Leitlinien der US-amerikanischen Außenpolitik
Stefan Fro¨ hlich
Einleitung
Prasident Obama hat vor funf Jahren das wohl wichtigste politische Amt in der Welt in einer Phase ubernommen, da die USA wie eine Weltmacht im Niedergang wirk(t)en. Politisch und (weniger) militarisch, aber auch moralisch sind die USA seit ein paar Jahren im Begriff ihre Fuhrungsrolle zu verspielen. In Europa und weiten Teilen der Welt sehen viele angesichts der andauernden Finanz- und Wirtschaftskrise und des enormen Haushaltsdefizits, zweier erdruckender Kriege im Irak und Afghanistan, vor allem aber aufgrund des weltweiten Imageverlusts in Folge der Anti-Terror-Politik George Bushs das Land im Abstieg begriffen; nicht wenige sprechen langst von der „neuen Wirklichkeit“ und neuen Zentren der Macht und der Fuhrung wie China, Russland, Brasilien und Indien, oder auch Regionalblo¨ cken wie der EU, die an politischem und wirtschaftlichem Einfluss hinzugewannen und so die Fuhrungsposition bzw. „Sonderrolle“ der Supermacht USA infrage stellten (Robel et al. 2012, S. 116–151).
Die Debatte um die Zukunft der amerikanischen Supermacht
Selbst in Washington mehren sich die Stimmen der Skeptiker, die nicht nur das nahezu zwei Jahrzehnte dominierende amerikanische Kapitalismusmodell mit seinem Dreisatz aus billigem Geld, freien Markten und gigantischen Gewinnmargen am Ende sehen, sondern generell auf die Machtverschiebungen in den internationalen Beziehungen und das Ende des „unipolaren Momentes“ (Charles Krauthammer) verweisen. Fareed Zakaria, Chefredakteur von Newsweek, sieht die Welt auf ein – mit Ausnahme der militarischen Dimension – „postamerikanisches Zeitalter“ zusteuern, in dem sich der politische, finanzielle, soziale wie kulturelle Einfluss auf verschiedene Zentren und Akteure verteile (Zakaria 2008, S. 18–43). A¨ hnlich argumentieren Pharag Khanna, Leiter der Global Governance Initiative der New American Foundation, dessen Buch „The Second World“ ein Bild von der kunftigen Weltpolitik zeichnet, in dem es drei Supermachte oder Imperien geben wird neben den schwacher werdenden USA das unaufhaltsam aufsteigende China und, man ho¨re und staune, die Europaische Union -, Charles Kupchan, Azar Gat oder John Ikenberry und Thomas Wright von der Princeton University, die Amerikas kunftige Starke und Weltrolle allenfalls in einem gleichberechtigten Konzert mit Europa und Japan gegenuber den aufstrebenden BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China) garantiert sehen (Khanna 2008a, b; Kupchan 2003; Gat 2007, S. 59–69; Ikenberry und Wright 2007). Der Tenor aller Bande ungeachtet von Finanz- und Wirtschaftskrise lautet ubersetzt in etwa so: Die reale Schwache der Weltmacht offenbart sich bereits seit langerem. Je mehr die USA sich verschulden und dafur anlegen mussen, das eigene Wirtschaftssystem zu stabilisieren, desto schwerer fallt es Washington, die selbst gewahlte Rolle der Weltordnungsmacht auszuuben. Die Ausho¨ hlung von Amerikas Vormachtstellung durch die genannten Aufsteiger beschleunigt sich vor allem in den Bereichen Politik und Wirtschaft, aber auch in der Kultur.
Alles in allem wird eingeraumt, dass die USA zwar eine bedeutende, ja vielleicht die wichtigste Macht im Weltgefuge bleiben, die amerikanische Vorherrschaft aber ist vorbei. Multipolaritat oder Nicht-Polaritat („non-polarity“) lauten die Stichworte, gleichgultig wie sich Washington auch verhalt. Durch eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik in der Vergangenheit, die Kriege im Nahen und Mittleren Osten, die die amerikanischen Truppen an die Grenzen der Belastbarkeit gefuhrt haben, sei nicht nur der Ruf der USA in der Welt nachhaltig beschadigt, sondern seien auch immense humanitare, finanzielle und diplomatische Kosten verursacht worden (Haas 2008, S. 44–56). Neben den USA werden daher die oben genannten Machtzentren kunftig um geopolitischen Einfluss ringen, dabei werden insbesondere China und die EU dank ihrer politischen wie o¨konomischen Anziehungskraft sukzessive Nachbarstaaten in ihren Einflussbereich ziehen. Fur die USA hingegen bedeutet kunftig jeder Vorstoß in diese Einflussspharen eine Schwachung ihrer Position, da ihre traditionelle Rolle als Ordnungsmacht dort nicht langer akzeptiert wird. Vielmehr muss Washington sich im wertfreien Wettbewerb der globalen Ordnungsmodelle neu positionieren und dabei vor allem auf strategische Allianzen mit den neuen einflussreichen Machten setzen (so auch Hachigian und Sutphen 2008, S. 43–57).
Solchen Untergangsprophezeiungen stehen Analysen gegenuber, die darin ein Wiederholungsmuster gerade in Krisenjahren des Landes sehen und darauf verweisen, dass solche Szenarien sich bislang nie bewahrheitet hatten – zuletzt war dies Ende der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts der Fall, als Paul Kennedy in seinem Buch uber den „Aufstieg und Fall großer Machte“ vor dem Hintergrund
des „Zwillingsdefizits“ in der Reagan-A¨ ra und dem wirtschaftlichen Aufschwung
Japans das Ende der US-Vorherrschaft prophezeite. Die Abgesange beruhten demnach allzu sehr auf einem singularen Ereignis, dem Irakkrieg, der Ablehnung der Politik George Bushs und einem tiefen Missverstandnis der Grundlagen und Parameter, auf denen die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik im Allgemeinen und die unverandert robuste Machtposition der USA im Besonderen beruhen (Lieber 2008); vielmehr gehe es um die Frage nach dem Grad des amerikanischen Machtverlusts.
Vertreter der These vom relativen Machtverlust raumen zwar ein, dass dieser auch durch den Aufstieg anderer globaler Akteure bedingt ist, sehen aber vor allem die bewusste Machtbeschrankung der Obama-Administration nach der Prasidentschaft von George Bush als die entscheidende Ursache. So habe die Politik der von den Neokonservativen gepragten Administration mit ihrem ausgepragten Unilateralismus zu den bekannten Empire-Analogien im Sinne der amerikanischen U¨ bermacht gefuhrt, welche nach Ende der Amtszeit geradezu zwangslaufig ihre Korrektur erfahren hatten (Cox 2003, S. 1–27). Da ein solcher Status fur die globale Ordnung mit negativen Konsequenzen verbunden sei, gelte es seither, amerikanische Außenpolitik in die gewohnten Bahnen des „wohlwollenden Hegemons“ zuruckzufuhren, dessen globale Fuhrungsrolle sich nicht allein aus der strukturellen U¨ berlegenheit im Sinne des uberragenden Machtpotentials speist, sondern vielmehr normativ determiniert ist. Voraussetzung dafur ist die bereits unter der zweiten Bush-Administration eingeleitete Reorientierung in Richtung Multilateralismus, dessen Logik aus amerikanischer Sicht ganz pragmatisch in der damit verbundenen Ressourcenschonung und Ruckgewinnung innerer wie
außerer Legitimitat liegt.