Direktdemokratische Partizipationsformen

„In keinem anderen Staat der Welt stimmen so viele Stimmberechtigte uber so viele Sachvorlagen ab wie in den USA“ (Moeckli 2007, S. 19). Bereits zur Zeit der Unabhangigkeitsbewegung ließen einige Grunderstaaten ihre Burger uber die neu geschaffenen Verfassungen abstimmen. Heute ist in allen Staaten außer Delaware die Zustimmung der Wahler zu Verfassungsanderungen notwendig (obligatorisches Verfassungsreferendum). Die Grundungsvater der Vereinigten Staaten verzichteten hingegen bewusst auf die Einrichtung direktdemokratischer Verfahren auf Bundesebene, da sie hierdurch die Freiheit von Minderheiten gefahrdet sahen.

Der entscheidende Schritt zum Ausbau direktdemokratischer Elemente erfolgte zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch das Progressive Movement. In vielen Staaten vor allem des Westens propagierten die Reformer unter Ruckgriff auf das Vorbild Schweiz drei Instrumente, um die Macht der gewahlten Reprasentanten einzuschranken: erstens die Volksinitiative, mit der Burger durch das Sammeln von Unterschriften eine A¨ nderung der Verfassung oder eines Gesetzes zur Abstimmung bringen ko¨nnen; zweitens das fakultative Gesetzesreferendum, das es erlaubt, ein soeben von der Legislative beschlossenes Gesetz einer Abstimmung zu unterwerfen; sowie drittens das recall-Verfahren, mit dem gewahlte Amtstrager vor Ablauf ihrer regularen Wahlperiode abgewahlt werden ko¨nnen. Wie in der Schweiz war insbesondere die Einfuhrung der Verfassungsinitiative entscheidend, da sich die Burger damit bei Bedarf weitere direktdemokratische Rechte erstreiten konnten.

Heute existiert die Verfassungsinitiative in 18, die Gesetzesinitiative in 21, das

fakultative Gesetzesreferendum in 23 und das recall-Verfahren in 19 Staaten (NCSL 2013b). Zusatzlich bestehen auch in vielen Stadten und Gemeinden direktdemokratische Beteiligungsmo¨glichkeiten. Die Detailregeln unterscheiden sich von Staat zu Staat. Dazu geho¨rt insbesondere die Frage, wie viele Unterschriften in welchem Zeitraum zu sammeln sind, ob einzelne Rechtsmaterien ausgenommen sind und ob bei der Abstimmung bestimmte Stimmenquoten erfullt sein mussen (NCLS 2013b; CSG 2013). Die Initiatoren mussen ihre Finanzmittel offenlegen. Allerdings ko¨nnen spezialisierte Unternehmen gegen entsprechende Bezahlung damit beauftragt werden, die Organisation einer Kampagne inklusive mo¨ glichst uberzeugender Formulierung der Initiative, Unterschriftensammlung und -einreichung sowie Abstimmungskampf zu ubernehmen. Diese mussen ihre Ausgaben dann haufig nicht mehr vero¨ffentlichen. Auch darf es aufgrund der Rechtsprechung wie bei Wahlkampfen keine Obergrenzen fur Ausgaben geben (Smith 2010).

Welche Folgen hat die direkte Demokratie fur Politiker? Zunachst einmal wird auf Amtstrager durch die haufigen Abstimmungen ein erheblicher Druck ausgeubt, Position zu beziehen. Andererseits bietet sich ihnen damit eine Gelegenheit zur

Profilierung. Dabei sind drei Besonderheiten zu beachten, die die direkte Demokratie in den USA pragen (Moeckli 2007): Erstens ist in vielen Staaten nur eine direkte Initiative mo¨glich. Das heißt, dass vor der Abstimmung keine Beratung der Initiative stattfindet und die Legislative auch keinen Alternativvorschlag an die Wahler unterbreiten kann. Eine Kompromissfindung ist damit nicht mo¨glich, was den Einfluss der Initiatoren vergro¨ßert, da sie den Abstimmungstext alleine festlegen.

Zweitens finden die Abstimmungen meist zusammen mit der Hauptwahl, teilweise auch mit den Vorwahlen statt. Der Wahler hat daher eine große Anzahl an Entscheidungen zugleich zu treffen, was viele Wahler wohl uberfordert, da sie manche Abstimmungsfragen ganz auslassen. Der gleichzeitige Wahlkampf

uberlagert außerdem den Abstimmungswahlkampf, so dass es schwierig ist, Aufmerksamkeit fur einzelne Sachthemen zu erzeugen. Und auch die Abstimmungsbeteiligung hangt davon ab, ob gleichzeitig eine Prasidentenwahl oder nur eine Vorwahl stattfindet. Andererseits ko¨nnen bestimmte Themen per Initiative strategisch auf die Agenda gesetzt werden, um damit gleichzeitig stattfindende Wahlen zu beeinflussen (Donovan et al. 2008).

Drittens schließlich sind alle direktdemokratischen Entscheidungen vor Gericht anklagbar, genießen also nicht wie zum Beispiel in der Schweiz einen ho¨ herwertigen Status als von der Legislative erlassene Gesetze. Fast jede erfolgreiche, aber umstrittene Initiative wird auch angefochten, was fur Minderheitenrechte auch einen wichtigen Schutzmechanismus darstellt (Heußner 2012, Christmann 2012).

 
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