Ist Nairs Amelia ein freier Mensch?

Der Film beginnt mit einer Szene, die mit dem Insert „Miami, Florida June 1, 1937“ versehen ist und die, so wird in ihrem Anschluss klar, ein Rückblick darstellt. Es handelt sich um den Moment, in dem Amelia zu ihrer großen und letzten Reise aufbricht, der Erdumrundung. Das erste Bild zeigt im Vordergrund die im Sonnenlicht glänzende Elektra, Amelias Turboprop-Flugzeug, an dem zwei Mechaniker arbeiten. Im Hintergrund sind Palmen, der Tower des Flugplatzes und eine große Menschenmasse auszumachen, die von dem Gebäude aus herunter winken. Die Kamera fährt nach oben und öffnet den Blick auf weitere Menschengruppen, die das Flugfeld säumen, jubeln und „Miss Earhart!“ rufen. Nach einem kurzen Umschnitt auf die Aussichtsplattform des Towers, der die Menschen in naher Rückenansicht zeigt, gibt es einen Schnitt auf ein erstes Bild von Amelia. Das zeigt jedoch eigentlich nicht sie selbst, sondern ihre unklare Spiegelung auf der Metalloberfläche des Flugzeugflügels, auf dem sie hockt. Ein weiterer Umschnitt zeigt sie schließlich direkt und in Nah. Auf dem Flügel hockend, sich mit einer Hand an einer Halterung der Maschine festklammernd, in eine Fliegerjacke gekleidet und mit einem etwas starrem Lächeln posiert sie offenbar für die Menge und die anwesenden Fotografen. Die Kamera schwenkt nach rechts und nimmt damit George ins Bild, ihren Ehemann und Förderer, wie man später erfährt. Dabei ist zu sehen, dass Amelia mit ihrer zweiten Hand seine Hand umklammert. Auch George lächelt unentwegt in die Kameras der Reporter. Die folgende Einstellung weitet den Blick wieder zu einer Totalen und zeigt das Flugzeug sowie Amelia und George, umringt von den jubelnden Menschen mit ihren Kameras und Notizblöcken. Während sich die Kamera langsam entfernt, also von dem Geschehen zurückzieht, scheint die Menschenmasse Amelia und George immer näher zu kommen. Dann stellt ein Reporter eine Frage. Er möchte wissen, ob Amelia nach der Erdumrundung mit den Langstreckenflügen aufzuhören gedenkt. Nicht so lange noch ein Funken Leben in ihr stecken würde, sie fliege zum Vergnügen, antwortet Amelia. George, der sie dabei ansieht, nickt zustimmend. Die Kameraleute richten weiter ihre Objektive auf das Flugzeug und die Posierenden. Zum ersten Mal erscheint nun auch ein weiterer Akteur in Nah vor dem Flugzeug, es ist Amelias Navigator Frederick Noonan. Im Gegensatz zu dem Paar bringt er nur ein gequältes Lächeln zustande und schreckt genervt vor den grellen Blitzen der Fotokameras zurück. George lässt verlauten, dass es nun reiche. Das Ende der Eingangssequenz wird mit einem Abblenden in Schwarz markiert, auf dessen Hintergrund die Credits der Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller fortlaufen.

Die Eingangssequenz dient der Einführung der Hauptprotagonistin und zeigt aufgrund der Rückblendenstruktur das Ende einer Entwicklung. Es ist also nicht die junge Amelia, die hier präsentiert wird, sondern die erwachsene Frau auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Zunächst ist an dieser Sequenz auffällig, dass Amelia eindeutig als eine stark umschwärmte, jedoch nicht als eine autonom agierende Frau erscheint. So steht sie nicht frei und für sich selbst da, sondern verharrt in einer hockenden, verkrampften Körperhaltung, während sie einerseits nach dem Flugzeugrumpf und andererseits nach der Hand ihres Mannes greift. Der Gesamteindruck ist beinahe der einer Hilflosigkeit; sie befindet sich offenbar zwischen den beiden Polen, die ihr im wortwörtlichen Sinn Halt geben. Dass es ihr Ehemann ist, der die Situation ihres Stillhaltens und des Ablichtens ihrer Person durch die Fotografen schließlich beendet, verstärkt den Eindruck ihrer Unselbstständigkeit. Wie unangenehm die Situation inmitten der Menge und blitzenden Kameras sein muss, wird durch die Reaktion des Navigators dargestellt; er verfügt wohl über weniger professionelle Disziplin als die Beiden.

Dass Amelia in dieser Szene trotz ihrer Selbstbeherrschung weder Kraft noch Autonomie, Stolz oder geschweige denn Selbstbewusstsein ausstrahlt, ist ganz besonders auf dem Hintergrund verwunderlich, dass diese Szene bereits im Jahr 1937 spielt, als sie also schon lange eine gefeierte Nationalheldin ist. Obwohl sie von den Menschen so umschwärmt und verehrt wird, nimmt sie keinen direkten Kontakt zu ihnen auf. Die Bewunderung erscheint ihr vor allem als Bedrängnis. Amelias Antwort auf die Frage des Reporters hat einen trotzigen, einen kämpferischen und beinahe abwehrenden Unterton. Und obwohl sie von all den Menschen umringt ist, die ihre ganze Aufmerksamkeit auf sie richten, wirkt sie seltsam isoliert. Das Bild ihrer nur verschwommenen Spiegelung ganz zu Beginn der Sequenz kann damit als ein Sinnbild für das Verschwinden ihrer eigentlichen Person gewertet werden sowie als ein Sinnbild für ihr Bemühen, den Menschen als Projektionsfläche zu dienen, ihnen das widerzuspiegeln, was sie von ihr als öffentliche Person erwarten. Ihre erstarrte Pose wirkt einmal mehr wie ein Sich-Fügen.

Im weiteren Verlauf des Films, der die Geschichte Amelias chronologisch nachvollzieht, wird ihr Leben auf der Erde, in ihren Rollen als Nationalheldin, als Partygast, als Geschäftsfrau, als Ehefrau und als Geliebte immer wieder in einer Art dargestellt, die das Element der Bedrängnis und der Einengung deutlich betonen. Dazu gehört der Kamerablick aus der Aufsicht, der Verschachtelungen zeigt und der als individuelle Perspektive Amelias identifiziert werden kann. So gibt der Blick von oben auf einen Innenraum selten eine Atmosphäre der Wohnlichkeit, der Gemütlichkeit oder des Einladenden preis oder erscheint gar als ein Schutzraum. Mit den Balustraden, gedrehten Treppensteigen, gebogenen Decken und den vielen Wänden zeigt er vielmehr eine verwinkelte Welt, in der man sich winden und geschickt verhalten muss, um wortwörtlich nicht anzuecken.

Zwischen den beiden Szenen, in denen Amelia und George als Liebespaar zusammenfinden und in der sie Gene kennenlernt, gibt es eine Szene, die sie vor einer Schulklasse zeigt. Amelia hält einen Vortrag. Sie trägt ein schlichtes, weites, weich fließendes, hellblaues Seidenkleid. George hatte sie kurz zuvor aufgefordert, für diesen Termin ihre praktische Arbeitskleidung gegen ein Kleid zu tauschen. Amelia ist seiner Aufforderung also gefolgt und hat sich der weiblichen Rolle, wie sie von ihm definiert wird, gefügt. Nach ihrem Vortrag erkundigt sich eine junge Zuhörerin bei Amelia, ob sie bei ihren Flügen keine Angst verspüren würde. Amelia erzählt daraufhin von ihrem Gefühl, als sie den Atlantik überquert hat: Es sei gewesen, als wären der weite Himmel und das Wasser unter ihr verschmolzen, als wäre sie an einem Ort, an dem es schlicht, sicher und wunderschön sei, und an dem alles fassbar wäre. Während sie in schwärmerischem, beinahe entrücktem Tonfall spricht, zeigt der Film Bilder eines hellblau leuchtenden Himmels und des Ozeans, der aus einer steilen Vogelperspektive zu sehen ist und der, bis auf zwei auftauchende Wale, eine weite und leere Fläche bildet.

Diese Bilder des klaren Himmels und des weiten Ozeans mögen entweder ihrer Erinnerung oder aber ihrer Vorstellungskraft entspringen. In jedem Fall sind es innere Bilder, die sie in sich aufsteigen lässt und die für sie einen Sehnsuchtsort abzubilden scheinen. Dieser Sehnsuchtsort findet in der gegenwärtigen Situation seinen Widerhall in ihrer Kleidung, das heißt in der hellblauen Farbe und dem Material ihres weich fallenden Kleides. Es war die Frage nach der Angst, die diese Bilder in ihr heraufbeschworen haben. Sie entfalten eine unmittelbar beruhigende Wirkung. „Alles fassen zu können“, wie sie den Zustand in den Lüften auch beschreibt, heißt im Grunde, die Kontrolle zu haben und die Welt zu verstehen. Mit dieser Phantasie, materialisiert in dem Kleidungsstück, das eigentlich Ausdruck ihrer Anpassung ist, setzt Amelia der Fremdbestimmung etwas entgegen; die Weite des Raums erscheint als das Gegenbild zu der Enge und Unübersichtlichkeit. Hier wird deutlich, dass sich Amelia trotz ihrer äußeren Anpassung in ihrem Inneren einen Raum der Freiheit bewahrt hat. So ist das Fliegen, ihr Leben in der Luft, als ein Zustand oder Ort zu verstehen, in dem sie im Gegensatz zu ihrem Leben auf der Erde Autonomie, damit in gewisser Weise Freiheit empfinden kann. Es ist ihr Refugium. In der Luft, sagt sie einmal auch, fühle sie sich „Zuhause“. Während die Kameraperspektive aus der Aufsicht beziehungsweise Amelias Blick auf das Leben auf der Erde – als ein in der Regel auf zwischenmenschliche Interaktion gerichteter Blick – zum Ausdruck der Isolation, der Einsamkeit und der Fremdheitsgefühle der Protagonistin wird, erweist sich damit der Blick, der sich auf eine freie Fläche und auf ozeanische Weiten richtet, als die typische Perspektive der Fliegerin Amelia, als Ausdruck ihrer Unabhängigkeit, ihrer inneren Freiheit und Stärke.

Die Szene, die sich an die erste Begegnung von Amelia und Gene anschließt, zeigt einen zutiefst betrübten George, der sich mit Whiskey betrinkt. Als sich Amelia zu ihm gesellt, macht er ihr plötzlich einen Heiratsantrag. Er stellt ihr jedoch keine Frage, sondern er fordert sie regelrecht auf, ihn zu heiraten. Amelia verneint. Ein erfülltes Leben könne sie sich nur alleine vorstellen. George redet auf sie ein. Er möchte sie von seinem Plan überzeugen, ihr Leben mit ihm zu teilen. So greift er nach ihrer Hand und hält sie fest. Amelia entzieht sich seinem Griff und beginnt, eine Geschichte zu erzählen. Sie erzählt davon, wie sie im Alter von sieben Jahren von ihrem Vater einen eigenen Globus geschenkt bekam und wie sie Stunden damit zugebracht hatte, ihn zu drehen, um all die außergewöhnlichen Namen der weitentfernten Orte zu lesen und wie sie davon geträumt habe, all diese Orte eines Tages „als Weltenbummler, als Reisende, als Vagabund“ zu besuchen. Sie wolle frei sein, spricht sie weiter mit großem Nachdruck, sie wolle ein Vagabund der Lüfte sein! Er werde ihr auf dem Weg dorthin helfen, erklärt George, der ihr aufmerksam zugehört hat. Sie lächelt, doch in ihrem Gesichtsausdruck liegen eine Traurigkeit und ein Ausdruck von Resignation. Der weitere Verlauf des Films zeigt, dass sie sich auch diesmal dem Wunsch Georges fügen wird. Sie wird der „Verlockung eines engen Käfigs“ nachgeben, wie sie die Ehe zu einem späteren Zeitpunkt einmal bezeichnen wird. Sie wird ihn heiraten.

Diese Szene zeigt einmal mehr, dass Nairs Amelia nicht per se ein freier Mensch ist, sondern dass sich dieser Zustand für sie auf den Moment des Fliegens beschränkt sowie auf Momente der Introspektion, auf ihre Träume, Visionen, aber auch Erinnerungen, an die sie mit entrücktem Gesichtsausdruck denkt. Beides sind dies Augenblicke der Losgelöstheit und der Distanzierung von den anderen. Mira Nairs Amelia ist eine Frau, die im Grunde in einer Isolation, einer Art inneren Emigration lebt, die sie durch besondere Anpassung an die Außenwelt offenbar sogar vor sich selbst zu kaschieren weiß. Ihre Orientierung an der Außenperspektive und an Rollenbildern und -grenzen ist entgegen dem ersten Anschein sehr ausgeprägt. Ihr Gespür für sich selbst bleibt dagegen nebulös und verschwommen. Nairs Amelia wird als eine Frau inszeniert, die sich inmitten von Menschen befindet und doch abgekapselt und beziehungslos ist und die sich stets fremd zu fühlen scheint. Umschwärmt zu sein, lähmt sie. In Gesellschaft handelt sie als ein Abbild ihres Selbst; das Original ist nicht greifbar. Dass sie der Außenwelt maskenhaft begegnet, zeigt schon die Eingangssequenz.

Der Psychoanalytiker und Autor Hermann Argelander legt in seiner charakteranalytischen Fallstudie Der Flieger das Beispiel eines Mannes dar, der ihn wegen Kontaktstörungen aufsuchte. Im Gegensatz zu seiner Unfähigkeit, ausfüllende und dauerhafte Beziehungen zu seinen Mitmenschen zu führen, war dieser Mann in beruflicher Hinsicht außergewöhnlich erfolgreich. Neben dem Jagen gehörte das Segelfliegen zu seinen großen Leidenschaften und Fähigkeiten und hatte, so zeigte die Analyse, eine essentielle Funktion: „Das Fliegen wurde zu einem Merkmal seines Charakters“, so Argelander. Weiter erinnert er daran, dass die „Aufhebung der natürlichen menschlichen Körpersphäre“ ein Urbedürfnis sei: „Es handelt sich um Urträume des Menschen, fliegen zu können, auf dem Wasser zu wandeln, durch Kontinente und Ozeane zu reisen oder sogar ins Weltall vorzustoßen.“ In seinem besonderen Fallbeispiel diagnostiziert der Analytiker jedoch eine primär-narzisstische Störung, deren Wurzeln in Erlebnissen einer frühkindlichen Phase liegen. Weil das Trauma der Auflösung der „nutritiven Einheit mit seiner Mutter“ nicht überwunden werden könne, strebe der Patient in seinem Erwachsenenleben an, „nur noch eine Abhängigkeit von ‚sich selbst' zu haben.“ Fliegen bedeuteten für ihn Selbstständigkeit und Unabhängigsein, so berichtete der Patient. Er vertraue sich einem Element an, das ihn „alle Freiheiten spüren“ lasse. Während des Fliegens erlebe der Patient, der auf der Erde vor Verbindungen zu anderen zurückscheue, eine „(…) Form symbiotischer Vereinigung mit einer elementaren Welt, (…), der Luft (…).“ schreibt Argelander. Damit fände eine „Objektverschiebung“ statt, die „mit einer erheblichen Icherweiterung einher(geht).“, so der Autor weiter. Diese Verschiebung, eine „Verwandlung des konturierten in ein diffuses, apersonales Objekt“ ohne örtliche Begrenzung, so wie es nur den Elementen Wasser und Luft zueigen sein kann, bezeichnet er an anderer Stelle auch als „ozeanisches Gefühl.“ Das Überwinden der Schwerkraft, das Gefühl der Verschmelzung mit dem Naturelement vermittelt den Eindruck der vollkommenen Beherrschung der Situation sowie einer Sicherheit: „In der Luft oder im Wasser kann ihm wie im Mutterleib nichts zustoßen“. In der vollkommenen Losgelöstheit in objektlosen Weiten verliert die Angst vor Trennung und Abhän- gigkeit seine Bedrohlichkeit.

Argelander beschreibt in seiner Fallstudie die typische Form einer narzisstischen Störung. Diese lässt sich nicht schlicht auf die Filmfigur Amelia übertragen, zumal der Film keine Pathogenese zeigt und es keine Hinweise darauf gibt, dass intendiert gewesen wäre, eine narzistische Störung bei Amelia dazustellen. Und dennoch gibt es ein interessantes Maß an Übereinstimmung zwischen den Phänomenen und Charakteristika, die der Psychoanalytiker in seinem Beispiel beschreibt, und den Schlüssen, die sich aus der Untersuchung der Filmszenen ergeben haben. Das Fliegen, so wurde deutlich, ist für Amelia letztlich nicht Ausdruck ihres besonders freiheitlichen Geistes, sondern ist als Versuch zu werten, das ozeanische Gefühl als dominantes Lebensgefühl herzustellen und damit bestimmten Situationen auszuweichen.

An dieser Stelle bietet sich ein Vergleich mit der Verfilmung der Lebensgeschichte einer anderen berühmten Fliegerpersönlichkeit an. In Aviator (USA 2004) zeigt Martin Scorsese das Portrait eines hochneurotischen Mannes, dessen Leben durch soziale Niederlagen und Unsicherheiten auf der einen Seite und von einer außergewöhnlichen Karriere und Rekorden auf der anderen Seite gekenn-zeichnet war. Die Verfilmung der Lebensgeschichte des Flugpioniers Howard Hughes weist eine Reihe von Ähnlichkeiten mit Mira Nairs Amelia auf, jedoch auch klare Unterschiede. Eine deutliche Ähnlichkeit ist zunächst an der Ästhetik festzumachen, die den Zeitgeist der zwanziger und dreißiger Jahre in Amerika widerspiegelt. Zum einen geschieht dies etwa durch die fiktiven Wochenschauausschnitte, zum anderen zum Beispiel durch Szenen in Lokalen und Nachtclubs mit Bands und Tanz, in der eine dynamische Kameraführung den Schwung und die vibrierende Atmosphäre dieser Lebenswelt wiedergibt. Bevor man den Schluss zieht, Mira Nair habe sich stilistisch an Scorsese orientiert, ist festzuhalten, dass Howard Hughes und Amelia Earhart zeitgleich lebten und dass diese Zeit nicht zuletzt durch die Kriegssituation offenbar günstig für Fortschritte in der Luftfahrt war. Aufschlussreich ist vor allem der Vergleich der Persönlichkeiten Hughes und Earharts. So empfinden sich beide selbst als Außenseiter, als nicht integriert in der Gesellschaft, in deren Mitte sie sich dennoch mit Erfolg bewegen. Beide empfinden sie die Außenwelt primär als bedrohlich und sind voller Misstrauen, was menschliche Kontakte und Bindungen betrifft. Im Fall Howard Hughes äußert sich dies sogar in einer konkreten Unfähigkeit, seine Umwelt und seine Mitmenschen zu berühren. Beide sind sie umschwärmte Menschen, für die die Aufmerksamkeit jedoch zur Last wird; Fans und Reporter verschwimmen vor ihren Augen zu einer monströsen, entindividualisierten Masse. Beide sind sie von großem Ehrgeiz angetrieben und von der zum Teil größenwahnsinnigen Vorstellung, keine Grenzen akzeptieren zu müssen. Diese Eigenschaft bringt sie in große Gefahrensituationen, macht sie aber auch zu Rekordbrechern und Pionieren in der Luftfahrt. Obgleich in Aviator und Amelia letzten Endes verschiedene Themen im Vordergrund stehen und obgleich sich Hughes und Earhart in ihrem konkreten Interesse am Fliegen unterscheiden, kann der Vergleich der beiden Filme und der Persönlichkeiten der Protagonistin und des Protagonisten dennoch dazu dienen, noch einmal die enge Verknüpfung des Themas Fliegen mit narzisstischen Charakterzügen deutlich zu machen.

Entgegen der vernichtenden Kritik, mit der auf Nairs Amelia reagiert wurde, kann hier festgestellt werden, dass der Regisseurin in ihrer Inszenierung etwas Bemerkenswertes gelungen ist. Jenseits der plakativen Äußerungen Ame- lias, was ihre Motive zu fliegen betrifft, und offenbar ohne, dass Nair bewusst den Fokus darauf gelegt hätte geschweige denn, dass sie sich im Rückblick dazu geäußert hätte, wurde das Portrait einer Frau geschaffen, die sich sehr nah am Typus einer narzisstisch gestörten Persönlichkeit bewegt. Wird Nairs Amelia vor diesem Hintergrund betrachtet, ergibt sich das stimmige Bild eines Menschen, das dessen herausragende Leistungen und wortwörtlichen Höhenflüge ebenso wie dessen Unsicherheiten und Unentschiedenheiten mit einschließt.

 
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