Mesoanalyse: Repräsentationsformen des unternehmensethischen Managementkonzepts im Unternehmen EFS
"Definiere die Werte deines Unternehmens und mache sie zum Gegenstand deiner Geschäftsprozesse." (FN: 115f)
Die Wirkmächtigkeit unternehmensethischer Managementkonzepte wurde im vorherigen Kapitel, in Bezug auf die Perspektive OrganisationUmwelt, mit der Frage erörtert, welche Deutungsmuster extern adressierter Erwartungen in Interviews der Befragten dokumentiert sind. Die Ergebnisdiskussion zeigte, dass bei Mitarbeitern wie Führungskräften eine Parallelität verschiedener Deutungsmuster erkennbar war. Unternehmensethik wird als ökonomisch rationale Unternehmensstrategie, im Feld übliches Managementkonzept oder wertebezogener Grundsatz gerahmt. Das vorliegende Kapitel richtet den Blick auf die Ebene der Organisation. Das forschungsleitende Interesse konzentriert sich hier darauf, in welcher Weise im Unternehmen der Einzelfallstudie (EFS) die unternehmensethischen Erwartungen aufgenommen und umgesetzt wurden[1]. Die Analyse der Wirkmächtigkeit des WMS auf der Mesoebene der Organisation erörtert deren ordnungsrelevante Geltung mit folgenden Fragen:
- Wie wird die Adressierung ethischer Erwartungen im Unternehmen aufgenommen, d.h. welche internen Strategien werden ausgebildet und umgesetzt, um darauf zu reagieren?
- Wie wurde das unternehmensethische Managementkonzept im Unternehmen implementiert, d.h. welche Formen seiner Repräsentation im Unternehmenskontext können empirisch nachvollzogen werden?
Die Frage der Repräsentation dieses Konzepts im Unternehmen orientiert sich am oben definierten organisationstheoretischen Verständnis der Arbeit (vgl. 2.2.1). Organisationen entwickeln diesem Verständnis zufolge zum einen Strukturen, die im organisationalen Feld als legitim anerkannt sind und gewährleisten damit Stabilität als Gebilde (vgl. 4.2). Dieses Prinzip ist zum anderen auch innerhalb von Organisationen konstitutiv. Die strukturationstheoretische Betrachtung hat verdeutlicht, dass sich Organisationen als Prozess der strukturellen Reproduktion durch handelnde Akteure beschreiben lassen (vgl. 4.3). Organisationen lassen sich demnach beschreiben durch Struktur- und Handlungsmomente, die sich in wechselseitiger Bezugnahme auf einander reproduzieren. Soziales Handeln ist in diesem Verständnis strukturell bedingt derart, dass Akteure über praktisches Wissen Handlungsbedingungen erschließen und sie als Orientierung handlungspraktisch nutzen (Regeln). Zum anderen können Handlungsakteure durch die Mobilisierung von Ressourcen in die Lage versetzt werden, ihren Willen auch gegen Widerstand durchzusetzen (Handlungsvermögen). Diese handlungsbedingenden Strukturen beschreibt die Strukturationstheorie als virtuell, d.h. erst im Handlungsvollzug werden sie manifest und haben die Chance sich zu reproduzieren und auf Dauer gestellt zu werden. Die Diskussion der Wirkmächtigkeit des WMS auf der Mesoebene der Organisation stellt sich der Frage, welche Strukturmomente im Unternehmen als WMS-spezifisch identifiziert werden können und wie diese Strukturen von den Mitarbeitern im Handlungsvollzug manifestiert und reproduziert werden. Über die Rekonstruktion von Zielen, die mit dem WMS verbunden sind, soll die Frage geklärt werden, inwieweit das WMS zur Bearbeitung eines Wertekonflikts zwischen ökonomischen und moralischen Erwartungen geeignet ist.
Im ersten Schritt klärt eine Themensetzungsanalyse darüber auf, mit welchen Zielen und Maßnahmen das WMS in Dokumenten sowie in Wahrnehmungen der Befragten repräsentiert ist (vgl. 7.1). In einer ersten Annäherung an den Einzelfall wird danach das untersuchte Unternehmen vorgestellt und die Implementierung des Konzepts im Unternehmen beschrieben (vgl. 7.2). Die Rekonstruktion der WMS Maßnahmen richtet den Blick auf die Form der Konfliktbearbeitung, d.h. durch welche Strukturen manifestiert sich das WMS als Managementkonzept im Unternehmen EFS? Dazu wird im Rahmen einer Dokumentenanalyse rekonstruiert, wie das WMS dort in Ziel- und Maßnahmenthematisierung erscheint. Diese Erscheinungsform wird als formalstrukturelle Repräsentation des WMS diskutiert (vgl. 7.3). Die Frage des Handlungsvollzugs wird im vorliegenden Kapitel in einer organisationsbezogenen Logik diskutiert, die die Handlungsorientierung der Mitarbeiter zunächst noch ausblendet. Die Rekonstruktion von Handlungsmomenten erfolgt hier durch die Identifikation von Repräsentationsformen des WMS in den Wahrnehmungen der Befragten. Dazu wird in einer dokumentarischen Analyse der Interviews nachvollzogen, welche Ziele und Maßnahmen die Befragten als WMS-spezifisch wahrnehmen (vgl. 7.4). Die für die Argumentation notwendige Bezugnahme auf das empirische Material (Dokumente und Interviews) erfolgt wie bereits im vorangegangenen Abschnitt durch Nennung eines Quellenalias[2]. Diese Wahrnehmungsmuster werden im Sinne der Strukturationstheorie als praktisches Wissen über das WMS bzw. Wahrnehmung eines Handlungsvermögens mit Bezug zum WMS aufgefasst. Abschließend werden formalstrukturelle sowie wahrnehmungsbezogene Repräsentationsformen kontrastiert und in Bezug auf ihr Potenzial zur handlungswirksamen Strukturbildung diskutiert (vgl. 7.5) [3].
- [1] Forschungspraktisch bedeutet das, dass hier nur Interviews der Befragten des Unternehmen der Einzelfallstudie EFS auswertet wurden.
- [2] Interviews sind mit einem nummerischen Alias versehen: FA bis FM für die Mitarbeiter der Fallstudie EFS. Anhang 1 stellt das Sampling der Interviews in einer Übersicht dar. Die Dokumente, die im Rahmen des qualitativen Dokumentensamplings untersucht wurden, sind im Sampling nach fünf thematischen Gruppen geordnet, die fortlaufend nummeriert sind. Der Alias setzt sich zusammen aus „D“ – für Dokumentensampling – und zwei Ziffern für Thema und Dokument (z.B. D. 1.1.). Im Anhang 2 sind alle Dokumente mit zugewiesenem Alias in einer Übersicht dargestellt. Wie bereits im vorhergehenden Kapitel werden Quellenverweise auf Interviews und Dokumente mit als zwei Nennungen aus Gründen der Lesbarkeit in Fußnoten dargestellt.
- [3] Die Frage der handlungspraktischen Wirkmächtigkeit wird dann im darauffolgenden Kapitel (vgl. Kapitel 8) mit Bezug auf Deutungsmuster und Handlungsorientierungen erläutert.