Ist eine Pathologisierung des Narzissmus immer angebracht oder ist er gerade im Geschäftsleben möglicherweise auch die oder zumindest eine Triebkraft für Innovationen?
Um eine Geschäftsidee umzusetzen, ein Unternehmen zu gründen und sich am Markt zu behaupten, ist eine Kraft erforderlich, die Selbstbewusstsein, Stolz und durchaus auch Aggressivität erfordert. Peter Sloterdijk, der zeitgenössische Philosoph, nennt diese Kraft „thymotisch“. Er meint, dass wir in
einer Zeit leben, in der diese Kraft oder Energie oft pathologisiert wird. Wir sehen hier eine Parallele zur Pathologisierung jedes narzisstisch motivierten Impulses. (Nebenbei bemerkt wird die Gestalt des Narziss' – wie auch die des Ödipus' – und ihre hohe Bedeutung in der Psychoanalyse von Sloterdijk heftig kritisiert.)
Bei narzisstisch motivierten Impulsen kommt es allerdings sehr genau auf die Zielrichtung und die Intensität dieser Impulse an. Gerade im Geschäftsleben kann man durchaus konstruktive Antriebskräfte von destruktiven Kräften unterscheiden – das entspricht der Unterscheidung eines gesunden Narzissmus von einem pathologischen.
Durchaus sehr konstruktive narzisstisch motivierte Kräfte können zum Beispiel dahinterstecken, wenn ein Unternehmen das Ziel hat, in seinem Bereich exzellent zu werden. Alle Anstrengungen werden gebündelt, um im eigenen Feld ein hervorragendes Produkt oder eine außergewöhnliche Dienstleistung hervorzubringen. Die dafür notwendigen Triebkräfte speisen sich sehr häufig, wenn sicherlich nicht nur, aus narzisstischen Motivationsquellen. Der Tüftler, der sich in einer Mischung aus Hingabe an die Sache und persönlichem Ehrgeiz in eine Produktentwicklung buchstäblich verbeißt, ist ein Beispiel dafür. Ohne die Energien, die in solchen Menschen wirksam sind, wäre keine Wirtschaft funktionsfähig und schon gar nicht innovativ.
Diese Energien zu pathologisieren oder einer pauschalen Abwertung zu unterziehen, ist nicht gerechtfertigt. Unseres Erachtens wird die gesamte menschliche Entwicklung zu einem erheblichen Teil tiefenpsychologisch nur nachvollziehbar, wenn man davon ausgeht, dass die Motivation, sich anzustrengen und ein Ziel mit Energie zu verfolgen, zu einem wesentlichen Teil narzisstischen Quellen entspringt.
Insbesondere wenn es um den Bereich echter Innovation geht, ist beträchtliches Beharrungsvermögen seitens der Akteure erforderlich. Wie sowohl die Geschichte der Wissenschaft als auch die Geschichte technischer oder politischer Neuerungen zeigt, sind diese Entwicklungen in der Realität immer von erheblichen Widerständen begleitet, auch wenn der Innovationsgeist als für unser Wirtschaftssystem essenziell gepriesen wird. Praktisch die gesamte Geschichte der industriellen Entwicklung der letzten 200 Jahre zeigt das – von der Furcht der damaligen Zeitgenossen angesichts der ersten Eisenbahn von Nürnberg nach Fürth über den Spott gegen den Wagen von Carl Benz, der ohne Pferde funktionierte, bis zu den Technikskeptikern unserer Tage, die der Überzeugung sind, die Strahlung mobiler Telefone bringe sicherlich schwere Gesundheitsschäden mit sich.
Ein gutes Beispiel aus neuerer Zeit für die beiden Seiten der narzisstischen Medaille wäre der 2011 verstorbene Mitgründer der Firma Apple, Steve Jobs. Jobs verfügte über ein erhebliches Sendungsbewusstsein, was die eigene Produktphilosophie betraf, und war dadurch beispiellos innovativ. Die Kehrseite war, wenn man seinem Biografen Walter Isaacson (2011) glauben darf, ein sehr ichbezogener und wenig empathischer Umgang mit Mitarbeitern und zum Teil auch mit der eigenen Familie.