„DER NSU IST KEINE ABSTRAKTE SACHE“ – Zahlreiche Hinweise auf den Nationalsozialistischen Untergrund

Das BfV nahm die untergetauchten Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe als Bedrohung lange sehr ernst, zudem hatte man im Jahr 2000 erkannt, dass auch von Gruppen, die nicht besonders groß und streng organisiert sein müssen, eine akute Terrorgefahr ausgehen kann. Im Jahr 2002 kommt schließlich eine weitere Schlüsselinformation hinzu: Gut ein Jahr nach der Sicherheitskonferenz bekamen verschiedenen Verfassungsschutzbehörden mit, dass eine Gruppe namens NSU existiert. 2002 berichtete ein V-Mann dem LfV Mecklenburg-Vorpommern von einem Brief, der in der Szene herumgeschickt wurde und dem Bargeld beigelegt wurde. Eine Gruppe namens „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hatte ein Schreiben an mehrere rechte Blätter verschickt, in dem es hieß:

„ENTSCHLOSSENES, BEDINGUNGSLOSES HANDELN SOLL DER GARANT DAFÜR SEIN, DAS DER MORGIGE TAG DEM DEUTSCHEN VOLKE GEHÖRT. JEDER KAMERAD IST GEFRAGT! AUCH DU ! ! ! GIB DEIN BESTES – WORTE SIND GENUG GEWECHSELT, NUR MIT TATEN KANN IHNEN NACHDRUCK VERLIEHEN WERDEN. DER NSU IST KEINE ABSTRAKTE SACHE. JEDER KAMERAD GEHÖRT DAZU SOFERN ER DEN MUT FINDET ZU HANDELN UND SEINEN BEITRAG ZU LEISTEN. WIE ERFOLGREICH DER NATIONALSOZIALISTISCHE UNTERGRUND IN DER ZUKUNFT SEIN WIRD (,) HÄNGT AUCH VON DEINEM VERHALTEN AB.“

Wenig später wurde eine Anzeige in dem Skinzine „Der Weiße Wolf“ veröffentlicht: „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen ;-) Der Kampf geht weiter…“ Der ehemalige Präsident des BfV Heinz Fromm hat vor dem NSU-Ausschuss in Berlin zugegeben, dass man die Anzeige durchaus registriert und einen Vorgang zu einer Gruppe NSU angelegt hat.

Nur wenige Monate später tauchte der Name „NSU“ in einem anderen Zusammenhang erneut auf. Einer der wichtigsten V-Männer des BfV – Thomas Richter alias Corelli – hatte seinem Kontakt-Agenten eine CD übergeben, auf der Dateien, Fotos und ein Cover gespeichert waren. Auf dem Cover war eine Pistole zu sehen – und der Schriftzug NSU/ NSDAP. Der Begriff wurde bei den Verfassungsschutzbehörden abgespeichert. Schon der Vordenker der rechten Szene, Michael Kühnen hatte gefordert, in „Mitteldeutschland“ einen „NS-Untergrund“ zu gründen. Das Konzept ist also den Verfassungsschutzbehörden ebenfalls seit Jahren bekannt.

Mitarbeiter des BfV haben inzwischen versucht, das Auftauchen der CD zu relativieren – der V-Mann habe ständig Material in großem Umfang abgeliefert, die NSU/ NSDAP-CD sei nur eine von vielen CDs gewesen. Allerdings gibt das BfV inzwischen zu, dass das Cover und ein Text über die NSU nicht bereits ausgedruckt, sondern lediglich als einzelne Dateien auf der CD gespeichert waren – das bedeutet, die CD wurde vom BfV gründlich untersucht, die entscheidenden Dateien auch wahrgenommen. Das BfV gibt inzwischen auch zu, dass man anschließend den V-Mann gezielt nach der Gruppe NSU/ NSDAP gefragt habe. Man hat sich also für die neue Gruppe durchaus interessiert. Angeblich blieb die Befragung von Corelli jedoch ohne Ergebnisse. Der V-Mann ist inzwischen verstorben – an einem Zuckerschock in Folge einer nicht erkannten und therapierten DiabetesErkrankung. Er kann also zu der CD und der Gruppe NSU/ NSDAP nicht mehr befragt werden. Der Innenausschuss des Bundestages hat inzwischen einen Sonderermittler eingesetzt, um den Fall zu untersuchen. [1] Ob man beim BfV die CD mit dem Brief des NSU in Verbindung gebracht hat, konnte bislang nicht geklärt werden, würde aber naheliegen.

Der Fall Corelli macht mehrere Punkte klar.

• Das BfV arbeitet Spuren durchaus gründlich und mit logischer Konsequenz auf. Von Desinteresse oder Schlamperei an dieser Stelle findet sich zunächst keine Spur.

• Das BfV hatte die Existenz von Corelli weder gegenüber dem Bundestags-Ausschuss noch gegenüber dem BKA zugegeben. Er wurde durch die Arbeit eben jenes Ausschusses bekannt. Auch die Existenz der CD im Archiv des BfV – die zuvor zunächst in der rechten Szene aufgetaucht war – wurde nur bekannt, weil das BKA gezielt nach diesem Beweismittel gefragt hatte. Das BfV blockiert mithin die Aufklärung des NSU-Komplexes und gibt immer nur das zu, was sowieso bekannt geworden ist. Es ist also zulässig, davon auszugehen, dass aktive und ehemalige Beamten des BfV auch weiter Wissen zurückhalten.

Als im Jahr 2003 zumindest den Analysten des BfV der NSU ein Begriff war, spielte der ehemalige BfV-Vizepräsident Klaus-Dieter Fritsche gegenüber dem Innenministerium nun die Terrorgefahr von rechts herunter. In einem Schreiben an den damaligen Innenminister Otto Schily beantwortete Fritsche, ob eine „Braune Armee Fraktion“ existiere:

„Bei einem Vergleich mit der RAF muss zumindest das wesentliche Merkmal dieser terroristischen Bestrebungen berücksichtigt werden. Die RAF führte ihren bewaffneten Kampf aus der Illegalität heraus. Das heißt, die Gruppe lebte unter falscher Identität, ausgestattet mit falschen Personaldokumenten und Fahrzeugdubletten in konspirativen Wohnungen. Dies erforderte ein hohes Know-how und ein Sympathisantenumfeld, das bereit war, den bewaffneten Kampf aus der Illegalität zu unterstützen. Zur Finanzierung dieses Kampfes wurden Raubüberfälle begangen. Absichten, einen Kampf aus der Illegalität heraus mit den damit verbundenen Umständen zu führen, sind in der rechten Szene nicht erkennbar. Es gibt derzeit auch keine Anhaltspunkte, dass eine solche Gruppe ein Umfeld finden würde, das ihr einen solchen Kampf ermöglicht. Die gewaltbejahenden Äußerungen in der rechten Szene sind in letzter Zeit seltener geworden.“

Schließlich erwähnte Fritsche sogar die Drillinge:

„In der Presse wird angeführt, dass es im Rechtsextremismus sehr wohl ein potentielles Unterstützerfeld gebe. Hierzu wird auf drei Bombenbauer aus Thüringen verwiesen, die seit mehreren Jahren ‚abgetaucht' seien und dabei sicherlich die Unterstützung Dritter erhalten hätten. Dem ist entgegenzuhalten, dass diese Personen auf der Flucht sind und – soweit erkennbar – seither keine Gewalttaten begangen haben. Deren Unterstützung ist daher nicht zu vergleichen mit der für einen bewaffneten Kampf aus der Illegalität.“

Abermals behaupten also zentrale Akteure vom BfV an dieser entscheidenden Stelle, dass man die wesentlichen Informationen – Bestrebungen der rechte Szene, Anschläge zu begehen, Existenz von Neonazis – wie den Drillingen – im Untergrund, die Überfälle begangen haben sollen, Auftauchen der Gruppe NSU, die den Untergrund im Namen trägt – nicht zu einem Gesamtbild zusammengefügt habe. Man hätte schlicht das Schicksal der abgetauchten Bombenbastler aus Jena „aus den Augen“ verloren.

Dass man die Drillinge beim BfV plötzlich uninteressant fand, ist bislang jedoch nichts weiter als eine Behauptung der durch den Berliner NSU-Ausschuss befragten Zeitzeugen des BfV. Zumal das BfV 2003 zudem von ausländischen Geheimdiensten gewarnt wurde, dass es eine aktive rechte Terrorgruppe in Deutschland geben könnte.

  • [1] Zum Zeitpunkt des Redaktionsschluss lag sein Bericht noch nicht vor.
 
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