Welche Rolle spielt der Narzissmus bei Suchtkrankheiten?

Es gibt viele Gründe und immer einen Grund, um ein oder mehrere Suchtmittel zu konsumieren. Funktionen der Suchtmittel sind Entspannung, Enthemmung, Belohnung. Sie werden daher zum Stressabbau eingesetzt.

Das Wechselspiel der verschiedenen Faktoren macht es schwierig, Grundmuster der Suchtanfälligkeit und Aufrechterhaltung von Abhängigkeitskrankheiten festzulegen. Besonders in Kliniken zur Behandlung der Abhängigkeit von Drogen wie Heroin, Kokain, Ecstasy, heute insbesondere Chrystal, finden wir ein großes Spektrum von Patienten mit narzisstischen Störungsanteilen.

Beispiel Der 22-jährige Patient beschreibt, seit der Pubertät andauernde Minderwertigkeitsgefühle mit hoher Diskrepanz zu seinen Ansprüchen, cool, clever und klug zu sein, zu haben. Was blieb, war die Wahrnehmung, dass er im Sport erfolgreich war. Er scheiterte in der Schule, als Schwarm der Mädchen und insbesondere in der Achtung seines Vaters. Als Kronprinz der Mutter war ihm ohne Anstrengung und mit Verwöhnung vieles in den Schoß gelegt worden, was zu einer geringen Frustrationstoleranz führte. Bei Versagen, Kränkungen in den Schulleistungen und mangelnder Beachtung fühlte er sich rasch minderwertig, zog sich zurück und empfand starke Spannungen. Diese waren der Hintergrund für den Cannabiskonsum. Die Abhängigkeit entwickelte sich auch in der zunehmend anhaltenden, geringen Frustrations- und Spannungstoleranz. Gleichzeitig erlebte er sich ungehemmter, empfand größere Energien, sich im Fitnessstudio eine glänzende Figur zuzulegen, stylte sich mit Designerklamotten und ging zu einem speziellem Hairdressing. Das Wechselspiel von Abhängigkeit (Verwöhnung), geringer Spannungstoleranz und Erhaltung der grandiosen Kompensation waren zentrale Elemente der Suchttherapie.

Alkoholsucht

Ähnlich wie bei dem genannten Beispiel ist auch bei vielen Alkoholabhängigen ein selbstwertinstabiles Grundmuster festzustellen mit Depressionsneigung wie auch Scham- und Schuldproblematik. Häufig ist bei Menschen mit sehr hohen Ich-Idealen, Perfektionismus und Zwanghaftigkeit eine Überkontrolle gegenüber Grundbedürfnissen nach Versorgung, Anerkennung und Liebe festzustellen, sodass in diesem Spannungsfeld das strenge Gewissen im „Lösungsmittel Alkohol“ aufgeweicht wird.

Stärkere Spannungsfelder ergeben sich meist bei ausgeprägterer narzisstischer Dynamik. Abhängige Seiten werden verleugnet, entsprechend auch der Alkoholoder Drogenkonsum. Mit narzisstischer Selbstüberheblichkeit werden Höchstleistungen angestrebt. Auf diesem hohen Niveau werden dann aber auch Risiken eingegangen, die bis zu grenzüberschreitenden, selbstdestruktiven Handlungen reichen, beispielsweise die berufliche Sicherheit durch Drogenkonsum während der Arbeitszeit aufs Spiel zu setzen. In der Abhängigkeitsentwicklung treten dann Gereiztheiten auf, Spannungsfelder zwischen Souveränität, grandioser Expansivität, Brillanz, Schlagfertigkeit und im Kontrast dazu Langeweile. In den Leeregefühlen sorgen die Suchtmittel für eine Spannungslinderung. Die im Verlauf häufig zu beobachtende, immer größere gereizte Gespanntheit, Entwertungsneigung und zynisch abfällige Episoden vergiften häufig die Atmosphäre und stehen im Kontrast zum Anerkennungs- und Bewunderungsbedürfnis. Schließlich kann das „manische Fest“ in kläglicher Einsamkeit enden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gerade durch die depressionsverstärkende Wirkung von Alkohol- und Drogenabhängigkeit die stabile narzisstische Struktur labilisiert wird, sodass die hypersensitive, versagende und depressive Seite stärker auftritt. Diese bestimmt dann auch den Leidensdruck und die Therapiebedürftigkeit und mindert die Verleugnung.

Im Rausch kommt es zu einem vorübergehenden, ausschließlich grandiosen Selbstgefühl. In der Katerstimmung wird das Minderwertigkeitsgefühl manifest. Die Verarbeitung dieser negativen Emotionen erfordert dann wieder eine enorme innere Verarbeitungskapazität, was immer häufiger die Suche nach abhängigkeitsfördernden Substanzen wieder aktiviert.

Wissenschaftliche Studien untersuchen in den letzten zehn Jahren verstärkt die Zusammenhänge zwischen Abhängigkeitserkrankungen und Narzissmus. In der Stress- und Krisenbewältigung ist der Substanzkonsum häufig eine Selbstmedikation. Die Drogen stabilisieren vorübergehend das fragile Selbst. Die starken Affektspannungen und Affektüberflutungen bei schweren Persönlichkeitsstörungen sind ein bedeutsames pathologisches Bindeglied in Prozessen der Abhängigkeitsentwicklung. Heute sind narzisstische Persönlichkeitsanteile ein wichtiger Zielbereich für die begleitende Psychotherapie in der Suchtbehandlung.

 
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