, fragen Sie sich doch selbst einmal, wie sehr Sie ihnen zustimmen würden):

• Wenn jemand meine Firma kritisiert, empfinde ich das als persönliche Kränkung.

• Wenn ich von meinem Unternehmen spreche, rede ich gewöhnlich von „wir“ statt „sie“.

• Ich interessiere mich dafür, was andere über meine Firma denken.

• Ich betrachte die Erfolge meiner Organisation als persönliche Erfolge.

• Wenn jemand mein Unternehmen lobt, empfinde ich das als persönliches Lob.

• Wenn meine Organisation in den Medien kritisiert würde, wäre ich beschämt.

Wie man sieht, wird mit diesen Fragen die längerfristige Bindung an Gruppen erfasst. Anstelle von Firma, Unternehmen oder Organisation kann man auch „mein Team“ oder „meine Abteilung“ einsetzen. Entsprechend kann man ebenso die Berufsgruppe („wenn jemand den Beruf des Lehrers kritisiert…“), das Studienfach oder die Universität, an der man studiert, als Ziel der Identifikation nehmen. Ich werde in diesem Buch aber auch Studien darstellen, in denen sich die Teilnehmer, z. B. bei Laborstudien, noch nicht lange kennen und deshalb nicht wissen können, wie sie „normalerweise“ von der Gruppe sprechen. Für diese Untersuchungen wird daher eine etwas andere Skala von dem niederländischen Psychologen Bertjan Doosje et al. (1995) verwendet:

• Ich identifiziere mich mit dieser Gruppe.

• Ich sehe mich als Mitglied dieser Gruppe an.

• Ich bin froh, in dieser Gruppe zu sein.

• Ich fühle mich den anderen Mitgliedern dieser Gruppe verbunden.

Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Skalen und Fragebögen zur Messung von Identifikation. Einige gehen dabei grafisch vor und fragen die Teilnehmer nach der Überlappung der eigenen Person mit der Gruppe, andere Forscher benutzen lediglich eine einzige Frage („ich identifiziere mich mit meiner Gruppe“) und in manchen Studien wird ausgezählt, wie oft die Teilnehmer tatsächlich „ich“ (bzw. mich, meine etc.) vs. „wir“ (bzw. uns, unser etc.) sagen, wenn sie von ihrer Gruppe oder ihrem Beruf sprechen. Ich selbst habe mit Kollegen ein Verfahren entwickelt, das die Identifikation mit mehreren sog. Foki (z. B. Team, Beruf, Organisation, Abteilung, Netzwerk) gleichzeitig in Form einer Tabelle und in verschiedenen Dimensionen erfassen kann (van Dick et al. 2004). Diese Dimensionen sind das Denken (kognitiv: „Ich sehe mich als Mitglied der Gruppe“), Fühlen (affektiv: „Ich bin gerne Mitglied dieser Gruppe“), Bewerten (evaluativ: „Meine Gruppe wird von anderen positiv bewertet“) und Handeln (behavioral: „Für meine Gruppe engagiere ich mich auch über das notwendige Maß hinaus“).

Postmes et al. (im Druck) schlagen z. B. vor, für kurze Befragungen, in denen man für viele Aussagen wie die obigen keinen Platz hat, nur ein Item zu verwenden, nämlich „Ich identifiziere mich mit [Name der Gruppe]“. Sie bringen empirische Belege dafür, dass diese eine Aussage durchaus valide ist, da genau hiermit die Essenz dessen, was man unter Identifikation versteht, erfasst werden kann. Ähnlich kann man Identifikation auch mit sog. Venn-Diagrammen erfassen, wie dies Bergami und Bagozzi (2000) getan haben. Dabei werden die Befragten gebeten, sich die verschiedenen Kreise in Abb. 2.1 anzusehen, und dann mit den Buchstaben A-H anzugeben, welche Konstellation ihre Beziehung zwischen sich selbst und (beispielsweise) ihrem Unternehmen am besten wiedergibt. Welche Kombination würden Sie selbst wählen? Sehen Sie sich und Ihr Unternehmen oder Team als stark überlappend an oder eher nicht?

Letztlich ist es gleichgültig, welche dieser Verfahren genommen werden; manche eignen sich, wie gesagt, eher für das Feld, andere eher für Laborstudien. Einige sind dann sinnvoll, wenn man mehrfach in einer Längsschnittstudie messen möchte. Längsschnittstudien können über mehre-

Abb. 2.1 Venn-Diagramm zur Erfassung von Identifikation mit der Gruppe

re Tage, Wochen, manchmal sogar Jahre gehen und man fragt in ihnen immer wieder nach den gleichen Konzepten

– in diesem Fall sollten eher kurze Skalen benutzt werden. Wieder andere Verfahren bieten sich an, wenn man sich gleichzeitig für verschiedene Aspekte interessiert. Die Forschung konnte zeigen, dass alle Varianten die Identifikation zuverlässig messen können, d. h., sie unterscheiden gut zwischen solchen Gruppenmitgliedern, die sich stark über ihre Gruppenmitgliedschaft beschreiben, und denjenigen, die dies nur schwach tun oder gar nicht.

Denken Sie einmal an die Gruppen, denen sie selbst angehören, z. B. die Firma, in der Sie arbeiten, oder die Sportmannschaft, die Sie unterstützen. Würden Sie Aussagen wie den oben dargestellten eher stark zustimmen? Ist es wichtig für Sie, dass Sie genau in Ihrem jetzigen Unternehmen Ihr Geld verdienen oder könnte es auch ein beliebiges anderes sein? Machen die Erfolge Ihrer Abteilung Sie selbst stolz? Wenn ja, sind Sie ein stark identifiziertes Mitglied Ihrer Abteilung. Bedeutet dies aber tatsächlich etwas für Ihr Denken, Fühlen und Handeln? Darauf möchte ich im übernächsten Abschnitt eingehen.

 
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