Ideologien der Ungleichwertigkeit und Rechtsextremismus aus der Sicht der Theorie eines identitätsstiftenden politischen Fundamentalismus

Wolfgang Frindte und Daniel Geschke

Ausgangspunkte und ein neuer Problemraum

Betrachtet man die verschiedenen Ansätze, Rechtsextremismus begrifflich zu fassen, so lassen sich zumindest drei „Suchstrategien“ (Klix, 1971, S. 644ff.) im Sinne einer komplexen Problemlösung unterscheiden: A) Dominant sind im Zeitraum 2001 bis 2013 vor allem Strategien, mit denen der Problemoder Suchraum eingeschränkt wurde. Zu diesen Strategien gehören jene Ansätze, in denen auf der Grundlage der „Konsensdefinition“ ausgewählte Dimensionen rechtsextremer Einstellungen untersucht werden (z. B. Decker, Kiess & Brähler, 2012). Das heißt, auf die Einbeziehung der Gewaltdimension zur Bestimmung und empirischen Untersuchung rechtsextremer Phänomene wurde dabei verzichtet. Auch die Ansätze, in denen auf den Rassismus-Begriff insistiert wurde (z. B. Butterwegge, 2000), haben letztlich den Problemraum eingeschränkt. Rassismus ist sicher ein wichtiges Merkmal von Rechtsextremismus, aber nicht das hinreichende. Das gilt auch für die Überlegungen, die Hate-Crime-Forschung in die Rechtsextremismus-Forschung zu integrieren. Hass und Wut spielen in rechtsextremen Ausschreitungen häufig, aber nicht immer eine tragende Rolle. B) Mit einer Erweiterung des Problemraums arbeiten schließlich jene Wissenschaftler, die sich der „vergleichenden Extremismusforschung“ verschrieben haben (z. B. Backes & Jesse, 1993) – mit den entsprechenden und kritisierten Folgen. C) Eine völlige Neudefinierung des Problemraums versucht hingegen die soziologische Bewegungsforschung (Klärner & Kohlstruck, 2006).

Diese dritte Suchstrategie hat aber auch ihre Tücken: Die Grenzen eines möglichen Problemraums, um dem Rechtsextremismus empirisch auf die Spur zu kommen, sind diffus und nur schwer zu erkennen. Klärner und Kohlstruck (2006) machen auf diese Tücke aufmerksam, wenn sie schreiben:

„Der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich diese politischen wie kulturellen Aktivitäten (des politischen Rechtsextremismus; W.F., D.G.) bringen lassen, ist der Wille und Wunsch nach einer spezifischen Antimoderne in der Moderne“ (Klärner & Kohlstruck, 2006, S. 32).

In einem interessanten Beitrag beschreibt Richard Münch (1994) die antimodernen Bewegungen als jene Gruppierungen, die sich wehren „gegen die Auflösung traditioneller Lebenswelten und Glaubensbestände durch die umfassende Ökonomisierung, Politisierung und Rationalisierung (Säkularisierung) des modernen Lebens“ (S. 30). Als Beispiele nennt Münch u. a. kleinbürgerliche Schichten (z. B. Bewegungen des Handwerks, die sich gegen die Industrie wehren), Arbeiterschichten (die sich für Arbeitsplatzgarantien einsetzen), industrielle Schichten (die sich gegen die wachsende ausländische Konkurrenz richten), Bildungsschichten (die gegen die Verdrängung der Hochkultur durch die Massenkultur kämpfen) usw.

Sicher mögen diese und andere Schichten nicht gegen den Einfluss rechtsextremer Tendenzen gefeit sein. Die „Mitte-Studien“ belegen das (z. B. Decker et al., 2012). Ob Teile dieser Schichten aufgrund der von Münch (1994) genannten Motive per se als rechtsextrem zu bezeichnen sind, dürfte aber bezweifelt werden. Kurz und gut: Die Differenz von Moderne und Antimoderne scheint zunächst nicht sonderlich hilfreich zu sein, um den Problemraum zu markieren, innerhalb dessen der Rechtsextremismus verortet werden kann. Allerdings sprechen Klärner und Kohlstruck (2006, S. 32) vom „Wunsch nach einer spezifischen Antimoderne in der Moderne“ (Hervorhebung, W.F., D.G.), der den kleinsten gemeinsamen Nenner bezeichnet, durch den sich die verschiedenen rechtsextremen Bewegungen auszeichnen. Diese Spezifik müsste also genauer bestimmt werden, um vielleicht doch noch einen hilfreichen Problemraum zur Bestimmung des Rechtsextremismus aufspannen zu können.

Anregungen zu einer solchen Spezifizierung fanden wir bei Thomas Grumke (2001. Grumke analysiert den Rechtsextremismus in den USA und stützt sich dabei auch auf die zivilisationstheoretische Untersuchung fundamentalistischer Bewegungen in der Moderne von Shmuel Eisenstadt (1998). Die Ideologie (Eisenstadt spricht von „antimoderne(r) Einstellung“; 1998, S. 84) der fundamentalistischen Bewegungen ist „… nicht einfach nur eine Reaktion traditioneller Gruppen auf die Verführung durch neue Lebensstile, sondern eine militante Ideologie, die grundlegend in eine hochmoderne Struktur eingebunden ist“.

Auch hier spielt also der Widerspruch zwischen Moderne und Antimoderne eine Rolle. „Die Grundideologie des Fundamentalismus“, so Eisenstadt (1998, S.77), „ist antimodern, stellt eine Negation der Grundsätze der Moderne als Kultur dar, jedoch nicht notwendigerweise ihrer technologischen und organisatorischen Aspekte“. Eisenstadt illustriert diese Dialektik zwar überwiegend an Beispielen des religiösen Fundamentalismus (im Islam, dem Judentum), verweist aber auch auf Parallelen zwischen diesen Fundamentalismen und kommunistischen bzw. totalitären Regimes (z. B. Eisenstadt, 1998, S. 82f.). Die damit quasi angedeutete Brücke zu politisch-fundamentalistischen Strömungen und Bewegungen könnte – im Sinne der o. g. Neudefinierung des Problemraums durchaus hilfreich sein, einen neuen und differenzierten Blick auf den Rechtsextremismus zu werfen. Mit der im Folgenden vorgestellten Theorie und den sich anschließenden drei empirischen Sekundärstudien soll ein solcher Blick versucht werden.

 
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