Einsatzmöglichkeiten von Argumentationswerten

Argumentationswerte werden mit Beeinflussungsabsicht in Verhandlungen eingebracht: 1) im Hinblick auf die Vorteilsverteilung innerhalb des vermuteten Einigungsbereichs oder 2) im Hinblick auf die Veränderung des vermuteten Einigungsbereichs.

Im ersten Fall dienen Argumentationswerte dazu, bei Einigung vom realisierbaren Vorteil in Höhe der Differenz zwischen den Entscheidungswerten möglichst viel für sich zu separieren. Es können Argumentationswerte eingebracht werden, die in der Nähe des vermuteten Entscheidungswertes der anderen Verhandlungspartei liegen und entsprechende Forderungen untermauern.

Im zweiten Fall ist der Einigungsbereich selber in einem für die eigene Verhandlungsstrategie günstigen Sinne zu beeinflussen, sei es in manipulativer Absicht, ihn in Richtung auf den vermuteten Entscheidungswert der anderen Seite zu verschieben, oder sei es in mehr kooperativer Absicht, einen Einigungsbereich erst zu schaffen oder einen bestehenden zu erweitern und die möglichen Einigungsvorteile für beide Seiten zu vergrößern.

Für die Argumentationsfunktion der Unternehmensbewertung ist das Bild von der Verhandlung als „Übervorteilungsveranstaltung“ wenig zweckdienlich. Rückt man das Bild von der Verhandlung als kooperativer „Vorteilserweiterungsveranstaltung“ in den Mittelpunkt, so geht es um die gemeinsame Schaffung und die möglichst gleichgerichtete Wahrnehmung von Vorteilen. „Kreativ zu verhandeln bedeutet, Differenzen zu entdecken und so aufeinander abzustimmen, daß Kooperationsgewinne entstehen“ (Siebe 1996, S. 206 f.).

Verfahren zur Ableitung von Argumentationswerten

Gegenstand der Argumentation und damit Ausprägungsformen des Argumentationswertes können „harte“ und „weiche“ Faktoren sein. Einzeln und in Kombination miteinander ergeben diese die Argumentationswerte. Die „weichen“ Argumentationsfaktoren (vgl. Burchert 1998) zielen auf eine Unterstützung der Kommunikation zwischen den Verhandlungspartnern ab und werden nicht näher betrachtet. Die „harten“ Argumentationsfaktoren bewirken über die in der Verhandlung erreichte Einigungslösung eine Veränderung des Entscheidungsfelds und können wiederum in originäre und derivative konfliktlösungsrelevante Sachverhalte (vgl. hierzu Matschke 1975, S. 56–74) unterschieden werden. Originär sind solche Faktoren, die Inhalt der Einigungslösung sind, konkretisiert als Vertrag zwischen den Parteien; derivativ sind solche, die aus originären konfliktlösungsrelevanten Sachverhalten abgeleitet sind und mit deren Hilfe im Rahmen des Verhandlungsprozesses die originären erläutert und festgelegt werden.

In einer eindimensionalen Konfliktsituation vom Typ des Kaufs/Verkaufs ist die Preishöhe der einzige originäre konfliktlösungsrelevante Sachverhalt. Je nach Preishöhe verändern sich die Handlungsmöglichkeiten der Parteien. Das Entscheidungsfeld des Käufers wird nach einer Einigung eingeschränkt, je höher der vereinbarte Preis ist, das des Verkäufers erweitert sich, wenn der vereinbarte Preis steigt. Kommen in der Verhandlung über die Höhe des Preises Unternehmensbewertungsverfahren zum Einsatz, so sind diese selber, aber auch ihre Parameter derivative konfliktlösungsrelevante Sachverhalte, die einen Argumentationsraum abgrenzen. Besonders geeignet sind hierbei solche Bewertungsverfahren, die sich einer „Wertschätzung“ in einschlägigen Berater-, Gutachter- und Wirtschaftskreisen erfreuen und zugleich genügend „Stellschrauben“ für manipulative Argumentationen bieten.

Argumentationswerte sollen überzeugen, wenig angreifbar und „realistisch“ sein. Barthel meint deshalb: „Je mehr Verfahren bei einer Bewertungsdurchführung angewandt werden, je unterschiedlicher von der zugrunde liegenden Methodik her diese Verfahren sind und je weniger Ermessensspielräume vorhanden und infolge dessen umso höher der marktbezogene Anteil der in die Bewertung eingehenden Daten ist, [.. .] umso glaubwürdiger wirken auf diese Weise abgeleitete Unternehmenswerte auf den Bewertungsadressaten“ (Barthel 2004, S. 409). Bezogen auf marktbezogene Daten gilt indes keineswegs, daß sie wenig „Ermessensspielräume“ aufweisen, weil empirische Daten in unterschiedlicher Weise ausgewertet werden können und damit auch argumentativ „gestaltbar“ sind.

Welche Bewertungsverfahren und welche Wertgrößen dem Kriterium der „Brauchbarkeit“ genügen, läßt sich schwerlich allgemein sagen. „Einsichtig“ sind nicht zuletzt solche Verfahrensweisen, die als „modern“ gelten, denn sie erscheinen dann meist auch als „sachgerecht“. Gegenwärtig modisch sind die verschiedenen Spielarten marktorientierter Unternehmensbewertung – angefangen von theorielosen simplen Vergleichsverfahren bis hin zu komplexen Verfahren aus unvereinbaren Theorieversatzstücken wie bei den Varianten der sogenannten Discounted Cash Flow-Methoden. Es würde hier zu weit führen, auf sie näher einzugehen, so daß mit Blick auf ihre Darstellung und die Erörterung der durch sie ermöglichten Argumentationsspielräume auf Matschke/Brösel verwiesen wird (vgl. Matschke und Brösel 2013, S. 641–746).

 
< Zurück   INHALT   Weiter >