Das gute oder das böse Auge – Was hat mich mehr geprägt?
Zur Entwicklungspsychologie des Narzissmus
Der Glanz in den Augen der Eltern ist der Wegbereiter eines positiven Grundgefühls der Freude. Von Natur aus ist der Mensch aber, wie beschrieben, mit genauso vielen negativen Emotionen, Angst, Zorn, Verachtung, Trauer ausgestattet. Im zweiten Lebensjahr ist auch schon sehr früh, wohl in rudimentärer Form, ein neidvoller Blick zur Seite, zum Geschwister, zu erkennen, wenn dieses die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich zieht. Besonders bei geringem Altersabstand ist die Geschwistersituation sehr relevant. Hier findet das ältere Geschwister die Situation früher Trennung vor. Es erweist sich als sehr stabilisierend, wenn der Vater dann verstärkt in die Bindung zum Kind eintritt. Dieser kann ein positives Macht- und Wirksamkeitsgefühl anstoßen, da Väter die Motorik häufig sehr lustvoll besetzen und hier auch die motorische Kampffreude stimuliert werden kann. Dies wäre auch ein Weg zu einem expansiveren Erkundungssystem, welches, wie auch verstärkte Rivalität, vom Vater geprägt wird.
Früher Neid in der Geschwisterrivalität
Beispiel Ein 50-jähriger Patient berichtet von seiner Konstellation als Sandwichkind zwischen dem anderthalb Jahre älteren und dem anderthalb Jahre jüngeren Bruder. Die Beziehung zur Mutter sei immer blass geblieben, mit dem älteren Bruder habe er sich jedoch mörderische Kämpfe auch um die Gunst des Vaters geliefert. Dieser Krieg sei jetzt wieder entfacht, als der Vater ungerechterweise den Älteren mit einer Immobilie bedacht hat. Für ihn sei die Beziehung zu beiden jetzt endgültig beendet. Mit seinem älteren Bruder habe er jedoch in der Entwicklung auch eine nach außen hin beeindruckende Härte und Stärke entwickelt. Letztlich sei er jedoch eingeknickt, als er zweimal bei scheiternden Beziehungen dessen Hilfe gesucht und nicht gefunden habe. Sein älterer Bruder sei erfolgreicher Firmenchef. Der Jüngere, das „Muttersöhnchen“, wurde von ihnen Strampelhose genannt. Dieser Spitzname begleitete ihn auch in die Schule, wo er für die Loser-Laufbahn prädestiniert war. Er sei aber der Einzige, der in der Familie glücklich sei. Der Patient berichtet, dass seine Frau ihn nach zehn Jahren Ehe verlassen habe (die daran anschließenden Versuche, Beziehungen einzugehen, seien gescheitert). Er sei offenbar mit seiner Art zynischen Humors nicht gut angekommen und sein Spitzname sei JR – nach der TV-Serie Dallas –, weil er so eine verächtliche Lache habe. Jetzt, mit 50, habe er beschlossen, Single zu bleiben, da es eh keinen Erfolg in einer Beziehung für ihn geben werde.
Der böse Blick der Mutter
Narzisstische Mütter zeigen häufig ein typisches Verhalten gegenüber dem Kind: Das Kind wird idealisiert, wenn es die Erwartungen der Mutter vollkommen erfüllt, die Wünsche der Mutter errät und in entsprechender Weise reagiert. Diese „überspiegelnde“, idealisierende Wahrnehmung wird gestört, wenn das Kind eigenwillig ist, eine eigene Sichtweise hat, also mit eigenen Augen auf die Dinge schaut. Hier kann das Kind unvermittelt der „tödliche Blick“, das hasserfüllte Auge der Mutter treffen, die zwischen Strahlen und Verächtlichkeit nicht modulieren kann und hier unlösbare Aufgaben aufgibt, diesem Blick zu entgehen oder ihn wieder in Freundlichkeit umzuwandeln.
Beispiel Eine sehr verletzliche, depressive Mutter wurde von ihrer Tochter immer sensibel getröstet und aufgemuntert. Als die Tochter nun zum „Papakind“ wurde und sich der Bruder jetzt im Glanz der Mutter sonnen konnte, wurde die Tochter von der Mutter mit Verachtung gestraft und mit dem scheelen Blick des Neides begleitet, wann immer sie sich in ihrer einfühlsamen Weise um den Vater kümmerte. Die Tochter geriet in Selbstwertkrisen und schilderte immer wieder ihre große Empfindlichkeit für „kalte Augen“ und sofort überfiel sie die Angst, dass sie diese nicht zuordnen konnte. Für sie hatten diese auch zornigen Blicke immer die Qualität der Ausstoßung.
Der böse Blick des Vaters
Beispiel Ein extrem leistungsbezogener Vater konnte bei sich keinerlei Fehler tolerieren und strafte ein Versagen auch bei seiner Tochter mit hasserfüllten Blicken ab. Sie war sein Vorzeigemädchen, besonders erfolgreich in Sportarten, in denen er gescheitert war. Sie erlebte ein vernichtendes Fallen-gelassensein und war sehr auf die Blicke anderer fixiert. Ihre Unsicherheit zeigte sich auch daran, dass sie sehr rasch den Blick senkte, was wiederum als Unterwerfungsgeste die Macht des anderen steigert. In der Pubertät bekamen die Blicke des Vaters zusätzlich anzüglichen und intimitätsverletzenden Charakter.
Für den Therapeuten ist es hier sehr wichtig, das innere Auge auch symbolisch wertschätzend und milde zu etablieren. Auch gilt es, die Selbstzweifel zu reflektieren, wie Blicke als Schutz negativ interpretiert und als Entwertung auf sich bezogen werden. Das alles sind Zeichen verstärkter Scham, wobei der Neid als aggressiver Affekt nach außen diese Scham auch schützen soll.