Theoretisch begründete Grobcodierung
Die qualitative Auswertung von Texten (Interviews, Dokumente) bedeutet methodisch kontrolliertes Strukturieren und verdichten des Materials. Zielsetzung ist es, sich „gegenüber dem Text fremd zu machen“ (Nohl 2009: 47) und interpretationsbedürftige Stellen zu identifizieren. Dazu ist mehrmaliges Lesen von Texten und die Bildung von Kategorien notwendig.
Kuckartz kritisiert, dass die Kategorienbildung in der sozialwissenschaftlichen Methodenliteratur zu wenig beachtet werde, obwohl Codierung eine Interpretationsleistung sei, die im Ergebnis das Material neu strukturiert und einer nachfolgenden Interpretation zugänglich macht (vgl. Kuckartz 2010: 58). Deduktive Verfahren, bei denen ein Text mit theoretisch begründeten Indikatoren codiert wird, werden unterschieden von induktiven Vorgehensweisen, bei denen Kategorien im Laufe der Analyse schrittweise aus den Texten heraus entwickelt werden (vgl. Markova 2013). In der vorliegenden Analyse wurden alle Interviews vollständig zeilenweise durchgearbeitet und Textpassagen in Themen gegliedert. In Anlehnung an Kuckartz wurde die Grobcodierung in Form thematischer Codes als deduktives Verfahren und die darauf folgende Feincodierung induktiv vorgenommen (vgl. Kuckartz 2010: 203f).
Die Grobcodierung des Materials orientierte sich im vorliegenden Fall am Forschungsinteresse, das durch den Leitfaden vorstrukturiert war. Da die Fragen Stellungnahmen und Begründungen zu unterschiedlichen Ebenen des Bezugsproblems evozierten, entsprechen die thematischen Codes nicht genau der Struktur des Leitfadens, sondern orientieren sich stärker an den dahinter liegenden theoretischen Annahmen.
Feincodierung durch induktive Ableitung
Die Feincodierung erlaubte eine weitere Differenzierung der thematischen Codes. Dazu wurde das gesamte Material nochmals zeilenweise durchgearbeitet, nun entlang der thematischen Codes. Dieser Schritt orientierte sich sehr eng am Datenmaterial, d.h. die Subcodes wurden induktiv aus dem Material abgeleitet und in die bestehende Codestruktur eingeordnet. Erscheint ein Subcode aussagekräftig für eine Textstelle, dann wird sie diesem zugeordnet. Ist für eine ausgewählte Textstelle noch kein passender Subcode vorhanden, so wird er neu angelegt. Codebezeichnungen wurden zum Teil direkt aus den Textpassagen entnommen (In-Vivo-Codes). Oft war es auch zielführend, Sequenzen thematisch zu benennen (konzeptionelle Kategorisierung) (vgl. Kuckartz 2010: 75). Mithilfe der Codes werden dominante Argumentationsstrukturen sichtbar, die im nächsten Schritt einer rekontextualisierten Interpretation unterzogen werden. Im Erzählfluss kommt es vor, dass in einer Passage mehrere Themen angesprochen werden. Um sie dem nächsten Schritt zugänglich zu machen ist es daher grundsätzlich möglich, eine Textpassage auch mehrfach zu codieren (vgl. a.a.O.: 113) [1].
Ergebnis dieses Analyseschritts war die Neustrukturierung des Materials in Form eines hierarchisch strukturierten Kategoriensystems (vgl. Kuckartz 2010: 199), das die oben dargestellte Grobcodierung auf mehreren Unterebenen weiter ausdifferenziert (vgl. Kelle und Kluge 2010: 73ff). Diese neue Textstruktur erlaubt es, das Material sowohl bezogen auf Einzelinterviews als auch im Fallvergleich im Hinblick auf das zu untersuchende Bezugsproblem zu interpretieren (vgl. Liebold und Trinczek 2009) [2].
- [1] Hier unterscheidet sich das Verfahren von der etablierten inhaltsanalytischen Methode nach Mayring (vgl. Lamnek 2010: 466ff), die eine eindeutige Codierung von Textstellen verlangt (vgl. Mayring 2002: 117). Im vorliegenden Fall ist die Codierung ein notwendiger Zwischenschritt zur Rekontextualisierung der Textstellen, die nur dadurch einer reflexiven Interpretation zugeführt werden können. Um alle in einer Textstelle enthaltenen Sinnbezüge dieser Interpretation zugänglich zu machen ist eine Mehrfachcodierung notwendig.
- [2] Forschungspraktisch wurde die Codierung mit Hilfe einer QDA Software durchgeführt. Beim Codieren werden Textstellen markiert und verlinkt, eine Rekontextualisierung ist damit sehr einfach möglich. Der Zwischenschritt einer Tabelle, die für jedes Interview Textstellen entlang des Codebaums dokumentiert, konnte damit entfallen.