Formulierende Interpretation
Die dokumentarische Methode zielt darauf ab, die soziale Konstruktion von Wirklichkeitsphänomenen zu rekonstruieren (vgl. Liebold 2009: 38). Dazu ist nach der Codierung die fallbezogene formulierende Interpretation des Materials notwendig. Mit dem an der zusammenfassenden qualitativen Inhaltsanalyse angelehnten Verfahren (vgl. Mayring 1997: 61f; 2002: 95) [1]wird der Text methodisch kontrolliert reduziert, um dessen Eigenstrukturiertheit sichtbar zu machen (vgl. Vogd 2010: 130). Das Ergebnis ist eine Paraphrasierung, bei der der immanente Sinngehalt des Datenmaterials in Worten der Forscherin wiedergegeben wird (vgl. Liebold 2009: 39). Auf eine sozialwissenschaftliche Begrifflichkeit wird in diesem Schritt bewusst verzichtet (vgl. Nohl 2009: 77ff).
Da der zu untersuchende Fall sich in der vorliegenden Studie auf Bezugsprobleme bezieht, ist die formulierende Interpretation keine Paraphrasierung der Einzelinterviews, sondern spezifischer Schlüsselsequenzen mit Bezug zum jeweils fokussierten Bezugsproblem. Die für diesen Analyseschritt zentrale Frage ist, welche Themen die Gesprächspartner angesprochen haben (vgl. Liebold 2009: 39). Diese Frage wurde in der vorliegenden Arbeit mit folgenden Leitfragen pro Bezugsproblem untersucht:
Bezugsproblem I Organisation-Umwelt (Makrobezug):
- Welche Adressierungen ethischer Erwartungen an Unternehmen nehmen Führungskräfte und Mitarbeiter wahr?
- Welche Trägergruppen ethischer Erwartungen nehmen Führungskräfte und Mitarbeiter wahr?
Bezugsproblem II – Repräsentationsformen (Mesobezug):
- Wie wird die Adressierung ethischer Erwartungen im Unternehmen aufgenommen, d.h. welche internen Strategien werden ausgebildet und umgesetzt, um darauf zu reagieren?
- Wie wurde das unternehmensethische Managementkonzept im Unternehmen implementiert, d.h. welche Formen seiner Repräsentation im Unternehmenskontext können empirisch nachvollzogen werden?
Bezugsproblem III – Orientierungs- und Handlungsmuster (Mikrobezug):
- Welche Rationalitätskriterien sind im Arbeitsalltag der Mitarbeiter handlungsorientierend?
- Welche Handlungsrelevanz entfalten die Normen des „WerteManagementSystemZfW“ im Arbeitsalltag von Mitarbeitern des untersuchten Unternehmens?
Bei der Auswahl der interpretierten Sequenzen spielten zwei Aspekte eine Rolle[2]. In einer ersten Durchsicht der Codes wurden die oben dargestellte thematische Codierung und Feincodierung den Fragen der Bezugsprobleme zugewiesen. Das Material wurde auf diese Weise problembezogen neu strukturiert. Für jedes Bezugsproblem wurden die Sequenzen, deren Inhalte Aussagen zur Erörterung dieses Problems versprechen, einer formulierenden Feininterpretation unterzogen. Als zweites Kriterium innerhalb der Sequenzen wurde die Codehäufigkeit als quantitatives Kriterium hinzugezogen, d.h. zur Annäherung wurden die Themen ausgewählt, die besonders häufig in den Interviews genannt wurden. Ergebnis der formulierenden Interpretation sind Themencluster immanenter Sinngehalte für jedes Bezugsproblem. Diese Cluster geben Aufschluss über die von den Befragten insgesamt thematisierten Aspekte sowie deren Häufigkeit und Verteilung im Material.