Freiheit
Der Freiheitsbegriff ist nicht nur fur Politik und Politikwissenschaft zentral, sondern wird auch in der Rechtswissenschaft (als Grundrecht), in der Wirtschaftswissenschaft (als Funktionsprinzip der Marktwirtschaft), in der Philosophie und in der Religion intensiv diskutiert. Dabei scheint es selbstverstandlich, dass Demokratie ohne Freiheit nicht denkbar ist (Beetham 2005, S. 32) – und auch umgekehrt nicht. Das Streben nach Demokratie kann im Prinzip auch als ein Streben nach Freiheit verstanden werden (Przeworski 2010, S. 153). Politikerreden, Reportagen, Kunst und (Pop-)Kultur sowie nicht zuletzt Stereotype wie die legendare Route 66 vermitteln ein Amerikabild, das den Freiheitsaspekt in besonderer Weise betont. Geradezu paradigmatisch wacht die Freiheitsstatue uber die Hafeneinfahrt von New York City, weniger um Amerika frei von Eindringlingen zu halten – dafur sorgen vielmehr die Zaune an der amerikanisch-mexikanischen Grenze – sondern mehr, um den Anko¨mmlingen als ersten Gruß die Freiheit als fundamentalen Wert der amerikanischen Gesellschaft zu vermitteln.
Erstaunlich ist, wie stark der Freiheitsbegriff in Gegensatzpaaren gedacht wird. So geht die Philosophie sowohl von einer negativen als auch einer positiven Freiheit aus, wobei erstere die Abwesenheit von Zwang in den Mittelpunkt stellt (‚Freiheit von') und letztere auf Handlungsmo¨glichkeiten (‚Freiheit zu') fokussiert. Die englische Sprache verkompliziert die Angelegenheit noch weiter in der Unterscheidung von Freedom und Liberty. Obwohl laut der Online-Version des Oxford Dictionary auch synonym verwendbar, so verwendet die Definition von Liberty explizit die Formulierung ‚Freiheit von' und erwahnt ausdrucklich Autoritaten (potentiell also den Staat) als mo¨ gliche Hindernisse, diese ‚Freiheit von' zu
gewahrleisten. Ein weiteres Gegensatzpaar hat sich dann im Laufe der Geschichte des politischen Liberalismus ergeben, namlich ob Freiheit burgerliche Freiheiten – also die Nicht-Einmischung des Staates in die Privatsphare – oder wirtschaftliche Freiheiten – also die Nicht-Einmischung des Staates in die Marktwirtschaft – meint. Dass diese beiden Aspekte nicht immer Hand in Hand gehen mussen, dokumentieren entsprechende sprachliche Kunststucke europaischer Beobachter, die die Demokraten als eigentlich liberale Kraft Amerikas sehen, gleichzeitig aber die neo-liberale Wirtschaftspolitik der Republikaner konstatieren (vgl. Tab. 1).
In jungster Zeit scheinen insbesondere die burgerlichen Freiheiten in den USA starker umstritten. Dabei sind interessante Akteurskonstellationen feststellbar: Bei der Abtreibungsfrage und anderen sozialpolitischen Themen Familie und Sexualitat betreffend werden die Demokraten ihrem Ruf als liberale und die Republikaner als konservative Kraft gerecht. Gleiches gilt fur den PATRIOT Act, in welchem hauptsachlich liberalere Demokraten eine Bedrohung der amerikanischen Burgerrechte sehen. Doch bereits die jahrelange Diskussion uber scharfere Waffengesetze dreht das Verhaltnis um: wahrend die Demokraten eine Verscharfung wunschen, wird von den Republikanern nicht selten das Argument der Freiheit, eine Waffe zu tragen bzw. sich im Bedarfsfall selbst zu verteidigen, angefuhrt. Nun ist es aber ein Allgemeinplatz, dass die Waffenlobbyisten der National Rifle Association in dieser Frage einen starken Einfluss auf die Parteien ausuben. Auch beinhaltet die Freiheit, eine Waffe zu tragen und zu verwenden, implizit auch die Freiheit, eine Waffe fur den Privatgebrauch herzustellen und damit zu handeln. Und dies ruckt das Burgerrecht des Waffentragens in die Nahe der marktwirtschaftlichen Freiheit, Waffen herzustellen und zu vertreiben. Die wirtschaftsliberale Komponente ist also unubersehbar. Diese wirtschaftlich motivierte Sicht von Freiheit hat sich in den letzten Jahren intensiviert. Die schon fur die Illustration des Wandels anderer Dimensionen herangezogene Neuentwicklung der Tea Party dient auch hier als Beispiel. Es geht hier um die Steuerfreiheit, also darum, uber ‚sein' Geld in gro¨ßerem Maße verfugen zu ko¨nnen, was eine eindeutige wirtschaftliche Schwerpunktsetzung ist.
Gerade im Zusammenhang mit der Waffengesetzgebung sei auch noch der Subversionscharakter der Freiheit thematisiert: Freiheit ohne Grenzziehungen riskiert, die Freiheit des anderen zu verletzen, im Falle von Waffengesetzen sogar zynischer weise wo¨rtlich. Absolute Freiheit kann dann leicht in Anarchie, ein Gegenmodell zur Freiheit umschlagen (Przeworski 2010, S. 149). Freiheit ist also in den USA zwar ein zentrales Konzept fur die politische Realitat, leidet aber unter definitorischer Ungenauigkeit. Krisen ko¨nnen Freiheitsrechte mal zum Bedauern der Demokraten – z. B. der PATRIOT Act als Reaktion auf die Terroranschlage von 9/11 – einschranken, mal zum Bedauern der Republikaner – z. B. durch die Steuerpolitik in Folge der Finanzkrise. Gleichzeitig wird Freiheit auch selbst zur Krise, wenn beispielsweise Schießereien und Amoklaufe zum nationalen Innehalten fuhren.