Box 4.1 Was ist ein Mediator?

Mediationsanalysen sind in der Psychologie sehr häufig verwendete Analysen, mit denen man ermitteln kann, ob eine bestimmte Variable (der Mediator) für einen Zusammenhang zwischen zwei anderen Variablen (der abhängigen und der unabhängigen Variablen) verantwortlich ist bzw. zwischen ihnen

„vermittelt“. Um ein einfaches Beispiel zu geben: Wir können untersuchen, ob das Mitleid z. B. der Deutschen mit den betroffenen Menschen in Katastrophengebieten (etwa den Opfern von Hochwassern) in der Mitte der Krise letztlich dazu führt, dass es den Menschen ein Jahr nach Beendigung des Notstands wieder besser geht. Man könnte zu diesem Zweck immer dann, wenn eine verheerende Überflutung auftritt, eine repräsentative Befragung der deutschen Bevölkerung durchführen und darin erfassen, wie viel Mitleid man für die Überschwemmungsopfer empfindet. Ein Jahr später ginge man wiederum in die betroffenen Regionen und würde dort erneut die Menschen nach ihrer Lebenszufriedenheit oder ähnlichen Dingen befragen. Wahrscheinlich würde man nun tatsächlich einen Zusammenhang finden. Aber wie kommt dieser zustande? Was hat eine Anwohnerin der Oder bei einem Hochwasser davon, dass jemand im Münsterland mehr oder weniger Mitleid empfindet? Die Antwort ist ein einfacher Mediator: Geld! Vermutlich führt größeres Mitleid dazu, dass die Menschen höhere Summen spenden; dieses Geld ist dann die Ursache dafür, dass sich „abstraktes“ Mitleid in konkrete Hilfe in der Notsituation und beim Wiederaufbau verwandelt.

Methodisch geht man bei der Mediationsanalyse so vor: Man berechnet zuerst (in einer Regressionsanalyse) den Effekt der unabhängigen Variablen (Identifikation mit der Schule) auf die abhängige Variable (Burnout). Anschließend rechnet man dieselbe Analyse noch einmal, nimmt aber jetzt den Mediator (soziale Unterstützung) gleichzeitig hinzu. Wenn nun soziale Unterstützung (der Mediator) einen Effekt auf Burnout (die abhängige Variable) hat und gleichzeitig der zuerst ermittelte Effekt von Identifikation auf Burnout kleiner wird oder ganz verschwindet, lässt sich daraus ableiten, dass der Mediator sozusagen „verantwortlich“ für diesen Effekt gewesen ist. Man weiЯ dann also, dass Identifikation deshalb hilft, Burnout zu reduzieren, weil sie die Unterstьtzung erhцht. Natьrlich sind die Analysen mancher Studien komplexer; so haben Avanzi und Kollegen (im Druck) auch noch getestet, ob es eine serielle Mediation gibt, d. h., ob Unterstьtzung und Selbstwirksamkeitsьberzeugungen in dieser Reihenfolge gleichzeitig den Zusammenhang zwischen Identifikation und Burnout vermitteln – was sich ebenfalls bestдtigt hat.

Eine ähnliche Mediation wurde in einer kürzlich veröffentlichten Studie von Khan und weiteren Wissenschaftlern getestet (Khan et al. 2014), aber hier ging es um die Identifikation mit einer sehr großen Gruppe, nämlich einer Religionsgemeinschaft. Khan und Kollegen befragten fast 800 Hindus in einer ländlichen Region im Norden Indiens, wie sehr sie sich als Hindus identifizieren, wie sie ihre stressbezogene Selbstwirksamkeit einschätzen, d. h., wie sehr sie glauben, Belastungen bewältigen zu können (z. B. „Wie sehr hatten Sie in der letzten Woche das Gefühl, mit Anforderungen gut umzugehen?“). Außerdem sollten sie ihren allgemeinen Gesundheitszustand beschreiben und angeben, wie häufig sie in der vergangenen Woche unter psychischen (Angst, Ruhelosigkeit, grundloser Ärger) und körperlichen (Atemnot, Herzprobleme, Schmerzen) Krankheitssymptomen gelitten hatten. Für alle drei Indikatoren von Gesundheit bestätigten sich die vermuteten Beziehungen: Identifikation mit der Religion führte zu einer stärkeren Selbstwirksamkeit; diese wiederum erhöhte den Gesundheitszustand und reduzierte die Wahrnehmung körperlicher und psychischer Symptome. Identifikation kann also auch, wenn sie sich auf eine sehr große Gruppe bezieht, eine positive Wirkung auf die Gesundheit haben.

Diese Studien zeigen exemplarisch, wie man Zusammenhänge zwischen Identifikation und Indikatoren von Wohlbefinden ermitteln kann. Michael Riketta (2005) hat viele Einzelstudien zu Identifikation mit der Organisation in einer Metaanalyse zusammengefasst. Für uns interessant ist der Zusammenhang zwischen Identifikation und Arbeitszufriedenheit. Denn dies ist ein Faktor, der einerseits direkt ausdrückt, dass es der Person – zumindest in Bezug auf die Arbeit – gut geht; andererseits weiß man, dass Arbeitszufriedenheit auch indirekt ein wichtiger Faktor für die allgemeine Gesundheit ist (Faragher et al. 2005). Riketta konnte insgesamt 38 Einzelstudien mit über 8000 untersuchten, (meist) befragten Teilnehmern ermitteln und aus diesen einen durchschnittlichen Zusammenhang zwischen Identifikation und Arbeitszufriedenheit von r = 0,54 errechnen. Identifikation hängt also in recht engem Maß mit Zufriedenheit mit der Arbeit zusammen. Allerdings konnte Riketta in der gleichen Analyse, basierend auf sechs Studien mit 1500 Teilnehmern, keine Korrelation zwischen Identifikation und Absentismus ermitteln, was gegen einen einfachen Zusammenhang im Sinne von „mehr Identifikation, weniger Fehlzeiten“ spricht, der in der einen oder anderen Einzelstudie gezeigt werden konnte, aber sich eben im Durchschnitt nicht bestätigen lässt.

Michael Riketta und ich haben außerdem in einer Metaanalyse die unterschiedlichen Zusammenhänge zwischen verschiedenen Kriterien einerseits mit Identifikation mit der Organisation bzw. Identifikation mit dem Team andererseits untersucht. Zu beiden Identifikationsfoki gibt es auch hier keine Zusammenhänge zu Absentismus: Ob jemand zu Hause bleibt oder nicht, wird also offensichtlich nicht linear von der Identifikation beeinflusst. Dies könnte z. B. daran liegen, dass jemand, der mit einem gebrochenen Arm einige Wochen ausfällt, dies auch bei starker Identifikation nicht ändern kann. Es könnte aber auch darin begründet sein, dass die besonders stark identifizierten Arbeitnehmer auch dann zur Arbeit gehen, wenn sie eigentlich krank sind. Dieses Phänomen nennt man Präsentismus; dieser ist natürlich auf Dauer weder für den Arbeitnehmer noch für das Unternehmen gut. Riketta und Van Dick (2005) konnten wiederum Zusammenhänge zu Zufriedenheit zeigen, und zwar sind diejenigen, die sich stark mit dem Unternehmen identifizieren, auch allgemein zufriedener, während eine starke Identifikation mit dem Team besonders deutlich mit der Zufriedenheit mit den Kollegen korreliert.

Schließlich haben wir uns in einer aktuellen Metaanalyse (Steffens et al. in Vorb.) speziell dem Zusammenhang zwischen Identifikation und Wohlbefinden gewidmet. In 63 Studien mit über 16.000 Teilnehmern konnte ein eindeutig positiver Zusammenhang zwischen Identifikation mit dem Unternehmen und psychischem und physischem Wohlbefinden (r = 0,23) ermittelt werden. Ebenso belegen weitere 29 Studien mit fast 6000 Teilnehmern einen positiven Zusammenhang in gleicher Größenordnung (r = 0,21) zwischen Identifikation mit der Arbeitsgruppe und Wohlbefinden. In das Kriterium Wohlbefinden gingen aus den Einzelstudien ganz verschiedene Indikatoren ein, von Burnout, Zufriedenheit bis hin zu körperlichen Symptomen usw. Die Zusammenhänge zwischen Identifikation und Wohlbefinden waren dabei für psychisches Wohlbefinden etwas enger als für physische Parameter von Gesundheit bzw. Krankheit. Wir werden später im Buch auch auf potenziell problematische Aspekte von (zu starker) Identifikation eingehen.

Aber bereits an dieser Stelle möchte ich festhalten, dass die Metaanalysen mit den Durchschnittswerten von dutzenden Studien und tausenden Studienteilnehmern eindeutig positive Zusammenhänge zwischen Identifikation und Gesundheit zeigen. Im Durchschnitt geht man also kein Risiko ein, wenn man sich als Angestellter mit seinem Unternehmen identifiziert oder ein Teamleiter versucht, die Identifikation seiner Mitarbeiter bspw. durch ein Teambuilding zu steigern. Allerdings können auch Metaanalysen mit noch so vielen Studien nicht das Problem der Einzelstudien lösen, nämlich dass sie die Frage der Kausalität nicht beantworten können. Eine Korrelation ist lediglich ein Zusammenhang – er kann von Variable A nach Variable B gehen (Identifikation beeinflusst Stress positiv), kann auch umgekehrt von B nach A gehen (die weniger Gestressten haben mehr Zeit für Identifikation) oder beide Variablen können von einer dritten Variablen C (Alter, Geschlecht, Branche…) beeinflusst sein und in Wirklichkeit ist der Zusammenhang gar nicht da. Zur Beantwortung der Frage nach Ursache und Wirkung müssen Experimente durchgeführt werden und einige dieser Experimente werden wir später auch beschreiben. Doch kommen wir zunächst gleich im folgenden Kapitel zu unseren Bombenentschärfern und einem Test, ob die erste Bewertung (das primary appraisal) durch die Identität beeinflusst wird.

Literatur

Avanzi, L., Schuh, S., Fraccaroli, F., & Van Dick, R. (in press). Why does organizational identification relate to reduced employee burnout? The mediating influence of social support and collective efficacy. Work & Stress.

Bizumic, B., Reynolds, K. J., Turner, J. C., Bromhead, D., & Subasic, E. (2009). The role of the group in individual functioning: School identification and the psychological well-being of staff and students. Applied Psychology: An International Review, 58, 171–192.

Van Dick, R., & Wagner, U. (2002). Social identification among school teachers: Dimensions, foci, and correlates. European Journal of Work and Organizational Psychology, 11, 129–149.

Van Dick, R., Wagner, U., & Lemmer, G. (2004). The winds of change. Multiple identifications in the case of organizational mergers. European Journal of Work and Organizational Psychology, 13, 121–138.

Faragher, E. B., Cass, M., & Cooper, C. L. (2005). The relationship between job satisfaction and health: A meta-analysis. Occupational and Environmental Medicine, 62, 105–112.

Khan, S. S., Hopkins, N., Tewari, S., Srinivasan, N., Reicher, S. D.,

& Ozakinci, G. (2014). Efficacy and well-being in rural north India: The role of social identification with a large-scale community identity. European Journal of Social Psychology, 44, 787–798. Riketta, M. (2005). Organizational identification: A meta-analysis.

Journal of Vocational Behavior, 66, 358–384.

Riketta, M., & Van Dick, R. (2005). Foci of attachment in organizations: A meta-analysis comparison of the strength and correlates of work-group versus organizational commitment and identification. Journal of Vocational Behavior, 67, 490–510.

Steffens, N. K., Haslam, S. A., Schuh, S. C., Jetten, J., & Van Dick,

R. (in prep.). A meta-analytic review of social identification and health in organizational contexts.

Wegge, J., Van Dick, R., Fisher, G. K., Wecking, C., & Moltzen,

K. (2006). Work motivation, organizational identification, and well-being in call centre work. Work and Stress, 20, 60–83.

 
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