Die westeuropäische Integration als Gesellschaftsmodell im Zentrumswettbewerb

Volker Bornschier

Die Beschleunigung und der qualitative Wandel der westeuropäischen Integration waren Großereignisse der achtziger Jahre. Sie verwandelten nicht nur grundlegend die politische Ökonomie Westeuropas, sondern setzten auch den Weg zur politischen Union in Gang – mit Folgewirkungen für den Wettbewerb in der Triade, gebildet aus den Vereinigten Staaten, Westeuropa und Japan. Solche bemerkenswerten strukturellen Wandlungen im Sozialen können wir im Rahmen einer Evolutionstheorie erklären. Im folgenden verwende ich zwei Elemente meiner Evolutionstheorie: Gesellschaftsmodelle im diskontinuierlichen sozialen Entwicklungsprozess und Wettbewerb der sozialen Ordnungen als Selektionsinstanz und Regulativ (Bornschier 1988, 1995).

Die Theorie des zyklischen sozialen Wandels, die den Aufbau und Niedergang von Gesellschaftsmodellen behandelt, bietet sich für die Erklärung der Revitalisierung Westeuropas in den achtziger Jahren zum einen deshalb an, weil beim Projekt der westeuropäischen Integration eine ausgeprägte Zyklik erkennbar ist, zum anderen, weil sie eine zeitliche Einordnung der entscheidenden Ereignisse, auf die wir zurückkommen werden, erlaubt. Ein vertieftes Verständnis für die sozialen Kräfte hinter dem Wandel der westeuropäischen Integration und für die Motive der Protagonisten gewinnen wir durch den zweiten Baustein der Theorie. Er betrifft den Weltmarkt für soziale Ordnung und Protektion.

Auslöser für den qualitativen Schub in der politökonomischen Entwicklung Westeuropas nach Jahren der Stagnation waren die Herausforderungen an der Schwelle der siebziger zu den achtziger Jahren, die weitherum von der wirtschaftlichen und politischen Elite Europas wahrgenommen wurde. Sie betrafen die Zersetzung des keynesianischen Gesellschaftsmodells, den relativen Niedergang der amerikanischen Hegemonie und die Wirtschaftskrise. Japan, der neue industrielle Gigant im Fernen Osten, hatte sich angeschickt, die europäischen Mächte von Platz zwei hinter den Vereinigten Staaten auf den dritten Rang zu verweisen. Dies gab dem Neubeginn nach einer langen Phase der Krise Schubkraft. Die institutionelle Unabhängigkeit der Kommission der Europäischen Gemeinschaft war sicherlich die Voraussetzung für Initiative und politisches Unternehmertum von dieser Seite; aber eine inhaltliche Erklärung gewinnen wir nur, wenn wir Argumente des Weltmarktes für soziale Ordnung und Protektion einbeziehen, welche die Nachfrage- und Angebotsseite von öffentlichen Gütern, also Staatsleistungen, berücksichtigen. In diesem Rahmen wird die Rolle der transnationalen europäischen Wirtschaftselite bedeutsam. Wir skizzieren unsere Version eines Elitenpaktes als Erklärung der Genese der Einheitlichen Europäischen Akte und weisen auch kurz auf unsere Forschungen hin, die diese empirisch stützen. Überlegungen zur Wettbewerbsposition Westeuropas und der Zukunft der hegemonialen Rivalität schließen die Betrachtungen.

 
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