Der Lack ist ab – Wie ertragen wir narzisstische Krisen im Alter?

Die Altersforschung unterstreicht die enormen Veränderungen, die Alterungsprozesse heute zeigen. Die zeitliche Ausdehnung dieses Lebensabschnitts hat Raum für zusätzliche Entwicklungsprozesse geschaffen. 70-Jährige fühlen sich heute deutlich jünger und sind auch in ihrem gesundheitlichen Zustand durchschnittlich jünger als früher. In Umkehrung des früheren Defizitmodells wird heute gerne ein idealisiertes Altenbild dargestellt. Das frühe Altern wird als das dritte Lebensalter idealisiert, in dem Passungsprozesse und Defizite geschönt und Normen der Fitness und Schönheit aufrechterhalten werden. Schon C. G. Jung hat festgestellt, dass im Alter vor allem Auseinandersetzungen mit Gefühlen der Sinn- und Wertlosigkeit aufkommen. Die narzisstischen Krisen sind vor allem auf Verluste bezogen: Verlust der sozialen Anerkennung im Beruf, nachlassende kognitive Leistungsfähigkeit, durch die Individualisierung bedingte Vereinsamung, Zunahme krankheitsbedingter Einschränkungen usw.

Die neu gewonnenen Jahre bieten jedoch gleichzeitig einen Raum für die Herausforderung, nach produktiven und kreativen Lösungswegen für die zur Verfügung stehende Zeit zu suchen.

Äußere narzisstische Attribute des Glanzes wie Schönheit, beruflicher Einfluss, materielle Güter verlieren an Bedeutung. Die mit der Macht assoziierten sogenannten Freunde verlieren jegliches Interesse. Die Berufskollegen lassen den Machtmenschen ins Niemandsland fallen. Mit dem Verlust der körperlichen Attraktivität, von Kraft und Beweglichkeit lassen auch die sexuellen Fähigkeiten nach. Die Aneignung neuen Wissens ist durch die Verlangsamung der Lernvorgänge eingeschränkt. Die Zuverlässigkeit von Gedächtnisleistungen ist reduziert. Die Selbstzweifel, in der Gesellschaft der Jungen und Vitalen fossil zu sein, sind fast unvermeidlich. Dies ist die normative narzisstische Krise des Alterns.

Was mildert die narzisstische Krise?

Wichtig ist, wie der Trauer-Veränderungs-Prozess schon mit der zweiten Lebenshälfte initiiert wurde, wie es gelang, sich von Zielen zu trennen und Bewertungsmaßstäbe zu korrigieren. Vieles verliert an Bedeutung. Das Gefühl, bestimmte Anerkennungen häufig und immer wieder zu haben, kann den Abschied erleichtern. Insbesondere gesellschaftlich hoch angesehene Ziele, denen die Persönlichkeitsentwicklung untergeordnet wurde, können jetzt verabschiedet werden, was dem Kern der eigenen Persönlichkeit mehr Authentizität und Wahrhaftigkeit bringen kann. Ehrgeizige Erfolgsziele werden mit Gelassenheit relativiert. Wenn diese Anpassungsflexibilität misslingt, sind doch eher Erstarrungsprozesse zu erwarten.

Beispiel Der Manager einer großen Firma wurde völlig unerwartet bei einer Umstrukturierung trotz großer Erfolge in die Frühpensionierung geschickt. Er war verbittert, zornig und in seiner Familie unerträglich. Ein Herzinfarkt 18 Monate nach der Pensionierung warf ihn völlig aus der Bahn. Allerdings nahm er die Bedrohlichkeit der körperlichen Krise nicht wahr und begann nach der Rehabilitation, sofort wieder Berge zu besteigen. Er versuchte, seine Gereiztheit nun im Familienumfeld auszuleben. Nach dem „Blitzentzug“ von der Arbeitssucht konnte er seine Stimmungslabilität nun nur noch mit Alkohol abpuffern. Kinder und Ehefrau distanzierten sich, sodass er als griesgrämiger, verbitterter Alter seine Kinder entwertet, die es zu nichts bringen würden. Früher habe man das Alter geehrt, auf die Meinung alter Menschen gehört und heute habe er das Gefühl, dass alle nur noch auf sein Ableben und auf sein Erbe warten würden. Er sei von Ignoranz und Undankbarkeit umgeben. Alles das, was er anderen vorenthalten hat, möchte er nun einklagen – vergebens.

 
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