Was raten der Arzt, der Apotheker oder der Psychologe? Tipps für die Stärkung von Identität

Sie sind Führungskraft?

Als Führungskraft haben Sie eine Reihe von Möglichkeiten, eine Teamidentität zu formen, zu stabilisieren oder zu verbessern. In diesem Abschnitt werde ich zunächst aufzeigen, dass Führungskräfte in ihrer Identifikation mit gutem Beispiel vorangehen und dadurch sehr positive Effekte erzielen können. Anschließend werde ich auf das Thema Teamarbeit insgesamt etwas näher eingehen und schließlich einige Beispiele geben, wie man die Identität von Teams stärken kann.

Das Identitätstransfermodell oder: Stinkt der Fisch vom Kopf?

Führungskräfte sollten sich immer bewusst sein, dass sie für ihre Mitarbeiter jederzeit Vorbild sind. In der Einschätzung der Führungskraft ist das eigene Verhalten oft viel weniger relevant als aus Sicht der Mitarbeiter – als Vorgesetzter bekommt man selbst gar nicht immer mit, wie die eigenen Handlungen, z. B. eine unbedarft gemachte kritische Äußerung über das Top-Management oder das Unternehmen, bei den Angestellten ankommen. Aus Mitarbeiterperspektive hat das Wort des Chefs aber fast immer deutliches Gewicht. Jede seiner Bemerkungen wird stark wahrgenommen, in Erinnerung behalten und ist für die Mitarbeiter auch handlungsleitend – und das in einem Ausmaß, das dem Chef selbst oft gar nicht bewusst ist. Dass die Beschäftigten untereinander über „die da oben“ schimpfen, kommt in fast jedem Unternehmen vor. Es gibt immer einmal Dinge, über die man sich zu Recht aufregen kann, und seinem Ärger Luft zu machen, kann ja durchaus auch eine befreiende Wirkung haben. Das Schimpfen der Kollegen wird aber als wesentlich weniger wichtig bewertet, als wenn der Chef die gleichen kritischen Dinge sagt. Denn der Chef ist in einer ganz anderen Position. Per Definition sollte er mehr Informationen haben, er ist in herausgehobener Stellung und sei es nur in der Funktion des Teamleiters eines kleinen Teams von einem halben Dutzend Mitarbeitern. Die Untergebenen haben ja gelernt, dass sie den Anweisungen der Führungskraft in der Regel folgen sollen. Wenn der Chef in einem Meeting das Wort ergreift, hören normalerweise alle zu. Sich dies als Führungskraft immer wieder bewusst zu machen, ist bereits ein erster Schritt in Richtung besserer Führung. Selbstverständlich ist es Ihre Aufgabe, Entscheidungen der nächsthöheren Führungsinstanz zu kritisieren, wenn Sie sie für falsch halten. Aber bitte äußern Sie Ihre Kritik dort, wo sie hingehört: Also ziehen Sie nicht über Ihren eigenen Chef her, wenn Sie sich mit Ihren Mitarbeitern treffen, sondern sagen Sie ihm direkt und persönlich, was Sie stört. Andernfalls untergraben Sie mit Ihrer Kritik an Management und Unternehmen die Arbeitsmoral Ihrer Mitarbeiter nach dem Motto „Ja, wenn sogar unser Chef die Entscheidungen des Managements kritisiert, dann brauchen wir sie wohl kaum umzusetzen“ oder schlimmer

„Wenn selbst der Chef so schimpft, geht es mit unserem Laden offenbar wirklich bergab“. Nun aber etwas positiver: Genauso wie Führungskräfte negative Äußerungen vermeiden und kein schlechtes Vorbild sein sollten, haben sie umgekehrt kaum zu überschätzende Möglichkeiten, mit gutem Beispiel voranzugehen und dadurch die Einstellungen und das Verhalten ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter positiv zu beeinflussen. Und das gilt für alle Führungsebenen – vom Vorstandsvorsitzenden bis zum Gruppenleiter.

Wir haben dies im Bereich der Identifikation in den letzten Jahren vielfach untersucht und das sog. Identitätstransfermodell entwickelt (van Dick et al. 2007; Wieseke et al. 2009; van Dick und Schuh 2010; Schuh et al. 2012b). Das Modell ist in Abb. 14.1 dargestellt.

Abb. 14.1 Das Identitätstransfermodell

In vielen Studien haben wir herausgefunden, dass Führungskräfte, die sich selbst mit ihrem Unternehmen identifizieren, dazu beitragen, dass sich auch ihre Mitarbeiter stärker identifizieren. In ersten Studien haben wir z. B. Schulleiterinnen und Schulleiter sowie Lehrkräfte von über 60 Schulen nach ihrer Identifikation mit ihren Schulen gefragt und dabei einen Zusammenhang der beiden Identifikationen zeigen können: An Schulen, an denen sich die Schulleitung stark identifiziert, tun dies auch die Lehrerinnen und Lehrer. Diesen Zusammenhang konnten wir dann ebenfalls in der Pharmaindustrie, in Reisebüros und in therapeutischen Einrichtungen (z. B. Physiotherapiepraxen) bestätigen: Auch dort hängt die Identifikation der Führungskräfte jeweils mit der Identifikation ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen. In einer Studie in der Reisebranche konnten wir den Zusammenhang sogar über mehrere Hierarchieebenen hinweg untersuchen. Wir befragten 22 Regionalleiter, die ihnen unterstellten fast 400 Leiterinnen und Leiter von Reisebüros und über 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Agenturen. Wir fanden, dass die Identifikation der Regionalleiter sich auf die Reisebüroleiter übertrug, was wiederum positive Effekte auf die Identifikation der Mitarbeiter hatte. In dieser Studie konnten wir außerdem zeigen, dass eine stärkere Identifikation (sowohl der Leiter als auch der Mitarbeiter) mit dem objektiv gemessenen Umsatz der Reisebüros zusammenhing.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass sich vielleicht gar nicht die Identifikation der Führungskraft auf die Mitarbeiter überträgt, sondern dass es genauso gut umgekehrt sein kann, dass nämlich die Mitarbeiteridentifikation Auswirkung auf die der Führungskräfte hat. Oder vielleicht beeinflussen sich die beiden Identifikationen gar nicht wirklich gegenseitig, sondern der Zusammenhang entsteht nur deshalb, weil sowohl die Mitarbeiter als auch die Führungskräfte sich in Reisebüros mit hohem Umsatz stärker identifizieren (da durch den Umsatz mehr Boni gezahlt werden oder das Arbeiten einfach mehr Spaß macht, wenn „der Laden brummt“). Wir haben in den Studien versucht, eine Reihe von wichtigen Variablen zu berücksichtigen, die für den Zusammenhang möglicherweise relevant sind (z. B. bei den Lehrern die Größe der Schule oder die Schulart, bei den Reisebüros die Lage der Reisebüros oder die Anzahl der Mitarbeiter). Trotzdem können wir nicht ausschließen, dass der Zusammenhang zustande kommt, weil die Mitarbeiter ihre Führungskräfte beeinflussen und nicht umgekehrt.

Um die Richtung des Zusammenhangs zu überprüfen, haben wir daher einige Experimente durchgeführt (van Dick und Schuh 2010). In der ersten Studie haben wir den Studienteilnehmern (berufstätige Personen) eines von zwei kleinen Szenarien zu lesen gegeben, in denen sich der Chef einer mittelständischen Bäckerei in einem Statement an seine Mitarbeiter wendet. In beiden Versionen äußerte er sich positiv über die Zukunft des Unternehmens. In einer Version wurde er als Enkel des Firmengründers dargestellt und er bezog seinen Optimismus aus der Tradition des Unternehmens. In der anderen Version wurde er als angestellter Geschäftsführer beschrieben, der optimistisch war, weil er, wie es hieß, schon vorher Schwierigkeiten erfolgreich bewältigt hatte. Die Versuchsteilnehmer wurden nun gebeten einzuschätzen, wie identifiziert der Chef sei und wie stark sie sich selbst (fiktiv) mit dem Unternehmen identifizieren würden. Wie erwartet nahmen die Teilnehmer den angestellten Geschäftsführer als weniger identifiziert wahr und identifizierten sich in dieser Version weniger mit dem Unternehmen. Einem Chef aus der Gründerfamilie, der sich auf die gute Tradition des Hauses beruft, wird also offensichtlich – und entsprechend unserer Hypothesen – mehr Verbundenheit zugeschrieben, was positive Effekte auf die eigene (fiktive) Identifikation hat.

In der zweiten Studie führten wir ein echtes Laborexperiment mit Studierenden als Versuchsteilnehmern durch. Wir luden immer zwei Studierende in unser Labor ein, wo sie auf eine angeblich dritte Versuchsperson trafen, die in Wirklichkeit ein weiterer Versuchsleiter war. Die Dreiergruppe sollte mit Legosteinen möglichst hohe Türme bauen und „per Zufall“ wurde immer die dritte angebliche Versuchsperson als Teamleiter ausgewählt, der nicht mit bauen sollte, sondern Start- und Stoppkommandos geben, auf die Zeit achten und das Ganze überwachen musste. In der Hälfte der Gruppen zeigte sich dieser „Teamleiter“ als stark identifiziert, indem er mehrfach Äußerungen machte wie „Wir sind gut“ oder „Wir schaffen das“. In der anderen Hälfte der Gruppen sagte er dagegen „Ihr seid gut“ oder „Ihr schafft das“ – er war also genauso positiv, verdeutlichte aber durch seine Bemerkungen in der zweiten Bedingung, dass er selbst sich weniger als Teil der Gruppe sah als in der ersten Bedingung. Entsprechend zeigte sich auch wie erwartet, dass sich die (echten) Versuchspersonen in der ersten Bedingung stärker mit dem Team identifizierten – und auch mehr Legosteine verbauten, also eine höhere Leistung erbrachten! Wie in Box 7.1 oben erläutert, nehmen diese Laborexperimente überhaupt nicht in Anspruch, dass man ihre Ergebnisse ohne Weiteres auf die „wirkliche Welt“ übertragen kann. Sie belegen aber, dass die Richtung des Identitätstransfers tatsächlich von der Führungskraft zum Mitarbeiter verläuft. Und selbst wenn die umgekehrte Richtung damit immer noch möglich ist (warum auch nicht?), kann man aus diesen Experimenten, zusammen mit den Ergebnissen der Feldstudien, die im vorangegangenen Absatz besprochen wurden, folgendes Fazit ziehen: Es lohnt sich, wenn Führungskräfte sich mit ihren Gruppen (Teams, Abteilungen, Unternehmen) identifizieren, denn dies überträgt sich auf die Mitarbeiter!

Wie wir oben schon erwähnt haben, wirkt sich die Identifikation der Mitarbeiter auch wieder positiv auf den Umsatz aus. Dies ergibt sich über den Umweg des Kunden: Wenn die Führungskräfte sich identifizieren, tun es auch die Mitarbeiter (vgl. Abb. 14.1). Sie sind folglich besonders engagiert – auch deshalb, weil sie besser mit Stress und Belastungen umgehen können – und das kommt bei den Kunden gut an. In weiteren Studien haben wir gezeigt, dass sich dementsprechend auch die Kunden mehr mit den Unternehmen identifizieren, was zu größerer Loyalität und mehr Umsatz führt.

Die Identifikation der Führungskraft hat also eine doppelte Bedeutung. Zum einen hilft sie im Sinne der Kernthese dieses Buches der Führungskraft selbst bei ihrem Umgang mit eigenem Stress. Führungskräfte können sogar davon profitieren, dass sie eine weitere Gruppe haben, mit der sie sich identifizieren können. Ein Abteilungsleiter ist ja immer auch Mitglied der Abteilung, die er führt; er kann sich mit dieser identifizieren und sich von seinen Untergebenen Hilfe bei Problemen holen usw. Er ist aber zusätzlich ebenso Mitglied der Gruppe der Führungskräfte und die Identifikation mit dieser Gruppe ist eine weitere Ressource, die bei Bedarf die daran gebundene soziale Unterstützung von anderen Führungskräften aktivieren kann. Zum anderen aber wirkt, wie wir gerade gesehen haben, die Identifikation der Führungskraft ansteckend und überträgt sich auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die davon wiederum auch im Sinne der Belastungsbewältigung profitieren.

Wie bringen Führungskräfte nun aber „rüber“, dass sie sich identifizieren? Schauen wir uns noch einmal die in Abschn. 2.2 vorgestellten Aussagen an, mit denen wir Identifikation messen können. Wenn die Führungskraft Aussagen wie „Wenn ich von meinem Team spreche, sage ich ‚wir' und nicht ‚sie'“, „Wenn meine Abteilung in den Medien kritisiert wird, nehme ich das als persönliche Beleidigung wahr“ oder „Die Erfolge meines Unternehmens sind auch meine Erfolge“ stark zustimmt, sollte sich dies auch in ihrem Verhalten niederschlagen und beobachten lassen. Die Führungskraft steht sowieso unter ständiger Beobachtung der Mitarbeiter, sie leitet die regelmäßigen Abteilungsmeetings, hält Ansprachen bei sozialen Gelegenheiten wie Geburtstagen oder Jubiläen und sie spricht natürlich auch in vielfältiger Form im Eins-zu-eins-Kontakt mit ihren Untergebenen. Diese bekommen natürlich durch die Sprache mit, ob der Chef stolz ist, wenn das Team eine gute Leistung gebracht hat, oder ob er es verteidigt, wenn es von außen kritisiert wird. Und ob die Führungskraft „wir“ sagt, ist ebenfalls direkt beobachtbar.

Die Führungskraft hat aber darüber hinaus Möglichkeiten, die eigene Identifikation herauszustellen und gleichzeitig die Teamidentität zu stärken, z. B. durch Hervorheben von Erfolgen, gerade im Vergleich zum Wettbewerber, durch Verweise auf gemeinsame Geschichten, durch Rituale usw. Wir werden weiter unten noch genauer auf solche Möglichkeiten eingehen. Zunächst möchte ich aber ein weiteres Konzept vorstellen, für das die Forschung ein enormes Potenzial für Führungserfolg gefunden hat, nämlich die Prototypikalität der Führungskraft.

 
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