Pflegen im Zeitalter des Finanzmarktkapitalismus
Nach gängigem Verständnis zeichnet sich der Finanzmarktkapitalismus durch ein charakteristisches Zusammenspiel von ökonomischen Institutionen und Interessen aus, zu denen Aktienmärkte, das Primat des Shareholder Value, die wichtige Rolle von Analysten und Rating-agenturen sowie das Drohpotenzial feindlicher Übernahmen und dem damit verbundenen Personalabbau gehören (Faust et al. 2011; zu engen und weiten Konzeptionen von Finanzmarktkapitalismus vgl. Haipeter in diesem Band). Von all dem, könnte man meinen, ist die Altenpflegebranche nicht betroffen. Der Markt ist zwischen den Anbietern stark zersplittert, börsennotierte Unternehmen spielen erst seit wenigen Jahren eine (geringe) Rolle und dies bislang hauptsächlich in der stationären Pflege in Heimen. Der sich seit einigen Jahren anbahnende und nun zunehmend realisierte Fachkräftemangel in der Pflege bei gleichzeitig steigenden Pflegebedürftigenzahlen lässt zudem erwarten, dass bei fehlender Konzessionsbereitschaft der Beschäftigten die im Zeitalter der Kosteneinsparung so erfolgreiche Drohkulisse des Personalabbaus und Arbeitsplatzverlustes ihre abschreckende Wirkung verfehlt.
Doch diese Erwartung ist illusionär. Die Pflegeversicherung als Wegbereiterin des deutschen Pflegemarktes ist insofern von der Logik und den Leitbildern des Finanzkapitalismus durchdrungen, als ihre Ausgestaltung in eine Hochzeit der Kapitalismus- und Marktgläubigkeit fiel, in der man sich vom Markt bessere Ergebnisse als von staatlicher Politik versprach (Bofinger 2008). Dies war der Boden, der sich für die Entwicklung der mit dem Finanzkapitalismus einhergehenden neuen Leitbilder der Unternehmensführung und Begründungsordnungen als besonders fruchtbar erwies. Faust et al. (2011) sprechen in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Becker (2010) von „Veränderungen kognitiver Rahmungen“ im deutschen Modell. Hier spielen „Erzählungen des Managements“ eine Rolle, die bestimmtem Handeln unvermeidliche, sachliche Gründe zuordnen und sowohl nach außen als auch nach innen wirken (siehe Haipeter in der Einleitung). Bezogen auf die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen innerhalb der Pflege bilden, wie der vorliegende Beitrag aufzeigt, die leeren öffentlichen Kassen die Basis für ein Narrativ, das die Sachzwänge, wie sie von der Pflegeversicherung geschaffen werden, als unvermeidlich darstellt.