Myanmar
Historische Entwicklung und Herausforderungen
Die Republik der Union Myanmar (kurz: Myanmar), so die seit 1989 amtliche Bezeichnung des im deutschsprachigen Raum als Birma und im Englischen als Burma bekannten Landes, gilt als exemplarischer Fall eines prätorianischen Systems, in dem das Militär (Tatmadaw) Staat, Wirtschaft und Gesellschaft beherrscht[1]. Zugleich ist der Vielvölkerstaat seit der Unabhängigkeit 1948 Schauplatz zahlreicher Gewaltkonflikte zwischen der Zentralregierung und nationalistisch, ideologisch oder ökonomisch motivierten nicht-staatlichen Akteuren[2]. Seit Mitte der letzten Dekade durchläuft das Land einen Transformationsprozess, der eine politische Liberalisierung sowie ein Abflauen der Konflikte zwischen Zentralstaat und Peripherie mit sich gebracht hat. Allerdings sind die Tatmadaw weiterhin der zentrale Machtfaktor und eine umfassende politische Lösung der Minderheitenkonflikte steht aus.
Als historischer Vorläufer des heutigen Myanmar gilt das Mitte des 9. Jahrhunderts gegründete Königreich von Bagan. Den Höhepunkt seiner Machtentfaltung erlebte Bagan im 12. Jahrhundert. Hofintrigen, Dynastiewechsel und Auseinandersetzungen mit benachbarten Mächten führten im 13. Jahrhundert zu seinem Zerfall (Bellwood 1999,
S. 116). Erst unter der Konbaung-Dynastie (1752–1885) wurden Unterund Oberbirma
Steckbrief
Bevölkerung (2012) 55,746 Mio. |
Jahr der Unabhängigkeit 1948 |
Staatsform Republik |
Territorium 676.578 km2 |
Jahr der geltenden Verfassung 2008 |
Staatsoberhaupt Thein Sein (seit 04.02.2011) |
BIP p.c. (PPP, 2013) $ 1700 |
Amtssprachen Birmanisch |
Regierungschef Thein Sein (seit 04.02.2011) |
Ethnische Gruppen Birmanen 68 %, Shan 9 %, Karen 7 %, Rakhine 4 %, Chinesen 3 %, Inder 2 %, Mon 2 %, Andere 5 % |
Demokratiestatus (BTI 2014) 3,0a |
Regierungssystem Sonderfall |
Religionsgruppen Buddhisten 89 %, Christen 4 %, Muslime 4 %, Andere 3 % |
Regimetyp Autokratie |
Regierungstyp Parteilose Regierung |
Quelle: CIA (2014); Bertelsmann Stiftung (2014)
a Skala von 1–10, höhere Werte zeigen höheren Demokratiegrad.
erneut unter birmanischer Herrschaft vereint, gemeinsam mit dem Königreich Arakan sowie den heute zu Indien gehörenden Gebieten von Manipur und Assam (Ricklefs et al. 2010, S. 135 f.). Konflikte mit den nach Osten vordringenden Briten führten zu drei Kriegen (1824–1826, 1852, 1885–1886), an deren Ende die formale Annexion Birmas durch das Vereinigte Königreich stand (Owen 2006, S. 86 ff.). Danach wurde Birma als ein Teil von Britisch-Indien und ab 1923 als separate Provinz mit dualer Regierungsstruktur („Dyarchie“) verwaltet: Bestimmte Ressorts waren burmanischen Ministern zur Verwaltung unterstellt, die einer nach Zensuswahlrecht gewählten Legislative verantwortlich waren. Der britische Gouverneur hingegen hielt das polizeiliche Exekutivrecht und die Kontrolle über andere herrschaftssensible Ressorts, z. B. die Polizei. Erst 1937 erhielt Birma den Status einer direkt London unterstellten Kronkolonie mit beschränkter Selbstverwaltung unter einem birmanischen Chefminister (Furnivall 1960, S. 6 ff.). Freilich beschränkte sich die direkte Herrschaft der Briten auf das birmanische Kernland („Ministerial Burma“). Zudem war die Anzahl des britischen Kolonialpersonals erstaunlich niedrig, sodass die meisten subalternen Posten von „asiatischen“ Beamten aus verschiedenen Regionen des Kolonialreichs besetzt wurden. Die Herrschaftsgebiete der Chin und Kachin („Frontier Areas“) sowie die Föderierten Shan-Staaten wurden weiterhin indirekt durch semi-souveräne lokale Herrscher regiert (Furnivall 1960, S. 10 ff.).
Die administrative Kontrolle und wirtschaftliche Integration historisch unterschiedlicher Kulturräume erzeugten in Burma ähnlich wie in Britisch-Malaya (vgl. Kap. 7.1) eine „plurale koloniale Gesellschaft“, in der verschiedene ethnische Gemeinschaften
„aufgezwungen von der Kolonialmacht und dem Zwang wirtschaftlicher Bedingungen“ (Furnivall 1960, S. 186) koexistierten, sich aber nicht in einer gemeinsamen „Sozialordnung“ integrierten. Damit einher ging eine ethnisch strukturierte Arbeitsteilung: Während beispielsweise die Kolonialverwaltung den Birmanen offen stand, wurden für die Kolonialarmee vor allem Minderheiten rekrutiert (Steinberg 2010, S. 29). Die drastische Ausweitung der Reisproduktion für den Export verstärkte den Zuzug von Arbeitskräften aus Britisch-Indien. Während sich Birmanen nur selten als Unternehmer auf den neu entstehenden Märkten etablieren konnten, kam es zur Konzentration von Landbesitz in den Händen nicht ortsansässiger Grundbesitzer und zur Verelendung eines Großteils der birmanischen Bauernschaft. Die Folge waren soziale Verwerfungen und lokale Aufstände (Charney 2009, S. 10 ff.).
In den Jahren zwischen den Weltkriegen formierte sich – vermittelt durch Sprache und Religion – eine von einheimischen Regierungsbeamten, Studenten und buddhistischen Mönchen getragene birmanische Nationalbewegung (Osbourne 1990). Die einflussreichste Gruppe war die Dobama Asiayone („Wir Burmanen-Vereinigung“). Sie bildete den Kern der von dem Studentenführer Aung San mit japanischer Hilfe 1940 aufgestellten Birmanischen Unabhängigkeitsarmee (BIA; vgl. Kratoska und Batson 1999).
Im Zweiten Weltkrieg wurde Birma von japanischen Truppen besetzt. Die Besatzungsmacht förderte sowohl die birmanische Nationalbewegung als auch nationale Bestrebungen der Minderheiten (Sidel 2013). Die Gründung eines Marionettenstaats unter japanischer Kontrolle (1943) konnte aber nicht verhindern, dass die von birmanischen Nationalisten um Aung San gegründete die Anti-Fascist People's Freedom League (AFPFL) das Bündnis mit den Allierten suchte. Der britischen Kolonialmacht fehlten nach Kriegsende die Machtmittel, um sich dem Drängen der AFPFL auf eine schnelle Übergabe der staatlichen Souveränität zu verweigern (Zöllner 2000). Auf der Konferenz von Panglong (Februar 1947) einigte sich die Regierung unter Aung San mit Vertretern der Kachin, Chin und Shan auf die Grundzüge einer förderalen und demokratischen Unionsverfassung (Sakhong 2012, S. 3). Andere Minderheiten wie die Karen und Mon blieben hingegen von vornherein ausgeschlossen und boykottierten die Wahlen zum Verfassungskonvent, bei denen die AFPFL 204 der 210 Sitze eroberte.
Im Juli 1947 fiel die nationale Integrationsfigur Aung San einem Attentat zum Opfer. Die neue Regierung unter Premierminister U Nu distanzierte sich von Aung Sans konzilianter Politik und favorisierte stattdessen einen birmanisch dominierten Einheitsstaat (Gravers 1999, S. 41 ff.). Bereits kurz nach der formalen Unabhängigkeit der Birmanischen Union am 4. Januar 1948 formierten sich verschiedene Aufstandsgruppen, darunter kommunistische Guerillas, ethnische Armeen und Reste der nationalchinesischen Kuomintang (KMT), die sich nach der Niederlage im chinesischen Bürgerkrieg in Burma festgesetzt hatten (Lintner 1999). Die Zentralregierung konnte dem militärisch kaum etwas entgegen setzen: Als General Ne Win Mitte 1949 den Oberbefehl über die Tatmadaw übernahm, zählte sie noch rund 2.000 Mann (Callahan 2001, S. 414 ff.). Um die Armee zu stärken, wurden ihre Einheiten aufgestockt und reorganisiert, die Ausrüstung modernisiert und die Kommandostrukturen zentralisiert (Selth 2002, S. 10 f.). In der Folge gelang es den Streitkräften, die Kontrolle über weite Teile des Staatsgebietes wieder herzustellen. Die neugewonnene Stärke der Tatmadaw kontrastierte jedoch mit der anhaltenden Schwäche der zivilen Institutionen. So kam es 1958 auf Druck der Generäle erstmals zur vorrübergehenden Übergabe der Regierungsgewalt an das Militär (Selth 2002, S. 12). Nachdem die 1960 gewählte Regierung den Buddhismus zur Staatsreligion erklärte und einige Minderheiten daraufhin erneut Sezessionsbestrebungen zeigten, putschte die Militärführung um Ne Win im März 1962 erneut (Charney 2009, S. 108 ff.). In den folgenden zwölf Jahren regierte ein Revolutionsrat per Dekret. Die Revolutionsregierung wurde 1973 aufgelöst, Ne Win und die anderen Mitglieder der Junta traten aus der Tatmadaw aus und übernahmen nicht-militärische Führungsämter, wodurch das Regime einen zivilen Anstrich erhielt. Mit der Verfassung der Sozialistischen Republik der Union von Burma von 1974 wurde die politische Führungsrolle der vom Militär gegründeten Burmesischen Sozialistischen Programmpartei (BSPP) festgeschrieben. Allerdings blieben Partei und Staat unter Kontrolle der Militärs (Brooker 1995, S. 158 ff.).
Politisch verfolgten die Streitkräfte das Ziel einer Neuordnung der burmesischen Gesellschaft. Unter dem Motto des „Burmesischen Wegs zum Sozialismus“, einer „eklektischen Mischung heterogener Elemente des Buddhismus, Humanismus und Marxismus“ (Steinberg 2001, S. 20), wurden Industrie und Handel verstaatlicht und die Neugründung von Privatunternehmen verboten. Daraufhin verließen etwa 300.000 südasiatische Händler und Gewerbetreibende das Land; einheimische Unternehmer wurden in die Schattenwirtschaft abgedrängt (Jones 2014b, S. 148). Zugleich wurden die meisten internationalen Kontakte gekappt und ein Programm der Importsubstituierung aufgelegt mit dem Ziel, die heimische Wirtschaft autark zu machen (Taylor 2009, S. 342 ff.). In der Folge sank der Anteil der Einund Ausfuhren am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1962 und 1987 von 35 % auf unter 10 %, der Anteil des Industrieund Fertigungssektors fiel von 37,1 % (1962) auf 23 % (1985, vgl. Myat Thein 2004, S. 75, 87).
Infolge der desolaten Wirtschaftslage und der erratischen Geldpolitik von Staatspräsident Ne Win kam es 1988 zu einem Volksaufstand („8888 Uprising“) gegen das kompromitierte Regime und zum Rücktritt von Staatspräsident Ne Win. Als das nicht ausreichte, um die Proteste zu beenden, ließ die Militärführung am 8. August 1988 die Demonstranten zusammenschießen. Anschließend übernahm ein Militärrat (State Law and Order Restoration Council, SLORC) die Regierung. Der SLORC setzte die Verfassung außer Kraft und erklärte die BSPP für aufgelöst. Die 1990 von der Junta organisierten Wahlen für eine Verfassungsgebende Versammlung endeten mit einem Erdrutschsieg der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie (NLD) unter dem Vorsitz von Aung San Suu Kyi, der Tochter des 1947 ermordeten Unabhängigkeitshelden. Die NLD sah dies als Mandat zur Regierungsbildung und schlug einen konfrontativen Kurs gegenüber der Junta ein. Die Militärregierung hingegen beharrte darauf, die Wahlen seien nur die Vorstufe zur Verfassungsgebung gewesen (Maung Aung Myoe 2007, S. 29). Die Oppositionsführerin wurde unter Hausarrest gestellt, ihre Anhänger weggesperrt oder außer Landes getrieben. Der vom Regime 1993 einberufene Verfassungskonvent wurde nach dem Boykott durch die NLD 1996 suspendiert.
Die Repression des Regimes wurde begleitet von einem massiven Ausbau der Tatmadaw, deren Mannschaftsstärke sich auf mehr als 400.000 Mann verdoppelte.
Regionalkommandeure der Armee übernahmen alle wichtigen staatlichen Aufgaben auf subnationaler Ebene (Croissant und Kühn 2011, S. 141 f.). Zugleich beendetete die Militärregierung das planwirtschaftliche Experiment der BSPP-Regierung zugunsten eines militärisch dominierten Klientelkapitalismus und kooptierte die Mehrzahl der ethnischen Rebellenarmeen in Waffenstillstandsabkommen. Diese Vereinbarungen gewähren den Rebellen als Gegenleistung für die Einstellung der Kampfhandlungen und die Beteiligung an der Ausbeutung der lokalen Ressourcen die Kontrolle über das von ihnen gehaltene Territorium (Nilsen 2013). Die Melange aus Militärunternehmern, zivilen Günstlingen und kooptierten Gewaltunternehmern begünstigte eine weitere Schwächung der fragilen Staatsinstitutionen und eine Ausweitung der Korruption. Westliche Wirtschaftssanktionen wirkten kontraproduktiv, indem sie die Ausbreitung der Schattenwirtschaft förderten, deren Gewinne vor allem in die Kassen des Militärs flossen (Pederson 2008; Jones 2014b, S. 152).
Obwohl das westliche Sanktionsregime die 1997 in State Peace and Development Council (SPDC) umbenannte Militärregierung nicht zu Zugeständnissen an die Opposition zwingen konnte, verkündete die Junta 2003 einen Fahrplan („Roadmap“) für den Übergang zu einer zivilen Regierung. Nachdem der SPDC im Mai 2004 den Nationalkonvent erneut zusammentreten ließ, wurde 2008 ein Verfassungsentwurf vorgelegt und ein Referendum abgehalten. Mit den manipulierten Parlamentswahlen vom November 2010 und der Bildung einer Regierung im März 2011 unter Staatspräsident Thein Sein, einem ehemaligen General, wurde der Übergang zu einer elektoralen Autokratie mit gewählten zivilen Institutionen, in der das Militär weiterhin die dominante Rolle spielt, abgeschlossen (Huang 2013; Bünte 2014). Seither wurden bedeutende politische Reformen implementiert. Dazu zählen der nationale Dialog mit Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi und die Zulassung politischer Parteien, die Freilassung politischer Gefangener sowie die Lockerung von Beschränkungen der Organisations-, Versammlungsund Meinungsfreiheit. Bei den Nachwahlen vom April 2012 konnte die NLD 43 der 45 Mandate gewinnen.
Die Gründe für die Einleitung der Reformen sind in der Forschung umstritten. Wirtschaftliche Überlegungen und die Besorgnis des SPDC über die wachsende Abhängigkeit von chinesischer Unterstützung dürften eine Rolle gespielt haben (Min Zin und Joseph 2012). Plausibel ist auch der Verweis auf das Bestreben der Junta, aus einer Position der politischen Stärke – infolge des Fehlens einer starken, Gesellschaftsschichten übergreifenden Protestbewegung[3] und der Stabilisierung der Beziehungen zu den meisten Rebellengruppen – heraus die neue ökonomische Ordnung politisch zu institutionalisieren (Jones 2014a, 2014b). Hierfür spricht auch, dass mit den neuen Verfassungsinstitutionen eine Möglichkeit geschaffen wurde, nicht-militärische Eliten in die politischen Institutionen des Regimes zu kooptieren und die politische Vormachtstellung der Tatmadaw konstitutionell zu legitimieren (Callahan 2012; Englehart 2012). Schließlich kann der Reformprozess auch als Reaktion der Militärführung auf Interessenkonflikte zwischen militärischen Teileliten sowie Koordinationsund Verpflichtungsprobleme innerhalb der Tatmadaw gedeutet werden (Williams 2011; Bünte 2014; Croissant und Kamerling 2014).
Der Öffnung des Regimes dürfte wohl die Annahme des Militärs zugrundeliegen, den Reformprozess kontrollieren zu können (Englehart 2012, S. 685). Allerdings gehört zu den Befunden der politikwissenschaftlichen Systemwechselforschung die Erkenntnis, dass am Anfang des Übergangs von der Autokratie zur Demokratie häufig das Streben der autoritären Herrscher nach Machterhalt durch Verbreiterung der eigenen Unterstützungsbasis steht. Oftmals entfalten Reformen dann aber eine Eigendynamik, die dazu führt, dass am Ausgang des Prozesses die Demokratisierung steht. Ebenso können solche Transitionsprozesse allerdings in die erneute Schließung des autoritären Regimes oder eine noch repressivere Diktatur münden (vgl. Merkel 2010). In welche Richtung der aktuelle Reformprozess laufen wird, lässt sich nicht seriös vorhersagen. Allerdings sind aktuell mindestens vier grundlegende politische Herausforderungen für das autoritäre Regime zu erkennen. Dazu gehören erstens die subversiven Effekte der neuen repräsentativen Institutionen: Parlamente und Mehrparteienwahlen ermöglichen zwar die Einbindung zuvor exkludierter Eliten, bieten der Opposition und Regimeeliten aber auch die Möglichkeit, die Regierung innerhalb ihrer Institutionen herauszufordern. Die Verfassung gewährt dem Militär zwar politische Autonomie und erhebliche Vorrechte. Zugleich beschränkt sie aber die Machtfülle der Generäle. Diese Beschränkungen lassen sich bei Konflikten zwischen zivilen und militärischen Regimeliten oder zwischen Opposition und Regierung nicht ohne beträchtliche politische Kosten wieder aufheben.
Die zweite Herausforderung betrifft die Fähigkeit der Militärführung, zentrifugale Tendenzen innerhalb der Tatmadaw zu kontrollieren. In der Vergangenheit ist es gelungen, das Machtstreben der Regionalkommandeure zu bändigen und die institutionelle Kohärenz der Streitkräfte zu wahren. Dennoch bestehen latente Spannungen zwischen Patronagenetzwerken innerhalb der Tatmadaw sowie zwischen höheren Offizieren und den unteren Rängen, die kaum an der Aneignung der ökonomischen Ressourcen des Landes beteiligt wurden (Englehart 2012, S. 675). Darüber hinaus beruhte der innere Zusammenhalt der Tatmadaw in der Vergangenheit auch auf der Bedrohung des Staates durch die vielen Aufstandsgruppen. Diese hat durch die Einbindung der meisten Rebellen inzwischen deutlich nachgelassen (Williams 2011, S. 1206).
Drittens haben die Waffenstillstandsabkommen eine eigene Politische Ökonomie der Grenzlande erzeugt (Jones 2014a, 2014b), ohne politische Lösungen für die Grundfragen im Verhältnis von Zentralstaat und Peripherie und zwischen der Mehrheitsbevölkerung der Bamar und den zahlreichen ethnischen Minderheiten aufzuzeigen (Englehart 2005; Ardeth Maung Thawnghmung 2011). Die Fähigkeit der verschiedenen Minderheitenorganisationen, die Regierung zur Einhaltung der Vereinbarungen zu verpflichten, beruht ausschließlich auf dem Zugriff auf militärische Mittel. Folglich waren Versuche, verschiedene Gruppen zu entwaffnen oder in den Zwangsapparat des Regimes zu integrieren, bislang ohne Erfolg (Williams 2011, S. 1210).
Viertens hat die Gewährung neuer politischer Freiräume nicht nur zum „Wiederaufleben der Zivilgesellschaft“ (O'Donnell und Schmitter 1986) beigetragen, sondern auch ethnonationalistische, xenophobische und violente Formen gesellschaftlicher Selbstregulation hervorgebracht. Beispielhaft hierfür ist die sogenannte 969-Bewegung, eine maßgeblich von buddhistischen Mönchen getriebene soziale Bewegung, die einen aggressiven burmanisch-buddhistischen Nationalismus propagiert und (mit-)verantwortlich) für das Aufflammen sektiererischer Gewalt zwischen Buddhisten und Muslimen im Sommer 2012 war (ICG 2013b; Tin Maung Than 2014, S. 28).
- [1] „Burma/Birma“ wird im Birmanischen umgangsprachlich als Bezeichnung für das Land und seine Bewohner verwendet. „Myanmar“ ist die bedeutungsidentische hochsprachliche Landesbezeichnung (Zöllner 2000, S. 30). Bamar, Burmanen oder Birmanen meint Angehörige der größten Volksgruppe des Landes. Der Begriff Burmesen und seine Ableitungen bezeichnen die Bewohner des Landes ohne Differenzierung nach Volksgruppen.
- [2] Die Forschung unterscheidet acht ethnische Obergruppen: Kachin, Kayah (Karenni), Karen, Chin, Mon, Rakhine, Shan und Bamar. Sie differenzieren sich in 135 unterschiedliche Volksgruppen.
- [3] Die von Mönchen getragenen Proteste („Safran Revolution“) vom September 2007 wurden von den Sicherheitskräften mühelos auseinandergetrieben (Jones 2014a, S. 782).