Linguistisches Verständnis von Politik

Im Weiteren soll hier das Merkmal des politischen Bezugs ein wenig diskutiert werden. Wellstein weist darauf hin, dass man Politik eng, aber auch weit fassen kann. Darin sind sich auch Linguistinnen und Linguisten, die sich mit dem Verhältnis von Sprache und Politik befassen, weitestgehend einig (vgl. z. B. Carius & Schröter, 2009; Niehr, 2014). In einem engen Politikverständnis stehen die sprachlichen Handlungen von Trägern und Trägerinnen politischer Ämter – vom Staatsoberhaupt bis zu „Hinterbänklern“ – im Vordergrund sowie die Bekanntmachungen von politischen Parteien (Partei-, Wahloder Grundsatzprogramme, Wahlkampfmittel etc.). Diese Äußerungen können zum einen an die Öffentlichkeit gerichtet sein, zum anderen kann aber auch die fachsprachliche Betrachtung in bspw. Kommissionen Kern der Betrachtung sein. Bei einem weiteren Politikverständnis kommt die öffentliche Kommunikation über Politik in den Massenmedien, wie politischer Journalismus oder Auftritte in Polit-Talkshows, mit hinzu, während ein weites Politikverständnis „auch das Reden aller Mitglieder der Gesellschaft über Politik“ miteinbezieht (Carius & Schröter, 2009). Das zieht somit die Äußerungen von bspw. Lobbyverbänden, Personen oder Gruppen des öffentlichen Interesses (z. B. Thilo Sarrazin oder die Toten Hosen) mit in die Betrachtung ein. Abbildung 2 stellt die Gegenstandsbereiche der linguistischen Betrachtung von Politik unter dem Oberbegriff politische Sprache nach Burkhardt (1996) dar:

Abbildung 2 Gegenstandsbereiche der Politolinguistik (Burkhardt, 1996)

Die idealtypische Einteilung von Burkhardt ist für diesen Kontext zweifach interessant. Zum einen verdeutlicht sie, warum Kabarett mit politischem Bezug für die Linguistik interessant ist, es gehört zum halböffentlichen Bereich des Sprechens über Politik und thematisiert wiederum politische Mediensprache, Politikersprache, mittels derer sich Politiker und Politikerinnen oder Parteien zum Erzeugen von Zustimmungsbereitschaft (vgl. Niehr, 2014) an eine breite Öffentlichkeit richten, und die Sprache in der Politik, die den eher fachsprachlichen Bereich abdeckt. Zum anderen ist die kleine Präposition über hier interessant, denn sie offenbart eine stilistische Eigenschaft des Politischen Kabaretts, die dadurch erklärbar wird: Das Sprechen über Sprechen bzw. Sprache – Metasprache (vgl. Schiewe & Wengeler, 2005). Walther Dieckmann hat bereits 1969 in Anlehnung an LexikonDefinitionen Politik aus linguistischer Perspektive definiert als „staatliches oder auf den Staat bezogenes Sprechen [sprachlichen Handeln, F.S.]“ (Dieckmann, 1975). Heiko Girnth formuliert den Zusammenhang zwischen Sprache und Politik so, dass Sprache nicht einfach ein Mittel im politischen Diskurs ist, sondern die „Bedingung der Möglichkeit von Politik“ (Girnth, 2002). Im zweiten Teil der Definition von Dieckmann findet sich das Sprechen über Politik wieder, sie beinhaltet nicht nur den Sprachgebrauch von Politikern selbst, sondern auch das auf den Staat bezogene Reden und Schreiben über eben jenen (vgl. Niehr, 2014). Politisches Kabarett ist also zum einen Teil des Politischen selbst, wenn man ein weites Politikverständnis gelten lässt, thematisiert aber auf der anderen Seite die weiteren Bereiche eines solchen Verständnisses und zwar sprachlich, indem der/ die Kabarettist/-in mittels Sprache auf das staatliche oder auf den Staat bezogene sprachliche Handeln Bezug nimmt. Das Sprechen über die Verbrechen des „NSU“ und deren Aufarbeitung und Protagonisten kann also, je nach Fokus des Gesagten, verschiedene Facetten des Modells Burkhardts betreffen: den Verfassungsschutz und dessen Äußerungen als staatliche Behörde, die politischen Diskussionen und Kämpfe über und um den Verfassungsschutz sowie die mediale Berichterstattung über den „NSU“.

 
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