Wirkmächtigkeit

Mit dem Begriff der Wirkmächtigkeit wird das zentrale Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit benannt. Dieser Begriff verortet sich im paradigmatischen Verständnis eines an Max Weber angelehnten Forschungsprogramms. Ohne den theoretischen Grundlagen der Analyse vorgreifen zu wollen (vgl. Kapitel 4) erscheint die Klärung dieses Begriffs hier aus Gründen der Verständlichkeit wesentlich.

Im verstehenden Forschungsprogramm in Anlehnung an Max Weber wird soziales Handeln aufgefasst als sinnhaftes Verhalten in Bezug auf das Verhalten Anderer (vgl. Weber 1980: 1). Die Bezugnahme kann bestimmt sein durch Zweck-Mittel Motive (Zweckrationalität), eingelebte Gewohnheit (Tradition) sowie durch „bewussten Glauben an den […] unbedingten Eigenwert eines bestimmten Sichverhaltens“ (Wertrationalität) (a.a.O.: 12). Wertrationale Orientierungen gründen in kollektiv geteilten Vorstellungen des Wünschenswerten und werden als stabile Handlungsdispositionen aufgefasst (vgl. Kluckhohn 1951: 395f). Werte sind kulturell verankert und werden in Sozialisationsprozessen vermittelt. Sie leiten individuelles Handeln selbstverständlich und unbewusst an und wirken dadurch handlungsorientierend, dass sie die Vorstellung einer legitimen Ordnung verkörpern. Die Chance, dass sich soziales Handeln tatsächlich an der Ordnung orientiert kann Weber zu Folge als Geltung derselben beschrieben werden (vgl. Weber 1980: 16). Soziales Handeln ist nach diesem Verständnis geprägt von erwartbaren Regelmäßigkeiten, auf die sich Akteure in konkreten Situationen verlassen und ihr eigenes Handeln danach ausrichten können. Ordnungen sind nach Weber jedoch nur solche Beziehungen, die sich an „angebbaren Maximen“ (a.a.O.: 16), also normativen Ausprägungen der Ordnungsvorstellung, ausrichten. Im folgend zitierten Beispiel wird das Zusammenspiel von Rationalitätskriterien und Ordnungsmustern deutlich:

„Wenn ein Beamter aber täglich zur festen Stunde auf dem Büro erscheint, so ist das (auch, aber: ) nicht nur durch eingelebte Gewöhnung (Sitte) und (auch, aber: ) nicht nur durch eigene Interessenlage bedingt, der er nach Belieben nachleben könnte oder nicht. Sondern (in der Regel: auch) durch das ‚Gelten' der Ordnung (Dienstreglement) als Gebot, dessen Verletzung nicht nur Nachteile brächte, sondern – normalerweise – auch von seinem ‚Pflichtgefühl' wertrational (wenn auch in höchst verschiedenem Maße wirksam) perhorresziert wird“ (Weber 1980: 16) [1] .

Angewandt auf das Forschungsinteresse dieser Arbeit bedeutet die weberianische Perspektive, die Frage nach der Handlungsrelevanz unternehmensethischer Normen in den Kontext von Rationalitätskriterien und Ordnungsprinzipien in Unternehmen zu stellen. Empirisch erschlossen werden können sie durch Evokation von Begründungen für Handlungsentscheidungen dadurch, dass die normative Ausprägung eines Wertes durch Begründung ihres Eigenwertes betont wird (vgl. Ullrich 1999).

Wichtig ist es festzuhalten, dass in sozialen Bezügen mehrere und auch sich widersprechende Ordnungen gültig sein können und zwar jede „in dem Umfang, als die Chance besteht, dass das Handeln tatsächlich an ihr orientiert wird“ (Weber 1980: 17, Hervorhebung im Original). Gerade in komplexen Handlungsoder Entscheidungssituationen ist also zu erwarten, dass verschiedene Ordnungen nebeneinander Gültigkeit beanspruchen – repräsentiert durch unterschiedliche Werte. Ob eine Wertvorstellung (Idee) in systematischer Weise handlungsleitend für eine Vielzahl von Akteuren werden kann ist abhängig vom Grad ihrer Institutionalisierung. Konkret bedeutet das, dass eine Wertvorstellung dann wahrscheinlich handlungsleitend wirkt, wenn sie in einem spezifischen sozialen Kontext Geltung für sich beanspruchen und diese Geltung mit Sanktionen durchsetzen kann (vgl. Lepsius 1995; Lepsius 1996; Schwinn 2001: 323). Mit Geltung ist also immer auch ein Machtbegriff verknüpft, aufgefasst als Chance innerhalb einer sozialen Beziehung „den eigenen Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1980: 28).

Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte beschreibt in Anlehnung an das Forschungsprogramm Max Webers die Geltung ihrer programmatischen Inhalte auf der handlungspraktischen Ebene organisationaler Akteure und macht eine Mehrebenenbetrachtung notwendig. Die Bewertung des Grades der Wirkungsmacht ist dabei die empirische Frage danach, welche Chance ihre programmatischen Ideen in spezifischen Geltungskontexten haben, handlungsleitend für eine Vielzahl von Akteuren zu sein.

Die für die vorliegende Arbeit grundlegenden Begriffe wurden damit eingeführt. Im nächsten Kapitel wird der Diskussions- und Forschungsstand erörtert, der für die Präzisierung der Forschungsfrage und die Entwicklung des theoriegeleiteten Forschungsprogramms wichtig erscheint.

  • [1] Perhorreszieren von lat. perhorreo sich heftig vor etwas entsetzen.
 
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