Unternehmensethische Normen repräsentieren eine richtungsweisende Leitidee

Häufiger als die Rahmung unternehmensethischer Normen als Etikett in der Kommunikation ist im Material die zweite Deutungsregel dokumentiert: Das Managementkonzept ist handlungsleitend, weil darauf als richtungsweisende Leitidee Bezug genommen wird. Wie oben in Anlehnung an Lepsius eingeführt (vgl. Abschnitt 4.4) wird als Leitidee eine von den Mitgliedern des Unternehmens gemeinsam geteilte Vorstellung des Wünschenswerten aufgefasst, die für sie deutungs- und handlungsleitend im organisationsbezogenen Alltag ist. Die durch das unternehmensethische Managementkonzept repräsentierte Leitidee ist Integrität mit der Werthaltung moralischen Wirtschaftshandelns (vgl. Abschnitt 2.2.2). Die Bezugnahme auf diese Leitidee ist in den Äußerungen der Befragten dadurch dokumentiert, dass sie das WMS als Gesamtkonzept thematisieren, das verbindliche Erwartungen an integres Geschäftsgebaren formuliert. Dabei thematisieren die Befragten je unterschiedliche Entscheidungssituationen als zugrundeliegende Handlungsprobleme:

1) Orientierung in unklaren Situationen (Dilemmata)

2) Orientierung gemäß der WMS Prinzipien

3) Orientierung gemäß der Einkaufsprinzipien

Diese Bezugnahmen werden nachfolgend, je einzeln für jedes identifizierte Handlungsproblem, erörtert.

1) Orientierung in unklaren Situationen (Dilemmata)

Ein Handlungsproblem dokumentiert sich in Entscheidungssituationen, die die Befragten als unklar und im Sinne von Dilemmata äußern. Folgende Schlüsselsequenz des für das WMS bei EFS verantwortlichen Leiters der Konzernrevision (FN), verdeutlicht diese Thematisierung:

„Ja. Also in einer Dilemmasituation dahingehend weil er gar nicht wusste was das Unternehmen wirklich will. So. Deswegen ist das bei allem Formalismus einfach notwendig, das so 'n +++ so 'n Verhaltensstandard, 'n Code of Conduct, 'ne Verpflichtungserklärung und so weiter, die muss in der Welt sein. Weil nur wenn sie in der Welt ist, kann ich 'nen Bezug drauf nehmen. So. Natürlich weiß ich, das mit der Erklärung allein noch nicht in Anführungszeichen alles besser is', aber ich weiß zumindest da haben, hat sich jemand der jetzt ganz oben in dem Unternehmen steht, die haben sich dazu verpflichtet. Die haben sich das als Aufgabe gegeben. So. Und die Nagelprobe ist: meinen sie's ernst oder nicht. So. Und dieser junge Mann, der wusste halt überhaupt gar nicht was richtig ist. So.“ (FN: 231-240)

Dieser Stellungnahme vorausgegangen ist eine lange Eingangssequenz, in der der Befragte FN ausführlich die Einführung des WMS bei EFS beschreibt. Evoziert durch eine Nachfrage der Interviewerin, nach Abschluss der Eingangssequenz, formuliert FN die zitierte Äußerung. Der immanent formulierte Fragestimulus nimmt Bezug auf das vorab beschriebene Beispiel eines jungen Ingenieurs, der in die Korruptionsaffäre bei EFS (vgl. Abschnitt 7.2.1) verstrickt war[1]. Das WMS beschreibt FN in der hier zitierten Stellungnahme als in seiner Existenz notwendig, um in Dilemmasituationen darauf Bezug nehmen zu können FN rahmt diese Stellungnahme mit der Formulierung eines Deutungsangebots zur Situation des beschriebenen Einzelfalls. Nach einer sehr kurzen Ratifizierung zu Beginn („Ja“) benennt FN die Entscheidungssituation des jungen Ingenieurs wiederholt als „Dilemmasituation“, die aus der Unkenntnis über die Unternehmensstrategie heraus entstanden sei. Alle Elemente der Sequenz – Kontextualisierungen, Aussagen und Differenzierung – schließt FN jeweils mit einer Coda ab („So“) und betont damit den Aussagegehalt seiner Stellungnahme.[2]. Er fügt keine Differenzierung der darin beschriebenen Normen, Geltungskontexte oder Sanktionen an. Die Bezugnahme bleibt allgemein dahingehend, dass sie nicht konkrete Richtlinien, sondern das WMS insgesamt im Sinne einer „Verpflichtungserklärung“ thematisiert, die „in der Welt sein“ müsse. Als sich anschließende Differenzierung formuliert FN eine Wirkungserwartung: Durch die Autorität des Vorstandes als Herausgeber des WMS werde dessen Geltung beansprucht und seine Verbindlichkeit repräsentiert. Diese Bezugnahme FNs auf das WMS, einerseits offen und gleichzeitig mit hoher autoritativer Absicherung, legt die Deutung nahe, dass seine Handlungsrelevanz darin zu sehen ist, dass es als Gesamtkonzept Orientierung in alltäglichen Situationen im Sinne einer richtungsweisenden Leitidee bietet. Diese Deutung wird durch weitere Aussagen im Material gestützt:

Die „Dilemmasituation ist immer noch die gleiche aber wir haben jetzt dieses Gerüst Wertemanagement, die Leut' wissen, dass sie sich daran halten +++ sollen, dass der Vorstand das macht, und dementsprechend wird mit diesen Themen anders umgegangen.“ (FN: 260-262)

„Diejenigen, die wankelmütig sind dahingehend, die gar nicht genau wissen: was will das Unternehmen jetzt? Will das Unternehmen den ökonomischen Erfolg unter Inkaufnahme aller, aller Risiken, oder +++ oder umgekehrt. So. Die machen wir letztendlich stark“ (FN: 265-268).

Im Zitat leitet FN die formulierte Wirkungserwartung durch die vorherige Rahmung des WMS als „Gerüst“ ein, das durch die autoritative Absicherung im „Vorstand“ zur Orientierung vorgegeben und vorgelebt werde. Als Dilemmasituation thematisiert FN in beiden Textstellen Situationen, in denen ökonomische und nicht-ökonomische Handlungserwartungen an Mitarbeiter gerichtet werden. FN zufolge soll die Bezugnahme auf die Prinzipien für den einzelnen Mitarbeiter Orientierung bieten. Das WMS rahmt FN als Gesamtkonzept mit hohem Geltungsanspruch, d.h. Mitarbeiter können Geschäftspraxen, die wirtschaftlich rational jedoch nicht integer sind, unter Bezugnahme auf das WMS infrage stellen. Auch der operative Aufgabenleiter für das WMS im Konzern (FA) rahmt das unternehmensethische Managementkonzept in diesem Sinne:

„also, +++ wenn ich in einer Dilemmasituation bin. +++ Dann blättere ich nicht nach +++ bei der Fragestellung oder bei also in unserem Code of Conduct, sondern ich werde zurückgeworfen auf das, was ich an ethischen Entscheidungsmustern mitbringe. Ja? Ist es gut, ist es richtig, kann ich 's rechtfertigen, und so weiter. Das Wertemanagement soll eine Hilfestellung bieten für +++ schwierige Situationen“ (FA1: 580-585).

FA thematisiert hier die Wirkungserwartung des Wertemanagements als

„Hilfestellung“, im Anschluss an die negative Validierung von Verhaltensregeln: In Dilemmasituationen wirkten nicht Einzelregeln, sondern ein Repertoire „an ethischen Entscheidungsmustern“. Die Bezugnahme auf das Managementkonzept erfolgt in den zitierten Textstellen stets allumfassend, d.h. die Befragten konkretisieren keine spezifischen Regeln, die in den Verhaltensprinzipien zu finden wären, sondern verweisen auf das Wertemanagement als Gesamtkonzept.

Die fallkontrastierende Betrachtung bestätigt diese Deutung. Die Ombudsperson (vgl. FJ: 337-353), der WMS Verantwortliche im Einkauf (vgl. FF: 158-162) sowie der stellvertretende Personalleiter (vgl. FK: 48-72) beschreiben die Handlungsrelevanz aus der Perspektive ihrer Aufgabenverantwortung darin, dass Mitarbeiter sich in unklaren Situationen mit Fragen an sie wendeten.

Zwei Befragte aus der Vergleichsgruppe beschreiben das unternehmensethische Managementkonzept in ihrem Unternehmen ebenfalls im Sinne einer richtungsweisenden Leitidee in unklaren Situationen. Der Entscheider VB beschreibt die Handlungsrelevanz darin, dass Mitarbeiter die Prinzipien des unternehmensethischen Managementkonzepts schrittweise als Haltung in alltäglichen Entscheidungen im Sinne „gewisser Leitplanken“ (VB: 601) verinnerlichen. Er konkretisiert das in der Erwartung, dass grundsätzlich alle Entscheidungen und Ergebnisse im Unternehmen transparent darzustellen seien (vgl. VB: 608-620). Der Befragte VC begründet die Handlungsrelevanz des Konzepts in seinem Unternehmen, als Orientierung in „Grauzonen“ (vgl. VC: 306-327).

Das WMS erscheint in der Gruppe dieser Äußerungen insgesamt als richtungsweisende Leitidee in Situationen, die sich aufgrund unklarer oder fehlender Informationen für Mitarbeiter als Dilemma erweisen können.

2) Orientierung gemäß der WMS Prinzipien

Als weitere Handlungsprobleme, für die das WMS als richtungsweisende Leitidee im Material dokumentiert ist, beschreiben Mitarbeiter Entscheidungssituationen, die die Themen Rechtmäßigkeit, Loyalität und Umgang mit Geschenken und Zuwendungen betreffen. Diese Thematisierung überrascht wenig, da sie bei EFS explizit als Verhaltensprinzipen des WMS beschrieben und vom Vorstand herausgegeben wurden (vgl. Abschnitt 7.3.2).

Insgesamt 23 Textstellen dokumentieren das Managementsystem im Material als richtungsweisende Leitidee in Entscheidungssituationen, die die Gabe oder Annahme von Geschenken oder Einladungen betreffen. Die operativen WMS Verantwortlichen bei EFS und der Vergleichsgruppe thematisieren diesen Bezug aus der Perspektive derjenigen, die das WMS auslegen und Anfragen von Mitarbeitern entgegennehmen und beantworten.

„Jetzt ist natürlich die Welt nicht so einfach, dass wir auch nicht versuchen unsere Kunden uns wohlgesonnen zu machen. Aber im, aber in einer Art und Weise wo wir meiner Meinung nach 'n Verfahren entwickelt haben, wo wir, wenn mal einer hier 'n fünfzigjähriges Firmenjubiläum hat und lädt von uns zwei Leute ein nach Hamburg zu fliegen und an einer Veranstaltung teilzunehmen, dann ist das bei uns 'n ganz normaler Prozess. +++ Insofern als die Bereichsleiter oder bis hin zum Vorstand die reden da drüber und dann sagen die OK, da schicken wir zwei Leute hin die && (EFS) repräsentieren. Ich denk' mal das is legitim und das is in Ordnung.“ (FN: 290-298)

Dieses Zitat steht am Ende der oben zitieren Sequenz, in der der Leiter Konzernrevision (FN) die Handlungsrelevanz des WMS als richtungsweisende Leitidee in Dilemmasituationen beschreibt. Hier schließt der Befragte FN eine zweite Deutung an, in der er die Handlungsrelevanz damit begründet, dass mit der Entscheidung ein bestimmtes Verfahren verbunden sei. Nicht die Entscheidung für oder gegen eine Einladung sondern den Umgang damit beschreibt FN als Effekt des WMS. In vergleichbarer Weise thematisiert ein Abteilungsleiter Bau (FI) die Relevanz des WMS in seinem Aufgabenbereich:

„Ah, eine +++ 'ne große Rolle! Sehen Sie, die Mitarbeiter haben sich da ist das verinnerlicht. Wenn +++ bei uns 'n Mitarbeiter zum Beispiel +++ eingeladen wird. Von einer Firma. Dann kommen die heute zu uns und sagen: "Hier, ich bin zum Essen eingeladen worden. Gibt 's da Bedenken gegen, ich möcht' es gerne anmelden, hätte gern 'ne Zustimmung." Und dann sagt man: "Ja komm, +++ klar, hast jetzt mit der Firma gut gearbeitet, geh mal Essen." (klopft bei folgender Aussage / Satz wieder auf den Tisch) Also: Transparenz. Es ist bekannt, er geht mit der Firma mal essen. Na? Das sind Auswirkungen des Wertemanagements. Da erkennt man, die Menschen haben es verinnerlicht. Sie haben verstanden, worum geht 's den eigentlich? Es geht gar nicht darum, alles zu verbieten: "Du darfst nicht mehr mit jemandem Essen gehen. Das ist ja hm da kommt ja gleich Korruption!" Das wäre ja falsch! Es gibt Geschäftsbeziehungen, die man +++ man muss sich auch mal bei 'nem Essen unterhalten können! +++ Aber das wird dann transparent gemacht und nicht heimlich in irgend 'ner dunklen Kaschemme, wo man dann andere Dinge bespricht. Ne? Und wenn dann Auffälligkeiten wären, +++ dann kann man gegensteuern. Und +++ von daher muss ich sagen, funktioniert das gut.“ (FI: 327-344)

Die Sequenz formuliert die Führungskraft FI als Antwort auf die exmanente Frage der Interviewerin danach, welche Rolle das WMS im Tagesgeschäft seiner Abteilung spiele (FI: 321-325). Er formuliert zu Beginn eine kurze Stellungnahme („das ist verinnerlicht“), die er nach einer differenzierenden Elaboration in ausführlicherer Weise wiederholt („Das sind Auswirkungen des Wertemanagements. …. Sie haben verstanden, worum geht's denn eigentlich?“) und nach einer zweiten differenzierenden Elaboration als Abschluss der Sequenz, im Sinne einer Coda, ein drittes Mal aufgreift („von daher muss ich sagen, funktioniert das gut“).

Die Wahrnehmung, dass unternehmensethische Normen im Unternehmen zu einer veränderten Aufmerksamkeit gegenüber möglichen Folgekosten im Umgang mit erhaltenen Einladungen und Geschenken oder offerierten Zuwendungen an Geschäftspartner führen, formulieren ebenfalls drei der vier Befragten der Vergleichsgruppe. Das folgende Zitat verdeutlicht dabei diese typische Bezugnahme auf das Managementkonzept als richtungsweisende Leitidee:

„Und da helfen jetzt wieder diese Werte indem man eben sagt: "Im Zweifel eben nicht!" [2] Weil das nicht verantwortungsvoll ist bis an die Grenzen zu gehen.“ (VA: 164-166).

Die Befragten thematisieren das jeweils im Unternehmen implementierte unternehmensethische Managementkonzept zusammenfassend als richtungsweisende Leitidee bei Entscheidungen zur Angemessenheit von Praxen zur Pflege von Geschäftsbeziehungen. Sie thematisieren die Handlungsrelevanz unternehmensethischer Normen, in Zusammenhang mit einer erhöhten Sensibilität der Mitarbeiter gegenüber möglichen Folgekosten der Praxis von Geschenken und Zuwendungen.

Auch das Thema Loyalität gegenüber dem Unternehmen, festgeschrieben in den Verhaltensprinzipien des Unternehmens EFS, ist im Material als Bezugnahme zur Begründung der Handlungswirksamkeit des WMS dokumentiert. Vor allem alltagspraktische Gewohnheiten, die in Konflikt mit Firmeninformationen und Firmeneigentum geraten könnten, reflektieren die Befragten in Bezugnahme auf das WMS:

„Und wenn ich mich intern unterhalte ist es 'n internes Gespräch und es soll kein Dritter mitbekommen. Da geht's bei mir los und da versuch ich die Mitarbeiter zu sensibilisieren. Das geht weiter, dass sie Unterlagen im Büro wegschließen, die hochsensibel sind. Wir haben Projektberichte, Kostenberichte die gehen 'nen Dritten erst mal nichts an. Dritter mein ich, der nicht direkt was mit dem Projekt zu tun hat. Das hat nichts mit Anforderer oder sonst wem zu tun. Die können jeder Zeit, wenn sie was wissen wollen rufen sie an oder wird 'n Termin gemacht da wird darüber geredet. [3] So. Oder der Raum ist abzuschließen. Ja? Das hat schon 'n gewissen, für mich 'ne gewisse Sensibilität und da leg ich auch für meine Leute Wert drauf [3].“ (FL: 342-351).

Ein Abteilungsleiter Bau (FL) formuliert in mehreren Bezugnahmen alltagspraktische Beispiele, als Antwort auf exmanente und immanente Fragen nach der Handlungsrelevanz des WMS in seinem Bereich. In der zitierten Textstelle reflektiert der Befragte FL die Praxis der Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern, die für die Dauer der Beauftragung Büroräume im Unternehmen EFS beziehen. Andere Bezugnahmen thematisieren den Umgang mit Firmeneigentum (vgl. FL: 777-797, FA1: 594-618) und der Abrechnung geleisteter Arbeitszeit[3].

Schließlich sind im Material zwei Äußerungen dokumentiert, die die Relevanz des WMS zu einer erhöhten Sensibilität der Mitarbeiter gegenüber rechtlichen Folgekosten von Handlungsentscheidungen attestieren (vgl. FA2: 484-517, VC: 580-602).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass unternehmensethische Normen im Material dokumentiert sind als richtungsgebende Leitidee bei Entscheidungssituationen, die Verhalten bei Geschenken und Zuwendungen, Loyalität gegenüber dem Unternehmen und Rechtstreue betreffen.

3) Orientierung gemäß der Einkaufsprinzipien

In einer dritten Bezugnahme ist das WMS bei EFS dokumentiert als richtungweisende Leitidee bei Entscheidungen im Vergabeprozess. Mitarbeiter im Geschäftsprozess „Einkauf von Bauleistungen“ thematisieren das WMS typischerweise in Bezug auf geschäftsprozessbezogene Entscheidungen, die die Deutung nahelegen, dass das WMS darin als richtungsweisende Leitidee wahrgenommen wird.

„Also auch an dieser Stelle, wenn ich die Angebotsauswertung mache, komm' ich wieder in direkten Konflikt will ich nicht sagen aber spielt das Wertemanagement durchaus mit 'ne Rolle. Dass man auch wirklich fair auswertet. +++ Und, das ist bei uns so, dass <-die-> [2] dass die +++ Auswertung der Präqualifikation und auch der Angebote, dass die in den Fachbereichen erfolgt. Nicht bei uns. Sondern wir sind dann nachher wenn das zu uns zurückkommt wir sind dann das vierte Auge, die dann noch mal drauf schauen, ob das auch fair gegenüber dem Wettbewerb ausgewertet wurde.“ (FE: 193-200).

Das Zitat verdeutlicht, wie Mitarbeiter im Einkauf typischerweise auf das Wertemanagement Bezug nehmen. Die zitierte Textstelle ist einer frühen Phase des Interviews mit dem Sachbearbeiter FE entnommen, in der er der Interviewerin seinen Arbeitsalltag unter Zuhilfenahme konkreter Fallbeispiele erklärt. Der Mitarbeiter formuliert hier selbstinitiativ, im Modus einer zusammenfassenden Bewertung, die Bezugnahme zum WMS, d.h. ohne eine vorangegangene explizite oder immanente Frage durch die Interviewerin. Dieser Stelle vorausgegangen ist eine längere narrative Sequenz, in der der zitierte Sachbearbeiter im Einkauf (FE) die Auswertung eingegangener Angebote erläutert. Das WMS rahmt der Befragte FE hier wiederholt mit der Anforderung Angebote „fair“ auszuwerten, der er sich als Mitarbeiter im Einkauf verpflichtet sieht.

Diese Anforderung ist allerdings kein exklusiv unternehmensbezogener Standard (vgl. dazu auch 8.2.1). Er repräsentiert vielmehr die im deutschen und europäischen Vergaberecht geregelten Rechtsgrundsätze und „beinhaltet insbesondere das Verbot der Bevorzugung aufgrund eines bestimmten Betriebsstandortes des Bieters, die Unzulässigkeit wettbewerbswidriger Verhaltensweisen und die Gleichbehandlung aller Bieter im Vergabeverfahren“ (Buhr 2009: 54). Naheliegender als die vorgenommene Rahmung zum WMS wäre daher eine Bezugnahme zum Vergaberecht. Letzteres ist im Material jedoch nur insgesamt zwölfmal dokumentiert. Die Befragten rahmen diese Anforderungen weit häufiger, wie in der vorangegangenen Textstelle zitiert. Im Material sind die Anforderungen der Gleichbehandlung und Diskriminierungsfreiheit in der Zusammenarbeit mit Lieferanten typischerweise mit Bezugnahme zum WMS dokumentiert (insgesamt 40 Thematisierungen). Die Befragten begründen darin die Handlungsrelevanz der WMS Prinzipien damit, dass diese verbindlich verankerte Grundregeln darstellten[4]. Durch das WMS werde die Orientierung an den Einkaufsprinzipien klarer praktiziert als vor seiner Implementierung[5].

Im Alltagsbezug des Geschäftsprozesses Einkauf von Bauleistungen erscheint das WMS ebenfalls als richtungweisende Leitidee. Die Mitarbeiter begründen Entscheidungen im Vergabeverfahren, die den Umgang mit Bietern und Lieferanten betreffen, durch Verweis auf das WMS als Gesamtkonzept.

  • [1] Als Dilemma beschreibt der Befragte FN vorher die Situation, dass der betreffende junge Ingenieur in seinem Bereich korrupte Unregelmäßigkeiten entdeckt hatte, von seinem direkten Vorgesetzten jedoch vor die Wahl gestellt wurde sich konform zu verhalten oder das Unternehmen zu verlassen.
  • [2]
  • [3] Vgl. FA1: 648-653, FK: 368-379, 508-526.
  • [4] Vgl. FB: 219-238, 355-359, 360-369, 397-399, 400-402, FI: 400-402.
  • [5] Vgl. FG: 192-200, 200-224, 257-265, 765-782, FE: 193-200.
 
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