Fremde Vertraute: Traditionelle Leitbilder und neue Herausforderungen der US Politik
Christian Lammert, Markus B. Siewert und Boris Vorman
Vertrautheit und Fremdheit pragen gleichermaßen das Bild der USA in der deutschen O¨ ffentlichkeit und genau das scheint es so schwierig zu machen, die USA zu verstehen: Pop Culture und Fast Food, Hollywood-Filme und Musikindustrie, in den Großstadten und auf allen Fernsehkanalen sind die USA auch in europaischen Landern standig prasent. Tea Party, Waffenrechte und Rassismus sind die andere Seite der Medaille, die die USA in ihren sozialen und politischen Auspragungen sowie historischen Entwicklungslinien auf Distanz zu Europa bringen.
Idealbilder • Fremd- und Eigenwahrnehmung • Politik und Gesellschaft • Krisensymptome -02642-4_1
Einleitung
Im Juni 2008 jubelten noch rund 200.000 Menschen in Berlin dem damaligen US-Prasidentschaftskandidaten Barack Obama unter der Siegessaule zu.
„Amerika hat keinen besseren Partner als Europa“, versicherte Obama der deutschen Bevo¨lkerung und betonte: „Wir mussen jetzt neue Brucken rund um den Globus aufbauen, die so stark sind, wie die, die uns uber den Atlantik verbinden“ (Obama, Barak 2010). Hatten auch die Deutschen 2008 an den Prasidentschaftswahlen in den USA teilnehmen ko¨ nnen, ca. 80 % hatten wohl fur Obama gestimmt. Die Hoffnung auf einen grundlegenden Politikwechsel in Washington, DC brachten die USA und Deutschland nach den zwei Amtszeiten von George W. Bush wieder naher zusammen – zumindest gefuhlt. Die transatlantische Wertegemeinschaft, die seit dem Zweiten Weltkrieg auf beiden Seiten des Atlantiks stets betont wurde, schien gestarkt.
Inzwischen ist dieser Eindruck jedoch verblasst, wenn nicht gar verflogen. Nicht zuletzt haben die jungsten Enthullungen um die Ausspah- und Abho¨raktionen der National Security Agency (NSA) das Vertrauen der Deutschen in die USA im Allgemeinen und auch in Prasident Obama im Speziellen erschuttert. So zeigten sich im November 2013 nur noch 43 % der Deutschen mit der Arbeit Obamas zufrieden – ein dramatischer Absturz von ehemals 88 % im April 2010. Daruber hinaus gaben 65 % der Befragten an, dass die USA kein vertrauenswurdiger Partner der Bundesrepublik seien (Deutschlandtrend 2013). Zu sehr fokussiert auf die Macht, die ein Prasident mit seinem Amt ubernehme, hatte man nicht nur hier zu Lande auf einen grundsatzlichen Wandel in der Politik der USA gehofft, ohne die tieferliegenden Pfadabhangigkeiten in der US-amerikanischen Politik sowie die zahlreichen anderen Akteure im politischen System und der Gesellschaft zu berucksichtigen, die den Handlungsspielraum eines Prasidenten beschranken. Checks and balances, Kontrolle und Gleichgewicht, diese Elemente haben die Vater der US-Verfassung als zentrale Mechanismen in das politische Entscheidungssystem eingebaut, eben genau um eine Konzentration der Macht in einer einzigen politischen Institution zu verhindern.
Gewaltentrennung und gleichzeitige Verschrankung der politischen Institutionen machen jeden radikalen Politikwechsel schwierig. So uberwiegen Kontinuitat und Inkrementalismus, gleich welcher parteipolitischer Couleur die Mehrheiten auf dem Capitol Hill sind oder welche Partei den Prasidenten im Weißen Haus stellt. Auf beiden Seiten des Atlantiks wurde Obamas Politik von vielen als Scheitern wahrgenommen; doch sein eingeschrankter Handlungsspielraum war nicht ausschließlich Resultat zo¨ gerlichen Handelns, sondern hatte vielmehr strukturelle Grunde. Die Etablierung von checks and balances geschah im Zuge der US-amerikanischen Staatenbildung, um einer Tyrannei der Mehrheit vorzubeugen. Minderheitspositionen sollten geschutzt und sichtbar werden (Hamilton et al. 2007). Zugleich sollten aber auch die Entscheidungstrager im politischen System vor dem Populismus der Masse behutet werden. So wird der Prasident bis heute nicht direkt durch das Volk gewahlt, sondern durch das electoral college, eine Institution, die den Prasidenten vom unmittelbaren Willen der Bevo¨ lkerung abschirmen sollte. Lange Zeit wurden auch die Senatoren nur indirekt gewahlt, um sie vor populistischen Impulsen der Bevo¨lkerung zu schutzen. Nur wer diese historischen und institutionellen Rahmenbedingungen berucksichtigt, kann Wandel und Kontinuitat in der US-amerikanischen Politik einschatzen und im jeweiligen Kontext bewerten.
Zudem schaut die deutsche O¨ ffentlichkeit mit großem Unverstandnis auf die
politische Blockade, die seit einigen Jahren im politischen System der USA zu herrschen scheint und die in weiten Teilen eben genau das Resultat der Trennung der Institutionen bei gleichzeitiger Verschrankung der politischen Kompetenzen ist. Das politische Entscheidungssystem basiert traditionell auf einem Ausbalan-
cieren unterschiedlicher politischer Interessen in einem komplexen institutionellen Gefuge. U¨ berparteiliche Konsensfindung ist notwendig, um Mehrheiten fur bestimmte politische Entscheidungen zu finden. Die parteipolitische oder ideologi-
sche Polarisierung macht dies jedoch nahezu unmo¨glich und die legislativen Mechanismen erweisen sich zunehmend inkompatibel zu den etablierten Entscheidungsmechanismen im prasidentiellen System der USA. Die Schließung der Bundesregierung 2013 (government shutdown) und die schwierigen und hitzigen Debatten um eine Erho¨hung der Schuldengrenze ( fiscal cliff) waren hier nur die sichtbarsten Auspragungen einer politischen Krise, die in der deutschen O¨ ffentlichkeit nur schwer nachzuvollziehen war.
Die USA erscheinen uns vertraut und fremd zugleich: Pop Culture und Fast Food, Hollywood-Filme und Musikindustrie, in den Großstadten und auf allen Fernsehkanalen sind die USA auch in europaischen Landern standig prasent. Tea Party, Waffenrechte und Rassismus sind die andere Seite der Medaille, die die USA in ihren sozialen und politischen Auspragungen sowie historischen Entwicklungslinien auf Distanz zu Europa bringen. Vertrautheit und Fremdheit pragen gleicher-
maßen das Bild der USA in der deutschen O¨ ffentlichkeit und genau das scheint es
so schwierig zu machen, die USA zu verstehen.