Grenzen des Mythos: Ambivalenzen und Dysfunktionalitäten bei der Nutzung von Leiharbeit und Werkverträgen

Im Hinblick auf den Einsatz von Leiharbeit und Werkverträgen in den Betrieben werden die ‚mythischen' Elemente der Finanzialisierung – als weitgehend kollektiv geteilter, nicht hinterfragter Glaube an die Wirkungsmacht der bezeichneten Zwänge – dadurch reproduziert, dass Ursache-Wirkungsbeziehungen bzw. Nutzeneffekte der Instrumente vage bleiben und Risiken bzw. negative Folgeerscheinungen ignoriert werden. In den öffentlichen Debatten werden etwaige Dysfunktionalitäten von Leiharbeit und Werkverträgen kaum beachtet, obgleich sie dazu führen können, die angestrebten Effekte zu konterkarieren. Welche Paradoxien und Dysfunktion sind evident?

Hinsichtlich des Managements der Arbeitskräfte ist der Einsatz von Fremdpersonal nicht nur keine ‚einfache' Strategie. Sie geht auch mit typischen Paradoxien, Unsicherheiten und Friktionen einher. So liefern vorliegende Berichte und Studien über Praktiken des Einsatzes von Leiharbeit und Werkverträgen zahlreiche Hinweise auf Probleme und Dysfunktionalitäten dieser personalwirtschaftlichen Instrumente. Dies bezieht sich vor allem auf solche Nutzungsformen, bei denen Unternehmen qualifizierte Stammbeschäftigte durch Leiharbeitsoder Werkvertragsarbeitskräfte zu ersetzen versuchen, um Tarifverträge oder Mitbestimmungsregelungen zu unterlaufen und um Kosten zu senken (z. B. Iwanowski 2013).

Auf Risiken zwischenbetrieblicher Personalnutzung lassen Analysen aus der Netzwerkforschung schließen, die generell die Gefahr von Koordinations- und Steuerungsproblemen, wachsender Komplexität, Opportunismus oder Know-how-Verlust betonen (z. B. Hirsch-Kreinsen 2002; Köhler 1999; Uzzi 1997). Die Nutzung von Leiharbeit stellt Unternehmen vor besondere Herausforderungen (vgl. Hertwig/Kirsch 2014 für Beispiele): So berichten manche Geschäftsführer von Störungen der Abläufe, wenn die Qualifikationen und Fertigkeiten des vom Verleiher entsandten Personals nicht mit den Anforderungen der Entleiher übereinstimmen oder entsprechendes Personal nicht rechtzeitig zur Verfügung steht. Bereits die Suche nach einer passenden PersonalleasingAgentur wird als zeitraubender und von Rückschlägen geprägter Vorgang beschrieben. Auch Konflikte zwischen Fremdpersonal und Stammbelegschaft können für Probleme sorgen. Positive Kosteneffekte der Leiharbeit gehen z. T. dadurch verloren, dass hohe Aufschläge für den Verleiher zu entrichten sind. Hinsichtlich der Werkverträge ist nicht auszuschließen, dass gerade angesichts der jüngeren medialen Berichterstattung der intensive Gebrauch dieser Strategie mit erheblichen Image-Schäden für Unternehmen einhergeht.

Ein weitaus grundsätzlicheres Problem besteht darin, dass Personalstrategien, die zur Erzielung eines Produktmarkterfolgs verfolgt werden, sich gravierend von solchen unterscheiden können, die auf einen Finanzmarkterfolg abzielen. Mitunter stehen beide sogar in einem offenen Widerspruch zueinander. So mag die positive Finanzmarktbewertung zur Schließung oder zum Verkauf produktiver Betriebsstätten führen, die für einen Erfolg am Produktmarkt dagegen dringend benötigt würden. Mitunter legt die Finanzialisierungslogik die Entlassung von Fachkräften und deren Substitution durch Werkvertragsoder Leiharbeitskräfte nahe, selbst wenn Letztere über das erforderliche Know-how und betriebsspezifische Wissen gar nicht verfügen können, das für eine erfolgreiche Fertigung notwendig wäre (s. auch Dörre 2009).

Vor allem bei Werkverträgen existieren spezifische Risiken. Ein Werkbesteller agiert zunächst unter dem Risiko, die Werkvertragsarbeitskräfte als eigene Angestellte übernehmen zu müssen, falls sich der Werkvertrag als illegale Arbeitnehmerüberlassung entpuppt (Brors/Schüren 2014). Hier herrscht bislang eine enorme Rechtsunsicherheit, die im Verdachtsfall eine Einzelfallprüfung erfordert, und Werkbesteller achten mittlerweile offenbar akribisch auf die Trennung von Arbeitnehmerüberlassung und Werkvertragsarbeit entlang der zentralen Kriterien (Weisungen, Vermischung der Einsatzfelder von Stamm- und Werkvertragsbelegschaft, Haftungsfragen).

Im Falle des Schein-Werkvertrags jedoch wird die für den Werkvertrag eigentlich konstitutive Verlagerung von Leistungs- und Kontrollaufgaben auf ein Werkunternehmen aufgebrochen. Dies kann im Einzelfall zu ambivalenten Folgen führen: Ein Werkbesteller hat laut Gesetz Anspruch auf „Herstellung des versprochenen Werkes“ bzw. einen „durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführende[n] Erfolg“ (BGB § 632 (1) und (2)). Beim Scheinwerkvertrag gibt das Werkunternehmen den Einfluss auf die Fertigung bzw. das Erreichen des „Erfolges“ jedoch an den Werkbesteller ab, da die Beschäftigten nicht der Weisung des Werkunternehmens, sondern der des Bestellers unterstehen. Problematisch wird dies fürs Werkunternehmen, wenn der Erfolg nicht herbeigeführt wird und der Werkbesteller das Werkunternehmen für den Misserfolg haftbar macht. Da eine abweichende Haftungsverantwortung nicht vertraglich geregelt werden kann – die verdeckte Arbeitnehmerüberlassung wäre ansonsten formal kodifiziert – liegt ein erhebliches Risiko beim Werkunternehmen, welches sich beispielsweise auch auf Haftungsverpflichtungen für Schäden bezieht, die von Werkvertragsarbeitskräften verursacht werden. Eine solche paradoxe Konstellation ist schwer zu erklären: Möglicherweise rechtfertigen die hohen Gewinnaussichten für das Werkunternehmen die ungleiche Risikoverteilung. Mitunter liegen der Geschäftsbeziehung aber auch implizite Vertragsbestandteile zwischen Besteller und Werkunternehmen zugrunde, die – da sie nicht rechtlich abgesichert werden können – auf einer Vertrauensbeziehung basieren, die aus langjährigen Geschäftsbeziehungen, z. B. im Bereich der gewerblichen Leiharbeit, resultiert. Etwaige, eigentlich justiziable Schäden werden so informell zwischen den Vertragspartnern geregelt – und stabilisieren dabei den Beziehungszusammenhang.

Aus Sicht des Werkbestellers lassen sich mit Hilfe von Scheinwerkverträgen auf den ersten Blick konkurrierende Ziele gleichzeitig erreichen: Erstens können Personalkostensenkungs- und Flexibilisierungseffekte erzielt werden, die früher vor allem die Leiharbeit bereithielt; zweitens behält der Werkbesteller die Kontrolle über den Arbeitsprozess – was mit Hilfe der Leiharbeit auf legale, unter Nutzung von Werkverträgen indes nur auf illegale Weise (ScheinWerkvertrag) möglich ist. Das ‚reguläre' Outsourcing, d. h. die Auslagerung von Leistungsprozessen, die dann über den Markt bezogen werden, führt nach transaktionskostentheoretischer Lesart zu einer Produktionskostensenkung für diese Leistungen. Wie geschildert sind hier vor allem Einsparungen bei den Personalkosten bezeichnet, die auch über die Umgehung von Tarifverträgen realisiert werden. Auf der anderen Seite hat Outsourcing aber Transaktionskostensteigerungen (durch Vertragsanbahnung, Überwachung, Abwicklung) und einen Kontrollverlust zur Folge. Denn im Normalfall bezieht der Besteller nur noch das fertige Produkt, übt jedoch keinen direkten Einfluss mehr auf die Leistungserstellung und damit z. B. auf die Qualität aus (Williamson 1990). Beim Scheinwerkvertrag wird der Nachteil des Kontrollverlustes indes umgangen, da hier der Besteller zwar formal ein Werk einkauft, das Weisungsrecht für die Beschäftigten jedoch behält und damit nach wie vor weite Teile des Produktionsprozesses kontrollieren kann.

So vorteilhaft und naheliegend diese Konstellation – lässt man die möglichen Konsequenzen arbeitsrechtlicher Verstöße einmal außer Acht (Brors/Schüren 2014) – auch scheint, so können aus ihr doch weitere Probleme resultieren, die die Vorteile des ‚scheinbaren Outsourcing' sogar überkompensieren können: So ist eine Steigerung der Komplexität zu erwarten, weil betriebsübergreifende Abstimmungsprozesse beim Personaleinsatz zu managen sind, denen jedoch – anders als beim ‚klassischen' Outsourcing der 1980er und 1990er Jahre (vgl. z. B. Deiß/Döhl 1992) – keine interne Komplexitätsreduktion gegenübersteht. Im Hinblick auf das Management des Arbeitseinsatzes wird das Transformationsproblem eben nicht auf das Werkunternehmen verlagert, sondern muss in erweitertem Maßstab, nämlich unter Einschluss der Werkvertragsarbeitskräfte, ‚inhouse' gelöst werden. Hinzu kommen neue Herausforderungen für das Personalsowie für das Einkaufsmanagement; Letzteres ist im Hinblick auf Werkvertragsbeziehungen oft der zentrale Akteur. Da es sich im Falle von Scheinwerkverträgen nicht um zu beschaffende Waren, sondern um Werkvertragsarbeitskräfte handelt, stellen sich für die Einkäufer neue, bislang nicht gekannte Anforderungen der zwischenbetrieblichen Personalkoordination, der Bearbeitung von Konflikten oder von Insider-Outsider-Effekten, die früher in den Bereich der Personalabteilung fielen. Auf diese Weise tangieren Scheinwerkverträge letztlich die innerbetriebliche Verteilung von Aufgaben, Verantwortung und auch ‚Relevanz', die mikropolitische Spiele, Verteilungskämpfe und entsprechende Friktionen evozieren kann.

 
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