Wann wird eine narzisstische Motivation destruktiv und welche Folgen kann eine solche Entwicklung haben?
Destruktiv werden narzisstische Motivationslagen dann, wenn die persönliche Aufwertung der Akteure die eigentliche – und oft alleinige – Triebkraft des Handelns ist. Wenn ein Vorstandsvorsitzender den persönlichen Ehrgeiz hat, die größte Firma der Welt zu führen (weil er dann der größte Unternehmenschef der Welt wäre), kann leicht der eigentliche Zweck des Unternehmens in den Hintergrund treten – mit bisweilen fatalen Folgen, wie sich an verschiedenen fehlgeschlagenen Großfusionen von Weltunternehmen ablesen lässt: Hier stand weder wirtschaftliche Vernunft noch Kundenutzen an erstes Stelle, sondern die narzisstischen Größenfantasien einzelner Wirtschafsführer.
Es ist im Wirtschaftsleben recht häufig eine narzisstische Verbissenheit zu beobachten: Dann verschwinden an und für sich vernünftige Ziele wie das Streben nach Exzellenz, nach Marktführerschaft und so weiter hinter einer Fassade von angestrebter Großartigkeit, die bisweilen sehr befremdlich wirkt, eben weil so spürbar ist, dass es um die Großartigkeit als solche geht, koste es, was es wolle. Der gesunde Narzissmus kann sich durchaus daran erfreuen, gut oder auch großartig zu sein, aber es bleibt hier immer eine Verbindung zur tatsächlichen Leistung, die zu einer derartigen Bewertung führt. Wenn das narzisstische Motiv zum Hauptmotiv wird, geht diese Verbindung verloren. Den Betrachter befällt dann angesichts grandioser Inszenierungen, die weder Grenzen des Aufwandes noch des guten Geschmacks zu kennen scheinen, ein Gefühl von Leere – manchmal auch von Ekel. Der Narzissmus führt dazu, dass alle anderen Aspekte des Lebens vergessen und vernachlässigt werden. „Er lebt nur für die Firma“, „Er geht ganz in seiner Aufgabe auf“ sind dann, meist positiv konnotierte, Bemerkungen. Wenn man das seelische Elend einmal aus der Nähe sieht, das sich hinter diesen heroischen Beschreibungen verbirgt, ist die positive Bewertung nicht mehr so einfach aufrechtzuerhalten. Familien und auch Unternehmen, für die Menschen dieses Typs verantwortlich sind, spüren sehr genau, dass ihre Existenz nur der Grandiosität des Chefs dienen soll und sie ansonsten für diesen keine Bedeutung, geschweige denn eine eigenständige Daseinsberechtigung haben. Das führt zu einem allgegenwärtigen, schleichenden Gift in den Beziehungen, und in der Regel sind sowohl die familiären als auch die unternehmerischen Konstrukte nur so lange haltbar, solange der Treibstoff der Grandiosität (Erfolg, Geld) fließt. Ein Scheitern ist nicht vorgesehen in diesen Lebensentwürfen und kommt es doch dazu, beginnen oft familiäre und auch unternehmerische Tragödien.
Hierzu ein Beispiel aus unserer Beratungspraxis: Ein studierter Betriebswirt und Jurist, Anfang 40, hatte es bis zum Finanzvorstand eines großen mittelständischen Unternehmens gebracht. Das Unternehmen fusionierte mit einer anderen Firma und im Zuge der Neustrukturierung der Führung verlor er seinen Posten, weil dem entsprechenden Mitarbeiter des anderen Unternehmens, mit dem man zusammengegangen war, die Aufgabe des Finanzvorstands für das nun größere Unternehmen übertragen worden war. Unser Protagonist kam im Zustand akuter Verzweiflung zur Beratung. Er überlege sich, ob er sich umbringen solle. Zur beruflichen Zurücksetzung, die ihn massiv kränkte, kam eine Ehefrau hinzu, die mit einer Trennung drohte, weil sie „nicht an der Seite eines Losers“ leben könne. Die Ehe war das Paradebeispiel einer narzisstischen Kollusion (s. Kap. 4).
Die Frage, ob er noch nie im Leben gescheitert sei, verneinte der Mann lapidar. Er hatte eine Bilderbuchlaufbahn hinter sich: gutsituiertes Elternhaus, gute Schulen, gutes Abitur, Studium und beruflicher Aufstieg – alles geradlinig. Sein Ziel war für ihn auch immer klar: „Ich arbeite darauf hin, CEO (Vorstandsvorsitzender) des wichtigsten Unternehmens unserer Branche zu werden.“ Auch seine sonstigen Lebensziele waren ausnahmslos immer auf den größtmöglichen Glanz ausgerichtet. Das ging von der Sportart, der er nachging (Helikopterskiing), über das Haus in der besten Wohnlage von einem namhaften Architekten gebaut, bis zu den Reisezielen im Urlaub, die immer den Hauch des Besonderen brauchten. Dieser Mann wirkte auf eine tragische Art getrieben von seinem unerschöpflichen Hunger nach Bewunderung und zutiefst unfrei. Schon bei der Vorstellung, er könne seinen Status verlieren, bekam er suizidale Fantasien: Es gibt nur Grandiosität oder völlige Vernichtung.