Wie unterscheiden sich weiblicher und männlicher Narzissmus?
Diagnostik der Beziehungstypologien
Im interpersonellen Zirkel nach Kiesler (1983; Abb. 8.3), der in der Diagnostik der Beziehungstypologien häufig eingesetzt wird, zeigt der männliche Narzisst eine typische Position in dem Segment konkurrierend, verachtend und rivalisierend (dunkelgrau). Dieser Bereich liegt auf der vertikalen Machtachse und gegenüber dem Pol des unsicher-hilflosen und unterwürfigen Menschen. Letztere sind häufig Patienten, die Hilfe holen können. Umgekehrt wollen die im Besitz der Macht Befindlichen gerade diese Hilflosigkeit und Schwäche kontrollieren. Dies steht im Kontrast zum depressiven Pol. Diese Position macht die Selbstheilungsfunktion des Narzissmus deutlich, eine Position, die ihn vor Hilfsbedürftigkeit schützen soll (Abb. 8.3).
Der weibliche Narzisst befindet sich im Segment zwischen Macht- und der horizontalen Beziehungsachse (hellgrau) und zeigt eine deutlich höhere Beziehungsoffenheit. Damit verbunden ist auch eine größere emotionale Offenheit wie etwa die Angstbereitschaft. Die Selbstwertunsicherheit stellt dar, dass das Bedürfnis, geliebt zu werden, mehr zugelassen wird als beim männlichen Narzissten. Dieses Bedürfnis wird durch Machtmechanismen kontrolliert, indem die Anerkennung durch die Kolleginnen eingefordert wird. Die narzisstische Kränkung erreicht oft schneller den Selbstwert, sodass hier öfter Burn-outKrisen auftreten mit dem Gefühl: „Ich werde abgelehnt.“ Die kompensatorische Bewegung ist häufig eine verstärkte Aggressivität, verbunden mit nachtragender Kränkbarkeit. Machtmechanismen sind beispielsweise die Einführung häufiger Besprechungen, das Delegieren der eigenen Unsicherheit an andere, indem diese überfordert, mit Aufgaben überschüttet und zu ständigen Kontrollbesprechungen vorgeladen werden. Von anderen zu lernen wird meistens vermieden. Dies würde bedeuten, sich unterzuordnen und Schwäche zu zei-
Abb. 8.3 Interpersoneller Zirkel. (Nach Kiesler 1983)
gen. Der autarke Anspruch, überall kompetent zu sein, scheitert rasch und macht depressionsanfällig.
Der Zickenkrieg
Die Machtseite kann sich durch die Durchlässigkeit im Beziehungsbereich häufig externalisierend sehr „hysterisch“ anfühlen, wenn kompetitive Rivalitäten ausgetragen werden. Die zugrunde liegende Dimension der Neidthematik gegenüber der „potenziell erfolgreicheren Schwester“ kann sich in dem Gefühl, benachteiligt zu sein („Ich arbeite mich zu Tode und werde nicht wahrgenommen.“ „Wir Frauen müssen doppelt so viel arbeiten als die Männer.“ usw.), äußern. Der Konflikt wird häufig auch realitätsverzerrend ausgetragen, da die Bedürfnisse offener als von Männern geäußert werden. Der Stachel des Neides ist nicht weniger tödlich als unter Männern. Aufgrund des verletzlichen Selbstwertes wird dieser Neid eher nachtragend verarbeitet. Hier gibt es fließende Übergänge zu sensitiv-paranoiden Reaktionsmustern, wo bereits vorwegnehmend Unrecht oder Ablehnung unterstellt wird und alle kleinen Zeichen, die das Misstrauen nähren, in die fundamentale Überzeugung eingebaut werden. Umgekehrt kann der Neid aber auch maskiert werden, wie es heute in Scheinheiligkeitsspielen exerziert wird. Wie selbstverständlich wird in Soaps gefordert, dass sich die Verliererinnen überschwänglich mit der Gewinnerin freuen und ihr gratulieren.