b Differenzierung ambulanter Sanktionen

Als Alternative zum Freiheitsentzug kommen aber nicht lediglich ambulante Sanktionen in Betracht. Von solchen wäre zu sprechen, wenn allgemein oder im Einzelfall von der Anordnung einer an sich vorgesehenen freiheitsentziehenden Sanktion abgesehen und eine ambulante Sanktion verhängt wird. Im Ergebnis tritt dann an die Stelle von Haft eine Sanktion, die zumindest in drohendem Widerruf, oft aber auch in der Aufsicht durch die Bewährungshilfe und zusätzlichen Auflagen oder Weisungen besteht. Obwohl im deutschen Recht die zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe auch eine Freiheitsstrafe ist, handelt es sich in diesem Fall aus kriminologischer Sicht um den geradezu klassischen Fall einer Ersetzung durch eine ambulante Alternative, wenn die Freiheitsstrafe im Einzelfall dann doch noch ausgesetzt wird bzw. Aussetzungsmöglichkeiten allgemein erweitert werden. Ein Beispiel dafür wäre es, wenn sich der Gesetzgeber in Deutschland entschließen würde, beispielsweise zu ermöglichen, Freiheitsstrafen bis zu einer Höhe von drei Jahren zur Aussetzung freizugeben. Allerdings muss bei einem solchen Vorhaben immer mitgedacht werden, dass eine entsprechende Gesetzesänderung keineswegs zu einer Erweiterung der Strafaussetzungen gegenüber dem vorherigen Rechtszustand im Sinne einer Nettoreduzierung der verhängten Gesamtlänge unbedingter Freiheitsstrafen oder einer Erhöhung der Aussetzungsquote führen müsste. Vielmehr ist durchaus denkbar, dass eine solche Gesetzesänderung auch oder sogar überwiegend die Folge hätte, dass Gerichte in Fällen, in denen ohnehin eine Aussetzung der Strafe vorgesehen war, die Gelegenheit ergreifen würden, höhere Freiheitsstrafen zu verhängen statt in Fällen, in denen ohnehin höhere Freiheitsstrafen verhängt worden wären, eine Aussetzung vorzunehmen, die ansonsten nicht in Erwägung gezogen worden wäre.

Neben der Ersetzung einer Haftstrafe durch eine ambulante Sanktion ist von Alternativen zur Freiheitsstrafe auch dann zu sprechen, wenn auf eine Sanktionierung insgesamt verzichtet wird, etwa weil das Strafverfahren an sich im Zuge einer Diversionsentscheidung beendet wird. Der Begriff der „alternativen Sanktion“ greift daher auch insofern zu kurz als er nahelegen könnte, dass die Alternative zu einer freiheitsentziehenden Sanktion stets überhaupt deren Ersatz durch eine andere Sanktion verlange statt zu berücksichtigen, dass diese durchaus auch (ersatzlos) entfallen kann.

Da es eine Vielzahl an ambulanten Sanktionen, Maßnahmen und Möglichkeiten der Diversion gibt, musste für das Forschungsprojekt eine Kategorisierung derselben vorgenommen werden, um so zu ermöglichen, wenigstens ansatzweise nachzuvollziehen, welche Varianten in den am Projekt beteiligten Staaten vorhanden sind. Bei der Auseinandersetzung mit Alternativen zum Freiheitsentzug spielt es eine wichtige Rolle zu fragen, in welchem Stadium des Strafverfahrens eine Sanktion auferlegt, eine Maßnahme getroffen oder Diversion durchgeführt wird. Dabei können sog. „front-door“von „back-door“-Maßnahmen unterschieden werden, wobei erstere vor dem Haftantritt greifen, während letztere nach der Haftentlassung zur Anwendung kommen. Klassische Beispiele für „front-door“Maßnahmen sind Bewährung und Geldstrafe. Die Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung, d. h. die bedingte Haftentlassung vor vollständiger Beendigung der gerichtlich angeordneten Freiheitsstrafe, stellt hingegen ein typisches Beispiel für eine „back-door“-Maßnahme dar. Doch auch während der Haftzeit können Alternativen zum Freiheitsentzug zum Zuge kommen, etwa bei einer Überstellung an eine andere Institution außerhalb des Justizvollzugs, wie die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik (nicht der Forensik), einem sonstigen Krankenhaus oder einer therapeutischen Einrichtung. Die Unterbringung in einer bestimmten Vollzugsform innerhalb des Systems der Vollzugsanstalten, wie die Verbüßung (eines Teils) der Haftstrafe im offenen Vollzug oder die Überstellung in die sozialtherapeutische Anstalt oder Abteilung einer JVA, können ebenfalls als Alternativen zum klassischen Strafvollzug verstanden werden. In diesem Fall wäre die Alternative zum Freiheitsentzug jedoch nicht eine ambulante Sanktion, sondern die Unterbringung in einer anderen stationären Einrichtung mit freiheitsentziehendem Charakter.

Die Überstellung an eine andere, nicht dem klassischen Strafvollzug entsprechende Einrichtung in die Analyse „alternativer Sanktionen“ miteinzubeziehen macht es notwendig zu überprüfen, ob diese tatsächlich eine Alternative zum Freiheitsentzug darstellt, zumindest wenn Alternativen in dem Sinne verstanden werden, dass sie weniger schwerwiegend in die individuellen Rechte der Betroffenen eingreifen. Die bloße Möglichkeit etwa, sich einer Therapie unterziehen zu können, die im Strafvollzug nicht angeboten wird, rechtfertigt eine derartige Schlussfolgerung nicht. Während so in einigen Ländern die zeitweise Freiheitsentziehung (z. B. nur am Wochenende) als eine von der regulären Freiheitsstrafe abweichende Sanktionsform und somit als Alternative im engeren Sinne aufgefasst wird, mag sie in anderen Ländern als Haftstrafe unter besonderen Bedingungen betrachtet werden, die es Gefangenen wie bei der Unterbringung im offenen Vollzug erlauben kann, tagsüber außerhalb der Haftanstalt zu arbeiten und nur für die Nacht zur JVA zurückzukehren. Gerade die Unterbringung im offenen Vollzug in Deutschland kann aber neben ihrer rechtlichen Einordnung als bloß andere Vollzugsform schon deswegen nicht als Alternative zum Strafvollzug angesehen werden, weil Freigang und Lockerungen einschließlich Langzeitausgang/Urlaub mit dieser Unterbringung nicht zwingend verbunden sind, sondern lediglich als (auch im geschlossenen Vollzug bestehende) rechtliche Möglichkeit vorhanden sind, auch wenn die Wahrscheinlichkeit, dass von dieser Gebrauch gemacht wird, im offenen Vollzug (mit Schwankungen zwischen den Bundesländern) wahrscheinlicher sein mag als im geschlossenen. Am Beispiel einer Verbüßung von Freiheitsstrafen nur am Wochenende, die etwa in der Schweiz besteht, wohingegen eine ähnliche Herangehensweise in Deutschland nur bezogen auf den Jugendarrest gegeben ist, der schon von Beginn an nur in Freizeiteinheiten verhängt wird, zeigt sich im Vergleich etwa mit einer höchst intensiven Bewährungsüberwachung, wie sie etwa in Bulgarien möglich ist, dass ambulante Sanktionen nicht zwangsläufig weniger belastend sein müssen als eine gelockerte Variante des Strafvollzugs. Die Frage, welche Sanktionen als milder oder weniger mild wahrgenommen werden, stellt vielmehr eine eigenständige Forschungsfrage dar, auf die noch einzugehen ist.

 
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