Kennziffern und Unternehmenssteuerung
Alle Unternehmen des Untersuchungssamples haben einen finanzwirtschaftlichen Kontrollmodus eingeführt: Dezentrale Einheiten wurden geschaffen und mit operativer Selbständigkeit ausgestattet; ihre Performance wird mit finanzwirtschaftlichen Kennziffern gemessen. Je nach Unternehmen können diese Einheiten Marken, Produktbereiche oder Divisionen sein, die immer nach finanzwirtschaftlichen Zielvorgaben gesteuert werden. Geschäftsfelder, die nicht zum festgelegten Kerngeschäft gehören und langfristig keine Perspektiven aufzeigen können, die gesetzten Ziele zu erreichen, sind Wackelkandidaten und laufen Gefahr, geschlossen oder veräußert zu werden. Investitionen, für die eine Verzinsung in Höhe der Zielvorgaben nicht nachgewiesen werden kann, werden nicht oder nur mit Auflagen getätigt. Diese skizzierte Grundform der Finanzialisierung der Unternehmenssteuerung findet sich in allen Fällen des Unternehmenssamples unabhängig von der jeweiligen Eigentümerstruktur und der Kapitalmarktexposition.
Unterschiede bestehen zwischen den Unternehmen jedoch darin, wie stark die Unternehmenssteuerung an Kennziffern orientiert ist. In dieser Frage gibt es eine erhebliche Spannbreite bei den Fällen, wobei die Kapitalmarktexposition eine wichtige Rolle spielt. Zu den Unternehmen mit einer strengen Handhabung der finanzwirtschaftlichen Kontrolle gehört Fahrzeug, das eine breit gestreute Eigentümerstruktur aufweist. Anfang der 1990er Jahre begann die Aufspaltung der Unternehmensorganisation in ergebnisverantwortliche Geschäftseinheiten und Divisionen; die Steuerung dieser Divisionen erfolgt nach finanzwirtschaftlichen Zielvorgaben, und Investitionen werden an Verzinsungsansprüche gekoppelt, die von den externen Verzinsungsmöglichkeiten auf den Kapitalmärkten abgeleitet werden. Am anderen Ende des Spektrums stehen Getriebe und Elektronik als Unternehmen, die nicht auf den Kapitalmärkten präsent sind. Beide sind im Stiftungsbesitz, und bei beiden betonen die Betriebsparteien, dass damit längerfristige Investitions- und Planungshorizonte einhergehen. In diesen Unternehmen wirkt die eingeführte finanzwirtschaftliche Kontrolle bislang weniger als Zwang; dennoch ist sie auch hier mit grundlegenden Veränderungen der Organisationsstrukturen wie der Dezentralisierung und der finanzwirtschaftlichen Durchleuchtung der dezentralen Einheiten verbunden. Die anderen Fälle bewegen sich zwischen diesen Polen: Bei PKW beispielsweise ist die Kapitalmarktexposition wegen der herausragenden Rolle von Ankerinvestoren gering. Das Unternehmen verfolgt eine ausgeprägte Wachstumsstrategie. Diese Wachstumsstrategie ist aber gekoppelt an ambitionierte Renditeziele, die an der Kapital- und an der Umsatzrendite gemessen werden.
Eine unmittelbare Anbindung der Erfolgsentgelte an die Kennziffern besteht nur in einer Minderheit der Fälle. Nur bei Antrieb, Elektronik, Fahrzeug und Jet sind die Kennziffern der Unternehmenssteuerung auch als Kennziffern für die Berechnung der Erfolgsentgelte übernommen worden. Hier ist versucht worden, eine Homogenität der Kennziffernsteuerung zu schaffen, die auch die Entgelte einbezieht. Dabei sind übrigens keine Zusammenhänge zur Kapitalmarktexposition der Unternehmen festzustellen. Bei Antrieb, Elektronik und Jet sind dafür mit dem Wertbeitrag (Antrieb, Elektronik) bzw. dem Cash Flow (Jet) wertorientierte Kennziffern eingeführt worden, die jeweils die Kapitalkosten mit einbeziehen. In diesen Unternehmen gilt: Ist das Unternehmen – oder bei Elektronik und Fahrzeug: die Geschäftseinheit – nach den Kriterien der Unternehmenssteuerung erfolgreich, so profitieren davon auch die Beschäftigten. Und ist es das Unternehmen oder die Geschäftseinheit nicht, bekommen die Beschäftigten dies in Form ausbleibender Erfolgsentgelte zu spüren. Dennoch aber wird weder in diesen noch in den anderen Unternehmen der finanzwirtschaftliche Bezug der Kennziffern in der Unternehmenssteuerung oder in der Personalpolitik offensiv für die Verallgemeinerung einer ‚Wertorientierung' im Management oder unter den Tarifbeschäftigten genutzt. Darin spiegelt sich wider, dass die Einführung der Erfolgsentgelte in den meisten Fällen Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses und nicht eines strategischen Unternehmensplans war.