Randomisierte Kontrollgruppenstudie in der Schweiz: Gemeinnützige Arbeit im Vergleich zu (sehr) kurzen Freiheitsstrafen

Da Forschungsergebnisse aus den Vereinigten Staaten nur einen begrenzten Wert für den europäischen Kontext haben, kann das Beispiel eines randomisierten Experiments aus der Schweiz vielleicht mehr Aufschluss bringen – ungeachtet der Tatsache, dass die Vergleichbarkeit verschiedener europäischer Staaten und selbst verschiedener Regionen eines Landes ebenfalls problematisch erscheint. Zwischen 1993 und 1995 wurde in dem schweizerischen Kanton Vaud gemeinnützige Arbeit als Alternative für nicht zur Bewährung ausgesetzte kurze Freiheitsstrafen angewandt. Die kurzen Freiheitsstrafen durften nicht länger als 14 Tagen andauern – eine Haftdauer, die in vielen europäischen Ländern wegen der weitverbreiteten Annahme, dass kurzzeitiger Freiheitsentzug schädlich sei, ohnehin unmöglich wäre. Letztere beruht auf der Lehre von Franz von Liszt, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Überzeugung vertrat, dass kurzfristige Freiheitsstrafen zwar lange genug seien, um den Täter aus seinem Umfeld zu reißen sowie sein Arbeits- und Privatleben zu gefährden, jedoch zu kurz, um eine Gelegenheit zur Besserung zu bieten, die dem Freiheitsentzug jedoch nunmehr als Aufgabe zugeschrieben wurde. In der Schweiz hingegen sind kurzzeitige Freiheitsstrafen sehr beliebt. So betrugen die Freiheitsstrafen zum Zeitpunkt des Experiments, d. h. im Jahr 1996, in 42 Prozent der Fälle 14 Tage oder weniger. Zudem wurden in der Schweiz acht Arbeitsstunden als Ersatz für einen Hafttag angerechnet, während die Anzahl an Arbeitsstunden, die etwa aktuell in Deutschland einem Tag in der Haft (Ersatzfreiheitsstrafe) entspricht, normalerweise zwischen drei und sechs Stunden variiert. Die schweizerische Studie ergab, dass die Prävalenz von erneuten Festnahmen durch die Polizei bei der Kontrollgruppe, also denjenigen mit einer Freiheitsstrafe, etwas höher war, jedoch die Unterschiede der beiden Gruppen in Bezug auf Rückfälligkeit, spätere Arbeitsaufnahme sowie die sozialen und privaten Lebensumstände nicht signifikant waren.

Zunächst einmal ist damit festzuhalten, dass die beiden Sanktionsformen keine signifikant unterschiedlichen Ergebnisse erbringen und daher kein Grund erkennbar wird, unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit betreffend den Rückfall die eingriffsintensivere Sanktionsform zu wählen. Auch wenn in dieser Studie die sehr kurze Freiheitsstrafe keine bessere Wirksamkeit in Bezug auf den Rückfall zeigte, sollten diese Ergebnisse weiterhin nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, dass Freiheitsstrafen generell keinen schädlichen Einfluss auf die berufliche Karriere, die soziale Inklusion sowie das Familien- und Privatleben hätten. Während einer (sehr) kurzen Freiheitsstrafe mag eine abhängig beschäftigte Person noch in der Lage sein, ihr Anstellungsverhältnis aufrecht zu erhalten, verbüßt sie jedoch eine längere Haftstrafe, ist dies gänzlich anders. Hierbei gilt es zu berücksichtigen, dass die Haftdauer in dem vorliegenden Experiment so kurz war, dass sie während des Urlaubs oder gar während des Wochenendes hätte verbüßt werden können. Gemeinnützige Arbeit wurde hierbei zumeist als Alternative zur „Halbgefangenschaft“ angewandt. In der Schweiz gibt der Vollzug der „Halbgefangenschaft“ den Gefangenen die Möglichkeit, die Haftanstalt tagsüber zu verlassen, um arbeiten zu gehen, und verpflichtet sie, lediglich in der Nacht und an Wochenenden in der Haftanstalt zu bleiben. Die Personen aus der Kontrollgruppe der vorliegenden Studie, die also der Inhaftierung zugewiesen wurden, dürften ihre Strafe ohne solche Erleichterungen verbüßt haben, hatten jedoch vor der Zufallszuweisung die Möglichkeit, aus dem Experiment auszuscheiden, wovon in der Hoffnung, in den Genuss von Halbgefangenschaft zu kommen, auch Gebrauch gemacht wurde. Dass die Inhaftierung keinen schädlicheren Einfluss auf die spätere Jobsituation genommen hat als die Ableistung von gemeinnütziger Arbeit mag daher weniger bemerkenswert erscheinen, da diejenigen mit einer starken Bindung zu ihrem Job bewusst nicht an dem Versuch teilgenommen haben werden. Es mag ferner sein, dass die negativen Auswirkungen von Freiheitsstrafen auf die Jobaussichten und Lebensumstände der Betroffenen nur in Verbindung mit einer mehr als nur minimalen Haftdauer zum Tragen kommen und dass die jahrhundertelange Debatte über die schädlichen Effekte von kurzen Freiheitsstrafen fälschlicherweise den Blick von den ungewünschten Auswirkungen längerer Haftstrafen abgewendet hat.[1] Es ist sehr gut denkbar, dass die von der schweizerischen Studie umfasste Haftdauer einen zu kleinen Teil dessen widerspiegelt, was in vielen anderen europäischen Ländern noch als „kurze Freiheitsstrafe“ angesehen wird – wie etwa in Deutschland, wo bis zu sechs Monaten von einer kurzen Freiheitsstrafe ausgegangen wird[2], um auch nur solche in vergleichbarer Weise abzudecken, von längeren Haftstrafen ganz zu schweigen. Deshalb können die Erkenntnisse aus dieser Studie nicht die Annahme widerlegen, dass kurze – wie auch längere – Haftstrafen zu negativen Effekten bei den Betroffenen führen können.

Ein weiteres Ergebnis der Studie lies den Schluss zu, dass gemeinnützige Arbeit dem Freiheitsentzug vorzuziehen sei. Die zwei Gruppen des Experiments entwickelten sich im Laufe der Nachbeobachtungszeit unterschiedlich. Während die gemeinnützige Arbeit leistende Versuchsgruppe eine Verbesserung bezüglich der Rückfälligkeit aufwies, verschlechterte sich die Kontrollgruppe der Gefangenen gleichzeitig.

Im Hinblick auf die vorliegend interessierende Frage des Vergleichs der Wirkungen von freiheitsentziehenden in Relation zu ambulanten Sanktionen, stellte dieses Experiment – als eine von fünf Studien der besagten Metaanalyse – einen inhaltlich sehr begrenzten Vergleich an, indem eher gleichartige Sanktionen miteinander kontrastiert wurden. So dürfte etwa die Unterschiedlichkeit von einer Freiheitszu einer Bewährungsstrafe in vielerlei Hinsicht augenfälliger sein als jene zwischen einer Haftstrafe von wenigen Tagen im Vergleich zu wenigen Tagen gemeinnütziger Arbeit. Man würde daher bei der Konzeption einer Studie über die Auswirkungen von Freiheitsstrafen auf die Rückfälligkeit und das Leben von Gefangenen, regelmäßig einen Zeitrahmen wählen, der 14 Tage deutlich übersteigt, will man aussagekräftige Ergebnisse erhalten.

Als ein weiteres Resümee ihrer Studie beschreiben die Autoren, dass beide Sanktionsformen die Straffälligkeit der Betroffenen in Bezug auf die Zahl der von ihnen ausgehenden Taten um 40 Prozent und in Bezug auf den Anteil der Rückfälligen um etwa die Hälfte reduziert hätten. Infolgedessen betrachten die Autoren die Behauptung „punishment does not work“ als ungerechtfertigten Pessimismus. Diese Schlussfolgerung kann allerdings nicht mit dem Untersuchungsdesign und den Ergebnissen der Studie belegt werden und gerade Forscher, die Kausalitätsproblemen mittels experimenteller Forschungsdesigns große Aufmerksamkeit schenken, sollten sich nicht zu derartigen Schlüssen verleiten lassen. Solange experimentelle Designs keine Kotrollgruppen mit Nicht-Intervention einbeziehen, kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass beide der untersuchten Gruppen aufgrund natürlicher, d. h. nicht auf die jeweilige Intervention zurückzuführender, Reifungsprozesse eine Verbesserung aufweisen. Weil diese dann auch bei bloßem Nichtstun eingetreten wäre, kann nicht auf einen kausalen Einfluss der strafrechtlichen Sanktionen rückgeschlossen werden. Es ist vielmehr sogar denkbar, dass die einbezogenen Personen noch umso bessere Ergebnisse in Hinblick auf spätere Straffälligkeit, ihre berufliche Entwicklung und ihre persönlichen Verhältnisse gezeigt hätten, wenn mit überhaupt keiner Sanktion auf sie eingewirkt worden wäre. Die Forscher haben zudem Differenzen bezüglich der Einstellungen von Versuchspersonen beider Gruppen nach Beendigung der Strafe beobachtet, wobei diejenigen aus der Gefangenengruppe zu eher negativen Einstellungen neigten. Sie zeigten Frustration über ihre Zuweisung zum Freiheitsentzug, negativere Einstellungen betreffend ihre Tatbegehung, die erhaltene Strafe und die Personen, denen sie dafür die Verantwortung zuschrieben. Während die Autoren der Studie feststellten, dass der Freiheitsentzug zwar keine statistisch signifikant negative Auswirkung auf die Straffälligkeit und Lebensperspektiven der Betroffenen gehabt habe, schien er ihnen zumindest die Einstellung gegenüber Strafen beeinflusst zu haben. So rief die Tatsache, eine (sehr kurze) Freiheitsstrafe verbüßt zu haben statt gemeinnützige Arbeit abzuleisten, bei den Betroffenen die starke Assoziation einer „unfairen“ Strafe hervor. Die Autoren reduzierten diese Haltung freilich auf einen „Denkfehler“, der auf dem fehlenden Schuldeingeständnis und einer Projektion auf die Behörden beruhe. Aus menschenrechtlicher Perspektive ist dieser Punkt demgegenüber aber ausgesprochen wichtig, weil eine von den Betroffenen als fair wahrgenommene Sanktionspraxis dabei auch ganz unabhängig von den damit erreichbaren Rückfallquoten zentral ist. Es wurde von den Forschern zudem angeführt, dass die positive Entwicklung der Rückfälligkeit in Bezug auf die Inzidenzraten bei den Probanden, die gemeinnützige Arbeit leisten mussten, auf der Tatsache beruht haben könnte, dass diese Gruppe eine Wahl gehabt und sich glücklich geschätzt habe, in die Zufallsverteilung einbezogen worden zu sein. Wenn Zufallsverteilungen aber tatsächlich einen solchen Effekt erzielen könnten, dann wäre das bessere Abschneiden von alternativen Sanktionen gegenüber dem Freiheitsentzug in randomisierten Studien – zumindest in gewissem Maße – als ein Artefakt der Forschung zu betrachten. Das ist zumindest das, was die Autoren der systematischen Review nahelegen. Dies würde erneut zeigen, dass randomisierte Forschungsdesign eben nicht, wie gerne behauptet wird, der allen anderen Methoden überlegene „Goldstandard“ sind, sondern dass sie lediglich andere Arten von Fehlern und Problemen aufweisen als es etwa bei quasi-experimentellen Designs der Fall ist. Statt nun aber den Versuch zu unternehmen, eine solche (mögliche) Fehlerhaftigkeit der Ergebnisse zu beseitigen, könnte man auch zu einem anderen Schluss gelangen: Sie kann die Notwendigkeit verdeutlichen, das Fairnessprinzip bei der Anwendung von Sanktionen stärker zu beachten und die Zustimmung der Betroffenen zu ihrer Grundlage zu machen oder diesen bei der Sanktionsauswahl zumindest ein Mitspracherecht, oder sogar ein Wahlrecht, einzuräumen. Dieser Aspekt wird im Folgenden noch detaillierter in Bezug auf den von den Autoren der systematischen Review angesprochenen Hawthornebzw. Placeboeffekt erläutert.

  • [1] Für letzteres auch Killias et al. 2000, S. 40-57
  • [2] § 47 StGB
 
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