Businesshelden

Im Wirtschaftsleben begegnet uns der Narzissmus in vielerlei Gestalt. Wie die Überschrift dieses Kapitels schon besagt, werden viele Akteure der heutigen Wirtschaft als Helden gepriesen und verehrt. Insbesondere die Ideengeber und Gründer der großen Internet- und IT-Firmen sind hierfür gute Kandidaten. Nicht selten haben sie um ihrer Idee willen, die sie dann mit unerschöpflicher Energie und unter Überwindung aller Widerstände umgesetzt haben, den sicheren Weg eines ordentlichen universitären Abschlusses verlassen. Ergebnis: großartige Unternehmen, die ihre Gründer schon im jugendlichen Alter zu Millionären oder gar Milliardären gemacht haben.

Der Archetyp des Helden eignet sich besonders gut dazu, narzisstisch aufgeladen zu werden: Helden sind per definitionem grandios. Sie sind außerordentlich begabt (mit Kraft, Geistesstärke usw.) und haben ein Ziel, das über sie selbst hinausweist und für die Gemeinschaft von Bedeutung ist. Der antike Held widmet diesem Ziel seine gesamte Existenz und bezahlt die Zielerreichung nicht selten mit seinem Leben.

Das Bedürfnis nach Helden scheint in der heutigen Zeit, die sich gerne aufgeklärt nennt, keineswegs geringer zu sein als in der Antike, und es ist kein Wunder, dass gerade in der Wirtschaft Helden gesucht (und gefunden!) werden.

Häufig wird die Bewunderung dabei reduziert auf die Tatsache, dass erfolgreiche Wirtschaftsführer viel Geld verdienen – dann ist die Heldenverehrung meist mit bewusstem oder unbewusstem Neid verbunden. Das Neidphänomen kennen wir schon aus dem Showbusiness und vom wissenschaftlichen Genie. Dieser Neid ist, wie wir dort gesehen haben, auch die Quelle der heimlichen Freude, wenn ein solch Großer stürzt, und die Erzählungen von gefallenen Helden sind schon immer sehr beliebt gewesen.

Was hat Neoliberalismus mit Narzissmus zu tun?

Die Verehrung des Geldes – vor allem in der modernen Gestalt des Neoliberalismus kann man sehr gut als narzisstisches Phänomen verstehen. Geld bietet eine universelle Möglichkeit, den Wert einer Sache oder einer Dienstleistung abzubilden. Es ist daher nicht weiter verwunderlich, dass Personen, die für ihre Arbeit viel Geld bekommen, ein hoher Wert beigemessen wird.

Nun ist es eigentlich ein Unterschied, ob die Person als solche oder deren Leistung bezahlt wird. In der tatsächlich geübten Praxis lässt sich das aber oft nicht genau voneinander trennen. Insbesondere in bestimmten Dienstleistungsbereichen kann man das gut sehen, zum Beispiel bei Vortragshonoraren. Die Höhe des Honorars bezieht sich nicht nur auf den Inhalt des Vortrags, sondern auch auf die Person des Vortragenden: Es macht einen deutlichen Unterschied, ob ein ehemaliger Bundesfinanzminister oder ein verhältnismäßig unbekannter Bankvorstand den inhaltlich genau gleichen Vortrag hält. Im Honorar spiegelt sich auch die Prominenz des Vortragenden wider. Und, genau wie Geld, ist Prominenz ein Gradmesser für Wertschätzung, in diesem Fall die allgemeine gesellschaftliche Wertschätzung.

Die Paradoxie liegt nun darin, dass „viel Geld zu verdienen“ als Heldenkriterium nicht besonders taugt. Der Held muss nämlich etwas für die Gemeinschaft spürbares leisten, und wenn einer viel Geld verdient, hat das mit der Gemeinschaft, in der er lebt, noch nicht unbedingt viel zu tun – wenn man davon absieht, dass derjenige dann auch viel Steuern zahlt (vorausgesetzt, er ist ein ehrlicher Mensch).

Die Heldenmetapher greift also nur dann, wenn „viel Geld“ die Folge besonderer Leistung oder herausragender Ideen ist. Von Henry Ford ist das Zitat überliefert: „Ein Geschäft, das nur Geld bringt, ist ein schlechtes Geschäft.“ Das bringt das Paradox des Geldverdienens auf den Punkt. Geld ist nur eine Wertanzeige, aber noch kein Wert an sich. Vermutlich ist genau das der Grund dafür, warum ein Neoliberalismus, der die Geldvermehrung als solche zum Wert erhebt, so hohl wirkt (und, nebenbei bemerkt, mit wirklicher Liberalität rein gar nichts zu tun hat). Daher kann man mit einiger Berechtigung davon sprechen, dass diese Form der Geldanbetung ein narzisstisches Phänomen in Reinkultur ist. Es geht nur noch um den Glanz der Grandiosität, nicht mehr um irgendeine Form von Substanz. Das ist auch der Grund dafür, warum Menschen, die ohne eigenen Beitrag zu Reichtum gekommen sind – zum Beispiel durch ein großes Erbe – nie das Ansehen genießen werden, das denen zukommt, bei denen man einen Zusammenhang zwischen Vermögen und eigener Leistung herstellen kann.

Das boulevardeske Interesse an den Superreichen hat mit dem narzisstischen Glanz von Reichtum zu tun und hinterlässt das unbefriedigende Gefühl von Schein statt Sein. Die narzisstische Bestätigung, die ein Mensch bekommt, ist immer unbefriedigend, wenn sie sich ausschließlich auf die Oberfläche bezieht, also in diesem Beispiel auf die finanzielle Potenz eines Menschen. Seine Person bleibt dann außen vor und sobald das Vermögen nicht mehr stimmt, ist es vorbei mit der narzisstischen Bestätigung. Hier gilt Ähnliches wie im Kap. 5 über die politische Macht schon beschrieben: Sobald die Macht weg ist, gibt es keine narzisstische Bestätigung mehr.

Ähnlich, wie wir es im Bereich der Politik gesehen haben, gibt es auch im Wirtschaftsleben die narzisstische Korruption, wie wir sie gerne bezeichnen würden. In einem solchen Fall dient die Stellung als Chef eines Unternehmens oder einer bestimmten Abteilung hauptsächlich dazu, die eigenen narzisstischen Bedürfnisse zu befriedigen. Es geht dann nicht mehr um die Motivation, eine bestimmte Aufgabe zu erledigen, die mit der eigenen Funktion verbunden ist, sondern überwiegend oder sogar ausschließlich um die mit der Position und mit dem Einkommen (s. oben) verbundene Anerkennung.

Von dieser narzisstischen zur finanziellen Korruption ist es dann oft nur ein kleiner Schritt. Menschen, die sehr anfällig sind für narzisstische Verführungen, schrecken auch oft nicht mehr davor zurück, kriminell zu werden (z. B. durch Vorteilsannahme, Bestechung anderer oder manifesten Betrug).

Wenn man die Berichterstattung über solche Fälle verfolgt – ein prominentes Beispiel wäre etwa der vormalige langjährige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi – sticht ins Auge, dass die Betroffenen oft selbst den Eindruck vermitteln, dass sie ernsthaft meinen, quasi „über den Gesetzen“ zu stehen. Das ist eine Form narzisstischen Größenwahns. Der Betreffende findet sich so großartig, dass er aufrichtig empört über das Ansinnen ist, auch für ihn mögen die staatlichen Gesetze gelten. Bemerkenswerterweise haben diese Menschen auch immer eine ansehnliche Schar von Anhängern. Es steht zu vermuten, dass sich diese mit der Grandiosität ihres Anführers identifizieren und einen Abglanz von dessen Größe für sich selbst erhoffen.

Am Thema „Narzissmus und Wirtschaftsleben“ kann man besonders gut demonstrieren, dass der Übergang von einem gesunden zu einem pathologischen Narzissmus durchaus fließend ist.

 
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