Der theoretische Bezugsrahmen: Die Kontingenztheorie des Handelns

Münchs Anspruch geht dahin, die unterschiedlichen objekt- und metatheoretischen Ansätze einer soziologischen Handlungstheorie in den Bezugsrahmen einer voluntaristischen Handlungstheorie zu integrieren, einer Kontingenztheorie des Handelns. Um dies zu erreichen, erweitert er im Anschluss an T. Parsons die Handlungstheorie um eine Systemtheorie, die eine analytische Ordnung zwischen Subsystemen herstellt und die Handlungselemente auf besondere Strukturen und Prozesse zurückführt. Grundsätzlich ist zwischen der analytischen Theorie der Handlungssysteme, der theoretischen Modelle und ihrer Gesetzmäßigkeiten und den empirischen Systemen zu unterscheiden. Für die empirischen Systeme ist gerade nicht Differenzierung, sondern mehrfunktionale Interpenetration typisch. Dies betrifft die Funktion der Teilsysteme.

Die Ebenen der systemtheoretischen Rekonstruktion sind die conditio humana, das allgemeine und das soziale Handeln und die Austauschbeziehungen der Medien, die als ein Austausch von Produkten und Faktoren zu analysieren sind – Münch ergänzt die Theorie der kommunikativen Medien um die Analyse der Medien „Recht“ und „Moral“. Hervorzuheben ist dabei, dass entgegen landläufigen Meinungen Handlungs- und Systemtheorie sich nicht nur nicht ausschließen, sondern sich ergänzen und aufeinander verweisen. Handlungen basieren immer auf fundierenden Beziehungen der Reduktion von Komplexität und der Ausschaltung von Kontingenz, unabhängig davon, ob sie dem Bewusstseinssystem oder dem Sozialsystem zugerechnet werden. Es gibt keine bestimmte Handlung, die nur einem einzigen Teilsystem angehörte. Münch exemplifiziert dies am Einberufungsbefehl einer Wehrbehörde: Auf der Analyseebene des sozialen Systems handelt es sich dabei um den Vollzug einer politischen Machtausübung (goal attainment, G), er beansprucht immer auch wirtschaftliche Ressourcen (adaptation, A), der Verwaltungsakt setzt jedoch seinerseits eine Bindung an faktisch geltende und für die Gesellschaftsmitglieder bindende Normen voraus (integration, I), und er ist seinerseits eine sprachliche Mitteilung (latency, L). Auf der Ebene der Handlungssysteme handelt es sich um einen personen- und rollenabhängigen Vollzug eines Beamten (G), der sich aus sozialisiertem Verhalten und Intelligenz (A) zusammensetzt und der eine soziale Bindung (I) sowie eine kulturelle Situationsdefinition voraussetzt (L). Auf der Ebene der conditio humana betrifft die Handlung ihrerseits die Selektion eines sinnhaften Handelns (I), das gleichzeitig durch organische Prozesse (G), physikalisch-chemische Vorgänge (A) und transzendentale Bedingungen der menschlichen Existenz (L) bedingt ist. [1]

Ziel von Münchs Theoriebildung ist es, eine Theorie der Moderne zu entwickeln, da erst eine angemessene Rekonstruktion der modernen Kultur und der sie tragenden Institutionen uns in die Lage versetzt, ein Verständnis der gegenwärtigen Gesellschaften, ihrer heterodoxen und orthodoxen sozialen Phänomene und ihrer Entwicklungsrichtung auszubilden. Die soziologische Theoriebildung hat die veränderte Situation des modernen Gesellschaftssystems, die „Dialektik der Kommunikationsgesellschaft“, zu erfassen, das heißt die sie kennzeichnenden kulturellen, politischen und sozialstrukturellen Vorgänge und globalen Interdependenzen der sozialen Handlungsfelder in einen „umfassenden Bezugsrahmen der Gesellschaftstheorie zu stellen“.[2]

  • [1] Vgl. R. Münch, Risikopolitik, a.a.O., S. 21, vgl. S. 12-26.
  • [2] Zur Integration objektspezifischer Ansätze und Teiltheorien soziologischer Theoriebildung in einen allgemeinen Theorierahmen vgl. R. Münch, Die Struktur der Moderne, a.a.O., Einleitung: „Die Moderne verstehen“.
 
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