Interviewleitfaden

Grundlage aller Interviews war ein ausformulierter Leitfaden, der theoretisch angeleitete Fragen zur Implementation und Bewertung des Managementkonzepts, zu Rationalitätskriterien im Unternehmen und Wertorientierungen enthielt. Alle interviewten Mitarbeiter waren darüber informiert, dass die Forscherin eine Studie zum WerteManagementSystemZfW durchführte und dazu Termine für Interviews mit den Mitarbeitern vereinbaren würde. Da diese Rahmung die Erwartung bereits im Vorfeld der Gespräche auf das Instrument fokussierte, wurden die Gespräche mit einem Erzählstimulus zum Konzept eingeführt.

Das WerteManagementSystemZfW ist mit der Zielsetzung formuliert, integres Geschäftsgebaren nachhaltig sicherzustellen. Schildern Sie mir bitte, bei welcher Gelegenheit Sie das erste Mal vom WerteManagementSystemZfW erfahren haben. Erinnern Sie sich noch an Ihre erste Reaktion auf das WerteManagementSystemZfW?

Je nach Entwicklung der ersten Erzählsequenz formulierte die Interviewerin dann immanente oder exmanente Fragen (vgl. Przyborski und Wohlrab-Sahr 2010: 83ff). In einigen Details unterschieden sich die Fragen je nach Zielgruppe: Personen, die konzeptionell oder operativ verantwortlich für das Managementkonzept waren, wurden Fragen innerhalb der Themenfelder mit stärkerer Konnotation auf den Organisationskontext gestellt, Mitarbeitern Fragen mit stärkerer Konnotation auf ihr Arbeitsumfeld (siehe Anlage 4: Themen des Interviewleitfadens im Anhang).

Da der Leitfaden im Forschungsverlauf, wie oben dargestellt, auch zur Erschließung des Feldzugangs diente, ist er als Fragegebogen formuliert. Zum einen war die ausführliche Darstellung der Fragen notwendiger Bestandteil der Genehmigung durch die verantwortlichen Gremien im Unternehmen (zentraler Datenschutzbeauftragter und Betriebsrat) [1]. Wichtig war der ausführliche Fragebogen jedoch auch in der Interviewsituation. Die befragten Mitarbeiter erwarteten nach eigenen Angaben eher standardisierte Fragen und eine straff geleitete Interviewführung durch die Interviewerin. Nach Abschluss der Interviews äußerten sich viele überrascht über den lockeren Gesprächscharakter der Interviews und äußerten die Beobachtung, dass der ausführliche Leitfaden zur Kontrolle der Gesprächsthemen diente[2]. Der Leitfaden erfüllte hier eine symbolische Funktion der Rahmung der Situation als methodisch kontrolliertes Interview. Durch seinen Umfang (fünf Seiten) erfüllte er eine weitere Funktion: Im Unternehmenskontext wird die Ressource Zeit als wertvolles Gut betrachtet[3]. Hier legitimierte der Fragebogen die Dauer des Interviews[4].

Im Interviewverlauf wurde der Orientierung an einer natürlichen Entwicklung des Gesprächs Vorrang vor der Abarbeitung von Themen und Fragen gegeben. Je nach Verlauf wurden Fragen auch in abweichender Formulierung gestellt. Auch die Reihenfolge der Fragen im Gespräch war einer natürlichen Gesprächsbzw. Diskursführung geschuldet und folgte daher nicht genau den Formulierungen im Leitfaden. Bei der Formulierung der Fragen orientierte sich die Interviewerin an der bei Ullrich vorgeschlagenen Systematik und variierte folgende Typen erzählgenerierender Fragen (vgl. Ullrich 1999: 438):

a) Erzählaufforderungen,

b) Wissensfragen,

c) Aufforderungen zu Stellungnahmen und

d) Begründungsaufforderungen.

Durchführung der Interviews

Alle Interviewtermine wurden von der Interviewerin persönlich vereinbart. Sie begannen mit einer kurzen Aufwärmphase allgemeiner Art („small talk“) und einer Interviewbezogenen Aufwärmphase, in denen die Interviewerin noch einmal den Kontext des Gesprächs darstellte[5] und die Erlaubnis des Gesprächspartners einholte, das Interview aufzuzeichnen. Erst nach dieser Zustimmung wurde das Aufnahmegerät eingeschaltet. In der Interviewpraxis kam es wiederholt vor, dass die Interviewer anfingen selbständig zu erzählen[6]. In diesen Fällen unterbrach die Interviewerin die Befragten kurz um das Einverständnis zur Aufnahme einzuholen. [7] Die Befragten nahmen danach spontan den Erzählfaden wieder auf. Im Interviewverlauf achtete die Interviewerin darauf, dass die Themen des Leitfadens in der auf sechzig bis neunzig Minuten beschränkten Zeit zur Sprache kamen. Am Ende der Gespräche wurde allen Interviewten noch einmal Gelegenheit gegeben, selbst Themen anzusprechen. Nach einer meist kurzen Verabschiedungsphase endeten die Ortstermine.

Die ausführliche Darstellung der Methode und Erhebung des qualitativen Datenmaterials verdeutlicht das oben theoretisch begründete Vorgehen im Forschungsprozess: Durch die schrittweise angebahnten Interviews wurde zum einen Vertrauen aufgebaut, zum anderen Erkenntnisse im Feld gesammelt, gemäß einer an Glaser und Strauss (vgl. Glaser und Strauss 1979; Strauss 1991) orientierten Forschungshaltung. Der offene Interviewleitfaden erlaubte die Gestaltung eines natürlichen Interviewgesprächs, das die Forschungsthemen im Blick behielt. Durch immanente und exmanente Nachfragen wurden Narrationen aber auch Stellungnahmen und Begründungen evoziert. Die Aufnahmen der Gespräche und das Protokollieren der spontanen Assoziationen zur Gesprächssituation im Anschluss gewährleisten authentisches Datenmaterial. Im folgenden Abschnitt wird dargelegt, wie dieses Material ausgewertet wurde.

  • [1] Der Fragebogen lag den interviewten Gesprächspartnern nicht vor, sondern diente in der Unternehmensfallstudie, wie in der Beschreibung der Felderschließung angemerkt, der organisatorisch notwendigen Absicherung gegenüber Mitarbeiterinteressen (Freigabe durch Betriebsrat) und des Datenschutzes. Die Abweichung vom Fragebogen im Einzelgespräch hat methodische Gründe und ist auf forschungsethischer Sicht m.E. unproblematisch, da die eingereichten Themen nicht verändert oder erweitert wurden, sondern lediglich die Frageformulierung variierte: Um den Gesprächsfluss zu unterstützen wurden die Reihenfolge der Frageblöcke und Formulierung der Einzelfragen flexibel gestaltet.
  • [2] Während des Gesprächs notierte die Interviewerin immer wieder Bemerkungen in den Leitfaden und orientierte sich am Fragenkatalog. Die Interviewten äußerten nach den Gesprächen, dass sie dieses Verhalten der Interviewerin beobachtet hätten. Da die Interviewerin die Fragen kommentiert oder abgehakt hätte nähmen sie an alle wichtigen Fragen angesprochen zu haben.
  • [3] Im untersuchten Geschäftsprozess gab es z.B. ein Ritual der Sanktionierung des Zuspätkommens bei Besprechungen.
  • [4] Dauer der Gespräche inklusive Begrüßung und Verabschiedung in der Regel circa 90 Minuten.
  • [5] Den zur Akquise versandten Flyer hatte die Interviewerin bei allen Gesprächen noch einmal als Handreichung dabei.
  • [6] Der erste Erzählstimulus fiel bei diesen Beispielen weg.
  • [7] Meist mit einer kurzen Frage wie: „Darf ich das Aufnahmegerät einschalten?“
 
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