Rekonstruktion der Implementierungsmethoden

Methodisch wurde das WMS vor allem über Kommunikations- und Schulungsmaßnahmen implementiert: Vorträge (FH: 95f, 110-114,), Informationsmaterial (FH: 177-184, FI: 197-200), Veröffentlichungen in der Mitarbeiterzeitung und im Intranet[1] sowie Schulungsveranstaltungen für alle EFS Führungskräfte[2] werden als Implementierungsmaßnahmen von den Befragten geschildert.

Über das Steuerungsinstrument „Zielvereinbarung“ wurden die Führungskräfte als Akteure der Implementierung adressiert (FM: 441450): Die Führungskräfte der zweiten Führungsebene wurden vier Jahre nach der initialen Installation über persönliche Zielvereinbarungen[3] in die Pflicht genommen ihre Mitarbeiter zu informieren und zu schulen[4]. Mit Unterstützung der Personalabteilung wurden mehrere hundert Mitarbeiter gruppenweise geschult.

Bei der Rekonstruktion der Implementierungsschritte des WMS im Unternehmen EFS fällt auf, dass die frühen Phasen vor der initialen Installation des Konzepts durch eine lange Dauer (drei Jahre) und die frühe Verortung des Implementationsprojektes in der Unternehmensleitung gekennzeichnet ist. Die Legitimation des Prozesses wurde bereits vor der Implementierung durch die gemeinsame Problemwahrnehmung des Leiters Konzernrevision und des Vorstandsvorsitzenden gewährleistet. Als Auftraggeber des Prozesses legitimierte der Vorstand sowohl den Prozess, als auch nachfolgend die Gültigkeit der entwickelten Normen für den Geltungsbereich des Unternehmens EFS insgesamt. Das Hinzuziehen anerkannter Experten in der frühen Phase sicherte darüber hinaus die Seriosität des Vorhabens ab:

„Da war noch der Herr && [Name] dabei von Transparency, der – weil ich hab versucht das in den Kontext zu stellen, dass das jetzt keine, keine esoterische Veranstaltung ist, sondern dass andere große namhafte Unternehmen auch in Anführungszeichen gebrannte Kinder sind und deswegen eben entsprechende Aktivitäten ergriffen werden.“ (FN: 184-188)

Die Zusammenstellung der Arbeitsgruppe (Change Agents) in der Phase der Programminstallation verdeutlicht die strategische Ausrichtung des Projekts: Projektmitglieder waren leitende Mitarbeiter der Arbeitsbereiche, die vom Korruptionsvorfall direkt betroffen waren[5] sowie Experten für Organisationsgestaltung (Leiter Konzernrevision als Projektleitung, Mitarbeiter aus Konzernrevision, Personal- und Organisationsentwicklung). Die Implementierung ist durch die Zusammensetzung der Arbeitsgruppe damit zum einen mit ausreichenden autoritativen Machtressourcen ausgestattet um den Prozess voranzubringen und die Ergebnisse abzusichern. Zum anderen waren als Change Agents Experten für den als Risikobereich identifizierten Beschaffungs- und Bauprozess bei der Entwicklung von Verhaltensprinzipien beteiligt. Ihre Expertise birgt die Chance einer Anschlussfähigkeit der WMS Normen an die Logik der Geschäftsprozesse.

Die initiale Installation und die folgende Phase der Programmdurchführung verstärkt den Eindruck, dass das WMS mit autoritativer Absicherung und sinnlogischen Bezugnahmen schrittweise in die Prozesslogik des Unternehmens eingeführt wurde. Hierarchisch legitimiert wurden die Führungsebenen des Unternehmens nacheinander diskursiv eingebunden und als Change Agents, formal abgesichert über Zielvereinbarungen, zur Einführung des WMS in ihrem Bereich verpflichtet. Die in der Phase der Programmdurchführung etablierten Strukturen repräsentieren schließlich die Absicherung des WMS. Der Vorstand sichert das WMS in seiner Rolle als Auftraggeber gegenüber dem strategischen Verantwortlichen weiterhin im autoritativen Sinne ab. Diese autoritative und sinnlogische Absicherung erfährt allerdings eine Einschränkung: Die am Implementierungsprozess aktiv beteiligten Funktionsgruppen repräsentierten vornehmlich die Bereiche, die vom Korruptionsfall direkt betroffen waren (siehe oben Abschnitt 7.2).

Begleitet wurde die Implementierung des WMS durch mehrere Mitarbeiterbefragungen[6]. Die erste Befragung fand im Jahr der initialen Installation statt. Die erste Folgebefragung (Befragung 2) erfolgte im darauf folgenden Jahr, zwei weitere Folgebefragungen (Befragungen 3 und 4) folgten im Zweijahres-Rhythmus[7]. Die Stichproben setzten sich zusammen aus Führungskräften der ersten drei Führungsebenen, Projektleitern für Investitionsprojekte, Einkäufern, Anforderern an Bauprojekte und sonstigen Bedarfsträgern, Meistern, als vierte Führungsebene, und sonstigen Mitarbeitern[8]. Die Stichprobe repräsentiert damit wiederum die Status- und Funktionsgruppen, die auch als Change Agents maßgebliche Repräsentanten des Implementierungsprozesses des WMS waren.

Die ersten beiden Befragungen fokussierten vor allem drei Themenbereiche: die Einschätzung der Mitarbeiter, inwieweit ethisch-moralische Integritätskriterien im Unternehmen EFS gegenüber internen und externen Statusgruppen erfüllt sind, Einschätzungen zur Zielsetzung des WMS und ein Feedback zur erhaltenen Information über das WMS. Die Befragungen 3 und 4 fokussierten stärker alltagspraktische Relevanzbezüge des WMS[9]. Die Ergebnisse dokumentieren, dass das WMS im Unternehmen EFS positiv wahrgenommen wurde. Die Auseinandersetzung mit dem Thema Integrität und Standards ethisch-moralischer Geschäftspraktiken aus Unternehmenssicht bewerteten in der frühen Phase der Implementierung (Befragungen 1 und 2) etwa 4/5 der Befragten positiv (vgl. D 5.3: 1). [10] Auch die Folgebefragungen (Befragung 3 und 4) bestätigen dieses Meinungsbild. Die Verhaltensprinzipien wurden von über 60 Prozent der Befragten als relevante und nützliche Entscheidungshilfen bewertet[11]. Im Zeitvergleich zeigt sich außerdem eine stabile Tendenz in der Einschätzung der häufigsten Ursachen der Verletzung ethisch-moralischer Integritätskriterien[12]: Mehr als 50 Prozent nannten opportunistische Motive wie fehlendes Unrechtsbewusstsein und Eigeninteressen. Circa 25-40 Prozent der Befragten nennen des Weiteren strukturelle Ursachen, wie Zeitdruck, Fehler in der Projektorganisation (beispielsweise fehlendes Vier-AugenPrinzip), [13] sowie eine Diskrepanz zwischen Alltagsanforderungen und WMS Prinzipien[14]. In vergleichbarer Ausprägung der Antworthäufigkeiten bewerten die Befragten außerdem unternehmenskulturelle Aspekte, wahrgenommen als Erfolgsdruck durch Führungsebenen, fehlendes Vorbild durch Führungskräfte und die Wahrnehmung, dass die Verhaltensprinzipien nicht gelebt würden, als Ursachen der Verletzung von ethischmoralischen Kriterien.

Der nachvollzogene Implementierungsprozess kann zusammenfassend als Voraussetzung zur verhaltenswirksamen Integration des WMS in die Prozesse des Unternehmens bewertet werden: Es wurde autoritativ abgesichert durch die Verankerung im Vorstand, ausgestattet mit Ressourcen zur Wahrnehmung operativer Aufgaben und die sinnlogische Vermittlung auf die Prozessebene sollte vermittelt durch jeweils verantwortliche Führungskräfte erfolgen. Auch die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragungen bestätigen diese Einschätzung. Fokussiert auf Funktions- und Statusgruppen, die als korruptionsgefährdet eingeschätzt wurden, spiegeln die Ergebnisse ein allgemein positives Meinungsbild der Befragten zum WMS und seiner Alltagsrelevanz wider. Damit scheinen die strukturellen WMS-Bezüge grundsätzlich handlungspraktisch anschlussfähig zu sein. Folgt man strukturationstheoretischen Überlegungen, dann bedeutet die Wirkmächtigkeit des WMS auf der Mesoebene der Organisation, dass es als Phänomen sowohl in formalstruktureller als auch in handlungslogischer Hinsicht repräsentiert ist. Inwieweit das im Beispiel des untersuchten Unternehmens EFS nachvollzogen werden kann, wird im Folgenden mit der dokumentarischen Analyse von Dokumenten (vgl. 7.3) sowie Äußerungen der Befragten (vgl. 7.4) nachvollzogen.

  • [1] Vgl. FH: 200-208, siehe auch D 1.1 und D. 1.2.
  • [2] Vgl. FH: 185-192, 208-210, FK: 499-501, FM: 128-132, 143-151, FF: 136-142.
  • [3] Flächendeckende Integration als Ziel in den persönlichen Zielvereinbarungen der Leitenden Mitarbeiter der zweiten Führungsebene zur Schulung der Führungsebenen drei und vier.
  • [4] Vgl. FA1: 9-14, 20-22, FA2: 60-76, FH: 192-200, FK: 58-70.
  • [5] Mitarbeiter der Abteilungen Bau und Einkauf sowie der für Baufragen verantwortliche Mitarbeiter der Rechtsabteilung.
  • [6] Quantitative Befragung mit Freitextfeld am Ende.
  • [7] Vgl. D 5.3, D 5.4 und D 5.5.
  • [8] Die Rücklaufquoten stiegen im Zeitverlauf an: Befragung 2 ca. 30%, Befragung 3 ca. 35% und Befragung 4 über 40%. Die Befragung war nicht als Panelstudie angelegt.
  • [9] Aus Gründen der Vertraulichkeit erfolgt nachfolgend keine detaillierte Darstellung der Ergebnisse. Die Ergebnisse sind im Einzelnen für die weitere Argumentation weniger wesentlich als die Beobachtung, dass im Unternehmen EFS die Mitarbeiterbefragung als Implementierungsmethode genutzt wurde: Vor-, während und nach Abschluss der Implementierung wurden die Mitarbeiter gezielt nach ihrer Meinung zum WMS gefragt.
  • [10] In den Folgebefragungen wurde die Frage nicht mehr aufgenommen. Ergänzt wurden in Befragung 4 und Befragung 5 Fragen zur „Wirkung“ des Konzepts, die mit vier meinungsbildenden Fragen operationalisiert wurden: WMS sei eine nachhaltige Maßnahme mit greifbaren Auswirkungen, WMS werde im Arbeitsalltag gelebt, Verhaltensprinzipien des WMS gäben bei Entscheidungen wirksame Orientierung und das WMS sei eine praxistaugliche Hilfe im Alltag (vgl. D 5.7: 7).
  • [11] Vgl. D 5.4: 8, D 5.5: 11 und 25f.
  • [12] Vgl. D 5.2: 10, D 5.4: 19 und D 5.5: 19.
  • [13] Mit abnehmender Tendenz von Befragung 1 bis Befragung 4.
  • [14] Ebenfalls mit abnehmender Tendenz von Befragung 2 bis Befragung 4.
 
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