„Vor diesem Hintergr- und sehe das BfV in der jüngeren Entwicklung Ansätze für einen Rechtsterrorismus“

Dem BfV wurde regelmäßig vorgeworfen, dass das Amt rechten Terror auch in der entscheidenden Phase – als das Morden des NSU begann – nicht für möglich hielt. So wurde wiederholt in den verschiedenen Untersuchungsausschüssen thematisiert, dass das BfV in seinen Jahresberichten nie die Möglichkeiten von rechtem Terror betont hat – diese Berichte sollen also als Beleg herhalten, dass das BfV rechten Terror tatsächlich nicht für möglich hielt. Der Inlandsgeheimdienst kennt allerdings nicht nur eine Wahrheit – gegenüber der Öffentlichkeit oder dem Parlament kommuniziert der Dienst selten sein ganzes Wissen oder eine Analyse, die auf alle Quellen zurückgreift. Da die heikelsten Informationen meist von VMännern stammen, werden die in den Schlüsselberichten ausgeklammert. Intern und innerhalb der „Staatsschutzfamilie“ kommuniziert das BfV offener.

So war tatsächlich das BfV im Jahr 2000, tragischerweise nur wenige Tage nach dem ersten Mord des NSU – der Blumenhändler Enver Simsek war in Nürnberg erschossen worden –, analytisch auf einer heißen Spur. Das BfV hatte Terroranschläge durch mehrere rechtsextremistische Einzeltäter oder Kleingruppen in den Jahren zuvor registriert:

• Kay Diesner erschoss 1997 einen Polizisten, verletzte zwei weitere Menschen schwer. Er bezog sich auf den „Weißen Arischen Widerstand“. In der deutschen Szene kursierte in Konzept:

„Wie aus dem in der FASCHISMUS-Schulungsbroschüre angeführten „Mein Kampf“-Zitat hervorgeht, haben wir alle die Pflicht zum Widerstand – und zwar zum Widerstand mit a l l e n Waffen! Es laufen Vorbereitungen, dem Staatsterror gewappnet entgegentreten zu können. Widerstand regt sich, Deutscher Widerstand. Wir wollen hier keinen neuen Verein gründen (der dann sowieso ganz schnell wieder verboten würde). Der WEISSE ARISCHE WIDERSTAND DEUTSCHLAND ist keine Organisation mit Vorsitzendem, Kassierer usw. Man kann ihm nicht „beitreten“, bekommt auch keinen „Mitgliedsausweis“.“

• Der britische Neonazi David Copeland zündete 1999 mehrere Nagelbomben in London. Er sagte umfassend aus:

„Frage der Polizei: Warum Angriff auf Schwarze und Asiaten?

Copeland: Weil ich sie nicht mag. Ich will, dass sie aus diesem Land verschwinden. Ich bin ein nationalsozialistischer Nazi [National Socialist Nazi]. Ich glaube an die Herrenrasse ... Mein Ziel war politisch, ich wollte einen Rassenkrieg in diesem Land.

Frage: Also, indem Sie Bomben in Brixton und in der Bricklane legten, hofften Sie auf ... Copeland: ... einen Gegenschlag. Frage: .. von?

Copeland: „... den ethnischen Minderheiten. ... Es wäre nur ein Funken. Dieser Funken würde das ganze Land in Flammen setzen. Chaos, Zerstörung, Feuer, das ist okay. Wenn Sie die Turner Diaries gelesen haben, naja, im Jahr 2000 beginnt die Revolution [tatsächlich im Jahr 1991, d.A.], und die Rassengewalt wird die Straßen beherrschen, es gibt einen Rassenkrieg und die Menschen werden die BNP wählen.“

Copeland wird schließlich gefragt, was das ultimative Ziel ist: „Ein nationalsozialistischer Staat ... für dieses Land, für die ganze Welt. Die Arier würden die Welt dominieren. Die weiße Rasse ist die Herrenrasse [und] die britischen Menschen haben ein Recht auf eine ethnische Säuberung.“ Er bezieht sich damit – wie Wiesner – eindeutig auf das Konzept des „Weißen Arischen Widerstands“.

• In Schweden raubte eine dreiköpfige Terrorgruppe, die sich ebenfalls auf den

„Weißen Arischen Widerstand“ berief, eine Bank aus. Einer der Täter erschoss auf der Flucht zwei Polizisten mit ihren eigenen Waffen und nahm die Pistolen anschließend mit.

• In Deutschland erschoss der Neonazi Michael Berger, bei dem auch eine psychische Erkrankung festgestellt wurde, im Juni 2000 zwei Polizisten.

• Bei einem Bombenanschlag in Düsseldorf im Juli 2000, der sich unter anderem gegen Auswanderer aus Russland zu richten schien und bei dem mehrere Menschen schwer verletzt wurden, konnte ein rechter Hintergrund nicht ausgeschlossen worden.

Das waren nur die spektakulärsten Vorkommnisse, es gab noch diverse andere Vorfälle mit klarem rechtsterroristischem Bezug. Das BfV zog aus diesen Attentaten in Deutschland und Europa die richtigen Schlüsse. Die Analysten des BfV stellten diese Anschläge bei einem Treffen aller Landeskriminalämter, des BKA und der Verfassungsschutzbehörden in Eisenach vor. Sie betonten dort: „Den Waffenfunden kommt vor der seit ca. eineinhalb Jahren geführten Gewaltdiskussion [in der Szene] eine besondere Bedeutung zu. Auch wenn sich viele Rechtsextremisten – wenn auch aus taktischen Gründen – von der Anwendung von Gewalt distanzieren, haben sich die Stimmen gehäuft, die Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele befürworten.“ Dann folgte ein Eigenlob: „Das BfV konnte Dank seiner operativen Arbeit – zum Teil in enger Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden der Länder und dem MAD – eine ganze Reihe von Hinweisen auf Waffenund Sprengstoffbesitz in der rechtsextremistischen Szene gewinnen und die Strafverfolgungsbehörden informieren. Im Rahmen der sich anschließenden Strafverfahren werden zumindest drei Gruppierungen in einem frühen Stadium zerschlagen, noch bevor sie sich zu terroristischen Organisationen entwickeln oder schwere Gewalttaten verüben konnten.“ Eines der wichtigsten Instrumente des BfV, um die erwähnten „Gruppierungen“ zu zerschlagen, waren wiederum Informanten.

Ein Mitarbeiter des BfV bewertete die Entwicklung auf der Sicherheitskonferenz noch vor einem anderen Hintergrund – die Gesetze, die eine terroristische Vereinigung nach dem Vorbild der RAF definieren, seien zu starr – sein Amt habe schon umgedacht, sagte der Mitarbeiter vom Bundesamt laut Protokoll: „Er verweist darauf, dass die seit Jahren von den Verfassungsschutzbehörden benutzte Definition des Terrorismus weder eine zielgerichtete Vereinigung von mindestens drei Personen noch ein Agieren aus dem Untergrund mit entsprechender Logistik und Unterstützerszene zwingend voraussetze. Vor diesem Hintergrund sehe das BfV in der jüngeren Entwicklung Ansätze für einen Rechtsterrorismus.“ Die anderen Teilnehmer stimmten nicht überein: „Demgegenüber sind die Vertreter der LKÄ und des GBA gegen eine darin gesehene Ausweitung der bisherigen Definition des Rechtsterrorismus. Diese müsse sich – gerade auch wegen der Wirkung auf die Öffentlichkeit – am Begriff der terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129 a StGB orientieren. Ansonsten werde es zu vermeidbaren und kaum lösbaren Abgrenzungsproblemen kommen.“

Mit anderen Worten: Die Landeskriminalämter und die Bundesanwaltschaft hatten Angst vor der schlechten Presse. Rechter Terror sollte tabu bleiben. Der Chef der Staatsschutzabteilung des BKA hatte zwar dafür Verständnis, „dass die VS-Behörden bei ihrer Bewertung nicht nur die bisherige Rechtsprechung ..., sondern auch eine phänomenologische Sicht unter Einbeziehung der herausragenden Fälle (terroristischer) Einzeltäter in Österreich (Briefbombenversender Fuchs) und den USA (UNA-Bomber) einbeziehen.“ Und der Mann vom BKA betont zudem selber, dass bestimmte „fremdenfeindliche Gewalttaten“ auf „ausländische Mitbürger“, „ängstigend“ und „terrorisierend“ wirken. Dennoch: Auch das BKA hielt es nicht für nötig, die Gesetze und damit die Terrorismus-Definition zu reformieren. Also hieß es im Protokoll: „Ergebnis: Die Vertreter … stellen übereinstimmend fest, dass derzeit kein Rechtsterrorismus in Deutschland feststellbar ist.“

Die wichtigsten Akteure des deutschen Sicherheitsapparats standen an diesem Tag in Eisenach an einem möglichen Wendepunkt – und entschlossen sich dennoch weiterzumachen wie bisher, obwohl die Hinweise, dass der rechte Terrorismus nicht mit der RAF zu vergleichen war, immer offensichtlicher wurden. Die bekannte Kleingruppe von militanten Neonazis, wie eben die Drillinge aus Jena, hätte genau in das neu definierte Raster gepasst. Sie hatte sich zwar in den Untergrund begeben, lebte illegal in Chemnitz, hatte dabei aber engen Kontakt zu bekannten rechten Akteuren und keinen Zugriff auf professionell gefälschte Papiere wie etwa die RAF. Die Drillinge lebten bei weitem nicht so „tief“ im Untergrund wie die Terroristen der RAF. Man hätte die Drillinge und ihre Unterstützer mit noch mehr Argwohn verfolgen können und müssen. Dass man das beim BfV entgegen der Aussage diverser Mitarbeiter des BfV nicht dennoch gemacht hat, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt.

 
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