Trade Adjustment Assistance
Mit Blick auf die Arbeitsmarkteffekte des Außenhandels heben sich die USA mit einer besonderen arbeitsmarktpolitischen Strategie von anderen OECD Landern ab. Seit uber 50 Jahren existiert mit der Trade Adjustment Assistance ein bundesweites Programm, welches Unterstutzung speziell fur Arbeiter gewahrleistet, die aufgrund einer zunehmenden internationalen wirtschaftlichen Verflechtung ihre Beschaftigung verloren haben. In anderen OECD-Staaten gab es hingegen in der Vergangenheit lediglich Programme zur Unterstutzung einzelner Industrien; die Europaische Union etablierte erst 2007 ein vergleichbares Programm, den European Globalisation Adjustment Fund (OECD 2005, S. 56–59).[1]
Die Existenz spezieller arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen fur Arbeiter, deren Beschaftigungen von auslandischer Konkurrenz bedroht sind, wird im Allgemeinen dadurch gerechtfertigt, dass diese Personengruppe sich in bestimmten Charakteristika von der allgemeineren Gruppe der Erwerbslosen unterscheidet. Arbeiter, die ihre Beschaftigung aufgrund von internationaler Konkurrenz verlieren, sind durchschnittlich alter, schlechter ausgebildet und verfugen uber ho¨here Erwerbseinkommen vor der Entlassung als die Gruppe der Erwerbslosen im Allgemeinen (Rosen 2011). Zudem wird ein tendenziell ho¨herer Anteil dieser Arbeiter aufgrund von Unternehmensschließungen entlassen, sodass die Wahrscheinlichkeit fur eine Wiederaufnahme ihrer vorherigen Tatigkeiten geringer ist. Dies kann erklaren, warum diese Gruppe von Erwerbslosen im Durchschnitt langere Arbeitslosenzeiten und ho¨here Lohneinbußen bei einer Neueinstellung in Kauf nehmen muss (Baicker und Rehavi 2004; Kletzer 2001).
Die Trade Adjustment Assistance (TAA), welche mit dem Trade Expansion Act von 1962 auf Bundesebene eingefuhrt wurde, zielt speziell darauf ab, die Verlierer einer zunehmenden außenwirtschaftlichen Verflechtung in den USA zu kompensieren und die Anpassungen an die o¨konomischen Restrukturierungsprozesse zu erleichtern. Historisch sollte mit der Einfuhrung des Programms auch der Widerstand der Gewerkschaften sowie handelsskeptischer Senatoren und Abgeordneter gegenuber geplanten Handelsliberalisierungen reduziert werden (Richardson 1982, S. 8–9). Eine Strategie, die offensichtlich erfolgreich war: Im Rahmen des Trade Expansion Act fand eine Liberalisierung des Handels durch eine Zollreduktion von 50 % auf Importe aus der Europaischen Gemeinschaft statt (OECD 2005, S. 58).
Seit seiner Einfuhrung durchlief das Programm zahlreiche Reformen. Nachdem in den ersten sieben Jahren aufgrund der sehr strikten Anspruchsvoraussetzungen keinem einzigen Arbeiter TAA gewahrt wurde und auch in den folgenden funf Jahren uber die Halfte der TAA Antrage als nicht anspruchsberechtigt abgelehnt wurden, lockerte der Trade Act von 1974 in Voraussicht auf die Tokyo Runde der Verhandlungen zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) die Anspruchskriterien und fuhrte die Umschulungs- und Weiterbildungskomponente ein. Im Jahr 1980 wurde deshalb
532.000 Arbeitern Unterstutzung im Rahmen der TAA gewahrleistet und die Kosten des Programms beliefen sich auf 1,6 Milliarden USD. Nachdem 1981 unter Prasident Reagan die finanzielle Unterstutzung reduziert wurde, kam es erst im Jahr 2002 mit dem Trade Adjustment Assistance Reform Act zum umfangreichsten Reformpaket. Die Verwaltung des TAA Programms auf Bundesebene erfolgt durch die Employment and Training Adminsitration (ETA) des U.S. Department of Labor. Die ETA entscheidet
uber die Berechtigung einzelner Antrage, welche entweder von drei oder mehr Arbeitern eines Betriebs gemeinsam, dem Arbeitgeber, oder einem offi en Arbeitnehmervertreter eingereicht werden mussen (U.S. Department of Labor 2014b). Ist ein solcher Antrag erfolgreich, so haben alle Arbeitnehmer dieses Betriebs bis zu zwei Jahre nach der Einschatzung des U.S. Department of Labor Anspruch auf Leistungen im Rahmen der TAA (Park 2012).
Die TAA bietet neben der Unterstutzung fur Arbeiter auch verschiedene Maßnahmen fur Unternehmen sowie Landwirte und Fischer an, die jedoch von vergleichsweise geringer Bedeutung sind (Rosen 2008). Um die Wettbewerbsfahigkeit fur Unternehmen zu erho¨hen, leistet das Programm mit elf Trade Adjustment Assistance Centers technische Unterstutzung. Bezugsberechtigungskriterien ahneln denen fur Arbeiter. Die Ausgaben im Rahmen dieses Programms sind historisch sehr gering, zwischen 2001 und 2006 wurden lediglich 150 Unternehmen unterstutzt. A¨ hnlich gering ist die Bedeutung der Maßnahmen fur Landwirte und Fischer, welche durch den Trade Adjustment Assistance Reform Act im Jahr 2002 eingefuhrt wurde. Fallt der Weltpreis fur landwirtschaftliche oder Fischereiprodukte stark, so kann finanzielle Unterstutzung beantragt werden (Rosen 2008).
Mit uber 90 % des Jahresbudgets von 2010 zielt der Hauptteil des Programms auf die Unterstutzung von Arbeitern, die entweder als Folge gestiegener Importe oder aber aufgrund von Produktionsverlagerungen ihren Arbeitsplatz verloren haben (Rosen 2011). Bei diesen Anspruchsvoraussetzungen werden sowohl Importe in der Industrie des Arbeiters als auch in vor- und nachgelagerten Wertscho¨pfungsaktivitaten berucksichtigt. Produktionsverlagerungen mussen in Lander erfolgen, mit denen die USA ein Handelsabkommen abgeschlossen haben (U.S. Department of Labor 2014a). Folgende Unterstutzung wird im Rahmen der TAA seit 2002 gewahrt:[2] Einkommensbeihilfen (Trade Readjustment Allowance, TRA) fur zusatzliche 78 Wochen nach Auslaufen der regularen Arbeitslosenversicherung, wenn die Arbeiter an einem Vollzeittrainingsprogramm teilnehmen;[3] Kostenerstattungen fur Umschulungs- und Weiterbildungsprogramme von bis zu zwei Jahren; sowie eine Erstattung von 90 % der Kosten fur die Arbeitsplatzsuche und fur einen im Rahmen der Aufnahme einer neuen Beschaftigung notwendigen Umzug (jeweils bis zu einem Ho¨chstbetrag von 1.250 USD). Arbeitern uber einem Alter von 50 Jahren und mit einem jahrlichen Einkommen unterhalb von 50.000 USD wird außerdem als Alternative Trade Adjustment Assistance (ATAA) fur bis zu zwei Jahre die Halfte der Lohneinbußen im Vergleich zu ihrer vorherigen Beschaftigung erstattet (max. 10.000 USD) (Rosen 2008).
Im Zuge des American Recovery and Reinvestment Act (ARRA) kam es im Jahr 2009 zur Verabschiedung des Trade and Globalization Adjustment Assistance Act, der die im Rahmen der TAA gewahrten Unterstutzungsmaßnahmen in verschiedener Hinsicht bis zum 31. Dezember 2013 ausweitete. Zum einen wurde die Fo¨rderdauer der Leistungen um 26 zusatzliche Wochen beim Bezug der TRA sowie bei der Frist fur die Teilnahme an Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen erho¨ ht (Park 2012; U.S. Department of Labor 2012b). Daruber hinaus ko¨nnen Arbeiter bereits an Qualifikationsmaßnahmen teilnehmen, wenn sie ihren Arbeitsplatz als bedroht empfinden. Auch die Ho¨chstsatze fur die Kostenerstattungen wurden temporar angehoben. Sowohl die Kosten fur die Arbeitsplatzsuche als auch fur einen Umzug wurden bis zu 100 % erstattet und der Ho¨chstbetrag wurde auf 1.500 USD angehoben. Zudem wurde der bezugsberechtigte Personenkreis erweitert. Produktionsverlagerungen mussten nicht auf Lander beschrankt sein, mit denen die USA ein Handelsabkommen unterhalten und auch Beschaftigte im Dienstleistungssektor erhielten Anspruch auf Leistungen (U.S. Department of Labor 2012b). Die bis dahin geltende Interpretation des U.S. Department of Labor, dass Dienstleistungstatigkeiten nicht in Konkurrenz mit Importen stehen – und Arbeitnehmer in diesem Sektor daher auch kein Anrecht auf Unterstutzung haben – stand im starken Widerspruch zu der zunehmenden Ausweitung des Dienstleistungshandels seit Mitte der 1990er Jahre (Rosen 2008; OECD 2007, S. 105–148). Der Omnibus Trade Act verlangerte diese Leistungsausweitungen im Jahr 2011 fur sechs weitere Wochen, bevor sie durch den Trade Adjustment Assistance Extension Act im Oktober 2011 dauerhaft implementiert wurden.
Insgesamt ist die Anzahl von Personen, welche Unterstutzung im Rahmen der TAA in Anspruch genommen haben, im Lauf der Geschichte des Programms gering geblieben. Im Jahr 2010 haben lediglich 86.081 Arbeiter Unterstutzungen in Anspruch genommen. Dies waren nur ungefahr 20 % der vom U.S. Department of Labor als anspruchsberechtigt eingestuften Personen (Rosen 2011). Bezuglich der Wirksamkeit der Maßnahmen sind die existierenden Evaluationsstudien von denselben Problemen geplagt, wie die Studien uber allgemeine
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Ein Problem der „Kunden“-orientierten Umschulungsmaßnahmen wird zudem im Rahmen der TAA besonders deutlich. Das gegenwartige Wissen uber zukunftig verstarkt nachgefragte Tatigkeiten ist sehr gering. Von den Personen, die nach ihrer Teilnahme an einer durch die TAA gefo¨ rderte Umschulung zwischen 2004 und 2007 eine neue Beschaftigung gefunden haben, fanden lediglich 37,53 % eine neue Position, die ihrer Umschulung entsprach (Park 2012).
Es wird daher abzuwarten bleiben, ob die TAA sich tatsachlich als wirkungskraftiges Gegenmittel zur Bekampfung der Polarisierung eines im globalen Wettbewerb stehenden Arbeitsmarkts eignen kann. Insbesondere angesichts der inadaquaten Leistungskopplung und der Kurzfristigkeit der Lo¨sungsansatze hat sie sich zumindest in ihrer bisherigen Ausgestaltung als aktives arbeitsmarktpolitisches Instrument als unzureichend erwiesen. Vergegenwartigt man sich die liberale Grundausrichtung des Wohlfahrtsregimes in den USA, dann ist jedoch durchaus fraglich, ob Politiker in der Zukunft von diesen Grundprinzipien abrucken werden.
- [1] Australien verfugte von 1973 bis 1976 uber ein generelles Programm, welches jedoch auf passive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen beschrankt war (OECD 2005, S. 66
- [2] Bis zum ersten Januar 2014 wurde zudem ein Steuerfreibetrag in Ho¨he von 65 % der Beitrage zur Krankenversicherung (Health Coverage Tax Credit) gewahrt (U.S. Department of Labor 2014a).
- [3] Im Falle, dass die Qualifikation des Arbeiters als „auszureichend“ fur eine baldige, neue Beschaftigungsaufnahme angesehen wird, kann eine Ausnahme gewahrt werden. In solchen Fallen ist die TRA auf 26 Wochen beschrankt (Park 2011).