Im Praxistest: Die Rolle von Identifikation bei Älteren, Kranken oder Unfallopfern

Bislang haben wir viele Studien vorgestellt, die unsere Hypothesen unterstützen und die entweder im Labor, meist mit studentischen Probanden, relativ kurzfristige positive Effekte von Identifikation aufzeigen oder die im Feld positive Zusammenhänge zwischen Identifikation und ganz verschiedenen Indikatoren von Gesundheit und Wohlbefinden erkennen ließen. In diesen Feldstudien wurden aber immer gesunde Teilnehmer untersucht. Daher wollen wir nun auf einige Studien eingehen, die die Rolle von Identifikation in Kontexten untersuchten, in denen es um die Verarbeitung von Krankheiten oder Unfällen oder die Integration älterer Menschen ging.

In Kap. 5 hatten wir Ihnen die Studie mit den Bombenentschärfern und Restaurantbedienungen von Haslam et al. (2005) vorgestellt. In der Gesamtgruppe bestätigte sich die Mediationshypothese, nämlich dass stärkere Identifikation mit der jeweiligen Berufsgruppe zu mehr sozialer Unterstützung und diese wiederum zu weniger Stress führt. Haslam und Kollegen konnten diese Mediationskette auch noch in einer weiteren Studie bestätigen. Dazu befragten sie 34 Patienten wenige Tage nach einer Herzoperation – noch im Krankenhaus, aber nach Überstehen der kritischen (Intensiv-)phase. Herzoperationen sind mit relativ starken Risiken behaftet, sodass man davon ausgehen kann, dass Herzpatienten besonderem Stress ausgesetzt sind. Die Patienten wurden nach ihrer Identifikation mit dem Freundeskreis und der Familie sowie der Unterstützung aus diesen Gruppen während des Klinikaufenthaltes gefragt. Außerdem fragten Haslam und Kollegen nach ihrem subjektiven Wohlbefinden bzw. Stresslevel. Auch hier ergibt sich, dass die Patienten, die sich stärker identifizieren, von mehr sozialer Unterstützung berichten; diese wiederum senkt den Stress nach der Herz-OP. Stärker identifizierte Patienten fühlten sich weniger gestresst, sie beurteilten ihr Leben im Allgemeinen besser, waren selbstbewusster und zufriedener mit dem Krankenhaus.

Jones et al. (2012) untersuchten zwei Gruppen von Patienten, die sich entweder am Arm bzw. an der Schulter verletzt oder durch einen Unfall eine Hirnverletzung erlitten hatten. Insgesamt wurden 93 Personen zwei Wochen nach der Verletzung und drei Monate später nach ihrem allgemeinen Gesundheitszustand, nach ihrer sozialen Eingebundenheit und nach Symptomen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTSD) befragt. Bei der sozialen Eingebundenheit wurde nach einer Reihe von Dingen gefragt; besonders interessant ist hier das Maß an neu gebildeten Gruppenmitgliedschaften. Hierauf zielten Aussagen wie „Seit dem Unfall habe ich Hilfe von Personen aus einer oder mehreren neuen Gruppen bekommen“ oder „Seit dem Unfall bin ich in einer oder mehreren neuen Gruppen aktiv geworden“. Posttraumatische Belastungsstörungen wurden mithilfe von 10 Fragen zu körperlichen oder psychischen Problemen durch den Unfall erfasst. Die Auswertung zeigte einen klaren Zusammenhang zwischen neuen Gruppenmitgliedschaften zu Beginn der Untersuchung und geringeren PTSD-Werten nach drei Monaten. Das bedeutet, dass Menschen nach schlimmen Ereignissen davon profitieren, wenn sie sich sozial nicht zurückziehen, sondern im Gegenteil neue Gruppenmitgliedschaften aufbauen. Dies können z. B. Selbsthilfegruppen sein oder es ergeben sich wieder engere Bindungen an Gruppen wie Nachbarschaft oder Bekanntenkreise, die man vielleicht vor dem Ereignis aus den Augen verloren hatte.

An zwei weiteren Beispielen aus eigenen Studien möchte ich die Wichtigkeit dieser beiden Gruppen – Selbsthilfegruppen und Familien- und Bekanntenkreis – verdeutlichen. Die erste Studie führte ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen Katharina Schmidt, Lutz Vogt und Winfried Banzer (Schmidt et al. 2015) von der Abteilung Sportmedizin an der Universität Frankfurt durch. Insgesamt 41 Krebspatienten (davon 34 Frauen) wurden von der Abteilung für Sportmedizin eingeladen, sich betreuten Sportgruppen anzuschließen, die sich dann z. B. einmal in der Woche zum gemeinsamen Joggen trafen. Nach einigen Monaten befragten wir die Teilnehmer dieser Gruppen nach ihrer Identifikation und ihrem Gesundheitszustand. Dabei konnten wir sehr enge Zusammenhänge ermitteln zwischen dem Ausmaß an Identifikation und Aussagen darüber, wie stark man sich von der Gruppe unterstützt fühlt und wie sehr man in der Gruppe das Gefühl hat, gemeinsam Probleme zu bewältigen; unmittelbar damit verbunden sind auch, wie sich zeigte, die selbsteingeschätzte Lebensqualität und physische Leistungsfähigkeit. Das bedeutet, dass es gut ist, sich solchen Sportgruppen anzuschließen, denn sonst hätte man gar nicht erst die Möglichkeit, entsprechende Unterstützung von diesen neuen „Leidensgenossen“ zu erhalten; dabei kommt es aber auch innerhalb dieser Gruppen wiederum darauf an, wie stark man sich mit ihnen identifizieren kann.

In der zweiten Studie gemeinsam mit Wissenschaftlern der medizinischen Hochschule Hannover (Goldschmidt et al. 2015) haben wir 93 Personen befragt, die zuvor als potenzielle Leberspender für leberkranke Kinder (meistens, aber nicht in allen Fällen die Kinder der potenziellen Spender) evaluiert wurden (Evaluation heißt in diesem Kontext, dass untersucht wurde, ob die Personen aufgrund der medizinischen Parameter für die Spende infrage kommen). Wie man sich vorstellen kann, ist dies für alle Beteiligten eine belastende Situation. Die Operation, bei der den erwachsenen Spendern ein Teil der Leber entfernt wird, ist kompliziert und wie jeder Eingriff nicht ohne Risiken. Gleichzeitig möchte man natürlich alles tun, um dem kranken Kind durch die Spende die Chance auf ein neues Leben zu ermöglichen. In unseren Analysen der Fragebogendaten fanden wir, dass die Spender ihre Lebensqualität umso positiver einschätzten, je mehr sie von Zusammenhalt und Unterstützung in der Familie berichteten.

In weiteren Auswertungen haben wir uns außerdem angesehen, ob die Identifikation mit der Familie auch mit den medizinischen Werten der Kinder zusammenhängt. Dabei fanden wir, dass bei Kindern, deren Leber- und Nierenfunktionswerte besser waren, auch die Identifikation der Familien stärker war. Diese Befunde lassen sich kausal nicht eindeutig interpretieren: Es wäre einerseits plausibel, dass sich die Identifikation und daraus ergebende Unterstützung positiv auf die Gesundheit der Kinder auswirkt. Es ist aber auch denkbar, dass Familien, deren Kinder etwas weniger krank sind, auch weniger unter diesen – teilweise lang andauernden und sehr stark lebenseinschränkenden – Krankheiten leiden und sich deshalb etwas stärker identifizieren können. Um die Kausalität zu klären, benötigt man Experimente wie diejenigen, die wir in Kap. 7 dargestellt haben. Selbstverständlich verbieten sich Experimente mit kranken Kindern; vielmehr muss man im Labor mit Stichproben mit Gesunden und natürlich mit harmlosen Stressaufgaben arbeiten. Im Folgenden werden wir aber noch einige weitere Studien mit „echten Menschen“ beschreiben, die teilweise mit experimentell variierten Veränderungen gezeigt haben, wie wichtig Identifikation und Gruppenmitgliedschaften sein können.

In einer weiteren Studie mit 630 Patienten nach Hirnverletzungen untersuchten Jones et al. (2011) den Zusammenhang zwischen der Schwere der Verletzung und der Lebensqualität der Betroffenen. Die Schwere der Verletzung wurde über die durchschnittliche Dauer, die die Patienten direkt nach der Verletzung im Koma verbrachten, gemessen. 20 % der Patienten waren gar nicht im Koma gelegen, 28 % länger als zwei Wochen, die übrigen Patienten zwischen einem und 14 Tagen. Die Lebensqualität wurde über eine Aussage der Patienten zu ihrer allgemeinen Lebenszufriedenheit erfasst. Diese lag mit einem Durchschnitt von etwas über vier auf einer siebenstufigen Skala (von 1 = sehr unzufrieden bis 7 = sehr zufrieden) im eher zufriedenen Bereich. Jones und ihre Kollegen fanden einen positiven Zusammenhang zwischen der Schwere der Verletzung und der Zufriedenheit, d. h., die Patienten waren mit ihrem Leben umso zufriedener, je länger sie im Koma gewesen waren. Diesen zunächst doch sehr überraschenden Befund konnten die Wissenschaftler aber aufklären. Die Patienten waren nämlich zusätzlich nach ihrer Identität und ihrem sozialen Netzwerk gefragt worden. Die Identifikation wurde, anders als in den meisten sonstigen Studien, nicht direkt in Bezug auf eine Gruppe gemessen, sondern unter dem Aspekt, wie die Patienten sich selbst in Hinblick auf ihre Verletzung sahen; ermittelt wurde dies mithilfe der beiden Aussagen „Meine Hirnverletzung hat mich stärker gemacht“ und „Ich sehe mich selbst als jemand, der eine Hirnverletzung überlebt hat“. Außerdem wurden die Patienten gebeten, aus einer Reihe von Beziehungen (zu Ehepartnern, Familie, Freunden, Arbeitgeber, Arbeitskollegen) alle diejenigen auszuwählen, die sich nach der Verletzung verbessert hatten. Zuletzt sollten sie noch für verschiedene mögliche Unterstützungsquellen (z. B. Gesundheitsdienst, Sozialdienst, Polizei) angeben, von welchen sie nach der Verletzung tatsächlich Unterstützung erfahren hatten.

Es fanden sich sowohl positive Zusammenhänge zwischen der Schwere der Verletzung und allen Maßen der Identität und des Netzwerks als auch positive Zusammenhänge zwischen Identität und Netzwerken mit der Lebenszufriedenheit. Anschließende Mediationsanalysen bestätigten die Vermutungen der Wissenschaftler: Je gravierender die Verletzung war, umso mehr identifizierten sich die Patienten als Überlebende ihres Traumas und umso mehr Unterstützung bekamen sie; diese Tatsache war verantwortlich dafür, dass sie auch zufriedener mit ihrem Leben waren. Natürlich kann man niemanden eine besonders schwere Verletzung wünschen – aber die Ergebnisse dieser Studie zeigen, wie wichtig es ist, dass Patienten sich selbst auch als Patienten sehen, denn dies scheint ihnen zu helfen, mit den Folgen des Unfalls besser umzugehen. Außerdem ist diese Identifikation mit sich selbst als jemand, der eine schwerwiegende Verletzung überlebt hat, wichtig für die Verbesserung der sozialen Beziehungen und für die Aktivierung von sozialer Unterstützung – und wenn man diese erhält, ist man zufriedener, selbst bei einer erheblichen Verletzung. In einer Studie von Catherine Haslam und Kollegen (2008) ging es ebenfalls um den Zusammenhang zwischen Identität und der Gesundung nach Schlaganfällen. Sie untersuchten 53 Patienten, die im Durchschnitt acht Monate vor der Untersuchung einen Schlaganfall erlitten hatten.

Zuerst sollten die Patienten alle Gruppen nennen, denen sie vor dem Schlaganfall angehört hatten, sowie alle Gruppen, denen sie zum Zeitpunkt der Untersuchung angehörten. Danach wurden sie gefragt, wie gut sie die Beziehungen zu den Gruppen vor dem Schlaganfall aufrechthalten konnten. Weitere Fragen betrafen die Lebenszufriedenheit und den Stress der Patienten. Schließlich wurde ihre Leistungsfähigkeit gemessen, und zwar über selbsteingeschätzte Fehler auf einer Liste von 25 Dingen, die man im Alltag falsch machen kann (z. B. „Ich übersehe Hinweisschilder auf der Straße“ oder „Ich finde Artikel im Supermarkt nicht, obwohl es sie dort gibt“). Je mehr Fehler im Alltag gemacht wurden, umso mehr berichteten die Patienten von Stress und umso weniger zufrieden waren sie mit ihrem Leben. Stress und Lebenszufriedenheit wiederum wurden von den Identitätsfaktoren vorhergesagt: Die Patienten, die vor dem Schlaganfall Mitglied in vielen Gruppen waren und die diese Gruppenmitgliedschaften aufrechterhalten konnten, waren zufriedener und fühlten sich weniger gestresst als diejenigen, die vor dem Schlaganfall entweder nur einer kleineren Zahl von Gruppen angehörten oder die nach dem Anfall nicht mehr Teil dieser Gruppen waren.

Catherine und Alex Haslam und ihre Kollegen haben sich außerdem in einer Reihe von Studien angesehen, welche Rolle die Identifikation bei Bewohnern von Heimen für ältere Menschen spielt (2014a). Haslam et al. (2014b) haben 36 Bewohner mit einem Durchschnittsalter von 86 Jahren aus unterschiedlichen Altenheimen in drei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe diente als Kontrollgruppe, bei der nichts verändert wurde. Bei einer zweiten Gruppe wurden die gemeinschaftlich genutzten Aufenthaltsbereiche renoviert und die Heimbewohner selbst konnten entscheiden,

Abb. 12.1 Veränderungen bei Identifikation und Zufriedenheit bei Heimbewohnern

wie und was renoviert wurde. Dazu trafen sie sich mehrfach in Gruppen und diskutierten Farben, Möblierung usw. In der dritten Gruppe wurden die Aufenthaltsräume ebenfalls renoviert – aber hier trafen die Mitarbeiter und nicht die Bewohner alle Entscheidungen. Sowohl vor als auch nach der Renovierung wurden in allen drei Gruppen verschiedene Tests der kognitiven Leistungsfähigkeit (Wortschatzaufgaben, Rechenaufgaben usw.) durchgeführt und die Bewohner außerdem nach ihrer Identifikation mit dem Heim und den anderen Bewohnern und nach ihrer Zufriedenheit gefragt. Abb. 12.1 zeigt die Ergebnisse für die Identifikation und die Zufriedenheit mit dem Heim.

Wie zu sehen, gab es zu Beginn der Studie weder für die Identifikation noch für die Zufriedenheit substanzielle Unterschiede. Bei den zweiten Messungen veränderten

Abb. 12.2 Veränderungen in der Leistungsfähigkeit der Heimbewohner

sich die Werte in der Kontrollgruppe ohne Renovierungen ebenfalls kaum. Deutliche Veränderungen gab es nach der Renovierung in den beiden anderen Gruppen – es stiegen sowohl die Identifikation als auch die Zufriedenheit an. Wie die Abb. 12.1 belegt, gilt dies aber ganz besonders für die Altenheimbewohner, die selbst über die Renovierung entscheiden durften. Die Tatsache, dass sie sich mehrmals in Gruppen getroffen hatten und gemeinsam ein Projekt verfolgten, hatte offensichtlich einen klaren, positiven Effekt.

Abbildung 12.2 zeigt darüber hinaus, dass dieser Effekt sich auch auf die Leistungsfähigkeit auswirkte: In der Kontrollbedingung sank die Leistung der Heimbewohner in den Rechen- und Sprachtests ab – in dieser Altersgruppe ist eine Verschlechterung der kognitiven Fähigkeiten in einem Zeitraum von einigen Monaten durchaus nicht ungewöhnlich. In der Renovierungsbedingung ohne eigene Entscheidungsmöglichkeit veränderte sich die Leistung nicht und in der Bedingung, in der die Bewohner selbst die Entscheidungen treffen konnten, stieg die Leistungsfähigkeit deutlich an. Auch in dieser Studie zeigten anschließende Mediationsanalysen, dass die stärkere Identifikation mit dem Heim und den Bewohnern der entscheidende Prozessfaktor ist, der die positiven Veränderungen erklären kann, d. h., die Gruppendiskussionen erhöhten die Identifikation und diese trug zur verbesserten Leistung bei.

Die Ergebnisse dieser Studie wurden in einer weiteren, ähnlichen Studie von Knight et al. (2010) bestätigt. Hier wurden 27 Heimbewohner kurz vor dem Umzug in eine neue Einrichtung in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe zog „nur“ um, die zweite Gruppe konnte wieder selbst in Gruppen entscheiden, wie die neuen Flure gestrichen und eingerichtet werden sollten. Auch hier zeigte die zweite Gruppe über einen Zeitraum von fünf Monaten deutliche Verbesserungen in ihrer Identifikation und sie benutzte auch die Gemeinschaftsräume häufiger als die Heimbewohner in der ersten Gruppe.

Sich in Gruppen der Raumgestaltung von Altenheimen zu widmen, fördert also – das zeigen die obigen Studien eindrucksvoll – die Identität und den sozialen Zusammenhalt unter den älteren Menschen und trägt so zu ihrem Wohlbefinden bei. Zum Schluss dieses Kapitels möchte ich noch auf zwei Studien eingehen, die Ilka Gleibs von der Universität Surrey mit ihren Kollegen ebenfalls mit Altenheimbewohnern durchgeführt hat. Diesmal ging es aber nicht um die Raumgestaltung. In der ersten Studie (Gleibs et al. 2011a) widmeten sich Gleibs und Kollegen dem Thema Wasser. Ältere Menschen, auch in Altenheimen, trinken häufig viel zu wenig, da man mit zunehmendem Alter weniger Durst empfindet und der Körper Wasser weniger gut speichern kann. Dies ist ein großes Problem, weil es durch die Dehydrierung zu leichten Schwindelanfällen kommen kann, die wiederum das Risiko für Stürze erhöhen. In englischen Heimen wurden daher vor einigen Jahren sog. Wasserklubs eingeführt, in denen sich die Älteren treffen und sich über das Thema informieren und austauschen können. Auch wenn es nur wenig Forschung zur Evaluation dieser Klubs gibt, scheinen sie positive Effekte zu haben: Die Teilnehmer trinken tatsächlich mehr, stürzen seltener und berichten über bessere Gesundheit (s. BBC 2008).

Gleibs und Kollegen sind nun der Frage nachgegangen, ob es tatsächlich die Informationen zum Thema Wasser und das geänderte Trinkverhalten sind, die diese Effekte auslösen, oder ob es nicht vielmehr die Tatsache ist, dass die Heimbewohner etwas gemeinsam mit anderen unternehmen. 66 Bewohner mehrerer Altenheime wurden dazu per Zufall in vier Gruppen eingeteilt. Die erste Bedingung war eine Kontrollgruppe, bei der zweimal ohne jede Intervention gemessen wurde und in der die Teilnehmer gar nicht in Gruppen, sondern einzeln acht Wochen lang jeweils einmal pro Woche für eine halbe Stunde von einer Wissenschaftlerin aufgesucht wurden, die sich mit ihnen über aktuelle Themen des Heims und des alltäglichen Lebens unterhielt. In der zweiten Gruppe, dem Diskussionsklub, trafen sich die Teilnehmer tatsächlich in Gruppen, wieder für acht Wochen einmal pro Woche für eine halbe Stunde, um über aktuelle Themen zu sprechen. Dabei wurden die Gruppen von einem Moderator angeleitet. In der nächsten Bedingung, dem Wasserklub, trafen sich die Teilnehmer über den gleichen Zeitraum in Gruppen und wurden von einem Moderator über das Thema Wasser informiert; sie diskutierten gemeinsam und veranstalteten kleine Fragespiele rund um das Wissensgebiet Wasser. Dabei wurde ihnen besonders nahegelegt, täglich 8–10 Gläser Wasser zu trinken und ihr Trinkverhalten zu notieren. In der letzten, der Nur-WasserBedingung, gab es die gleichen Informationen, die die Senioren in den Einzeltreffen von einer Wissenschaftlerin erhielten. Sowohl in der Nur-Wasserals auch in der Wasserklub-Bedingung wurden außerdem Wasserspender für die Einzel- und Gemeinschaftsräume zur Verfügung gestellt.

Bei allen Teilnehmern wurden mit einem Fragebogen vor und nach der achtwöchigen Maßnahme die Identifikation mit dem Heim, die soziale Unterstützung und die Lebensqualität gemessen. Außerdem wurde jeweils zwölf Wochen vor und nach der Maßnahme die Zahl der Arztbesuche erfasst. Gleibs und Kollegen schauten sich dann an, bei wie vielen der Teilnehmer in den vier Bedingungen sich im Vergleich zu den ersten Messungen die Werte verbessert, verschlechtert bzw. nicht verändert hatten. Die Forscher nahmen an, dass sich die Teilnehmer der Klubbedingungen mehr verbessern würden als die in den Einzelbedingungen, weil nur in den ersteren die gemeinsame Identität mit den anderen Bewohnern gefördert wird. Genau dies bestätigten die Analysen: Vor allem nahmen in den beiden Gruppenbedingungen die Wahrnehmung von sozialer Unterstützung zu und die Arztbesuche ab. Weitere Analysen (unsere Freundin, die Mediationsanalyse!) zeigten, dass die größere soziale Unterstützung zu mehr Identifikation führt und diese zu besserem Wohlbefinden beiträgt. Die Studie belegt also, dass es tatsächlich nicht die Informationen sind, die den Unterschied machen, sondern die gemeinsame Aktivität! In der letzten Studie dieses Kapitels untersuchten Gleibs et al. (2011) wiederum Altenheimbewohner. Verglichen mit Frauen scheint es im Alter besonders den Männern schwer zu fallen, sich soziale Netze aufzubauen. Zum einen lernen Frauen schon als Mädchen mehr als Jungen, dass sie sich um soziale Kontakte kümmern sollen, zum anderen gibt es einfach weniger ältere Männer, die sich in (gleichgeschlechtlichen) Gruppen zusammentun können. Gleibs und Kollegen hielten aber diese Unterschiede nicht für gottgegeben, sondern gingen davon aus, dass selbst im höheren Alter Männer noch Gruppen bilden und von ihnen profitieren können. Sie untersuchten 26 Teilnehmer, die gebeten wurden, sich in gleichgeschlechtlichen Gruppen (Ladies' bzw. Gentlemen's Clubs) alle zwei Wochen zu treffen, um gemeinsam etwas zu unternehmen (z. B. Museumsbesuche, gemeinsame Essen, Filmnachmittage). Vier Wochen vor den ersten Gruppentreffen und zwölf Wochen später wurden die Identifikation mit den Gruppen, die Lebenszufriedenheit, Ängstlichkeit und Depressivität mit Fragebögen sowie die kognitive Leistungsfähigkeit mit kleinen Aufgaben gemessen. Bei den Frauen zeigte sich zwischen den beiden Messzeitpunkten kaum eine Veränderung – lediglich ihre kognitive Leistungsfähigkeit verbesserte sich in den zwölf Wochen. Bei den Männern ergaben sich dagegen durchgängig Verbesserungen. Während die Männer zum ersten Messzeitpunkt in allen Bereichen schlechtere Werte erzielten, unterschieden sie sich zum Ende der Studie nicht

Abb. 12.3 Veränderungen der männlichen Heimbewohner

mehr von den Frauen. Abb. 12.3 zeigt die Veränderungen nur für die Männer. Wie man sieht, stiegen ihre Identifikation und Zufriedenheit deutlich an, während sich ihre Ängstlichkeit und Depressivität stark verringerten. Es zahlt sich also aus, vor allem für Männer, die hier offensichtlich stärkeren Bedarf haben, sich in Gruppen zu beteiligen!

Dass Identifikation sogar bei der Verarbeitung von Umweltkatastrophen helfen kann, belegt eine aktuelle Studie von Inoue et al. (2015). 2011 erlebte Japan das schwerste Erdbeben in seiner Geschichte. Das Beben und der damit verbundene Tsunami rissen über 20.000 Menschen in den Tod und lösten den Super-GAU im Atomkraftwerk Fukushima aus. Kurz nach dieser Katastrophe untersuchten Inoue und seine Kollegen die Identifikation von Besuchern von Fußballspielen in der betroffenen Region Japans. Dabei konnten sie zeigen, dass eine starke Identifikation mit der Heimmannschaft mit einem stärkeren Gefühl des Zusammenhalts der lokalen Gesellschaft verbunden war – die Autoren sehen diesen Zusammenhalt als einen Indikator für Wohlbefinden. Der Zusammenhang zwischen der Identifikation mit der Fußballmannschaft und dem Zusammenhalt in der Gesellschaft wurde wiederum vermittelt durch eine stärkere emotionale Unterstützung (z. B. Trost und Aufmunterung), die man von anderen Anhängern der Mannschaft bekam. Dagegen war instrumentelle Unterstützung (Rat, Geld, konkrete Hilfe) zwar mit dem Zusammenhalt in der Gesellschaft verbunden, aber nicht mit der Teamidentifikation – das bedeutet, dass Identifikation ihre positive Wirkung in diesem Kontext vor allem entfaltet, weil man sich gegenseitig Trost spendet und in der schweren Zeit beisteht, und nicht unbedingt, weil man tatsächlich praktisch unterstützt wird.

Insgesamt haben die verschiedenen Studien in diesem Kapitel gezeigt, dass es sich nicht nur lohnt, aktiv zu sein (z. B. Sport zu treiben, Wasser zu trinken oder Räume zu renovieren), sondern es sich sogar besonders auszahlt, diese Aktivitäten in Gruppen zu betreiben. Gerade in schweren Zeiten, nach Schlaganfällen, Krebserkrankungen, Hirnverletzungen oder im Alter ist es offensichtlich der Zusammenhalt in Gruppen, der einem über viele Probleme – selbst bei Katastrophen – hinweghelfen kann.

 
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