Aufbau der Studie

In Kapitel 2 werden Konturen des Machtbegriffs aufgezeigt, um zu verdeutlichen, an welches Machtverständnis diese Studie anknüpft. Zunächst werden die Grundlagen des Machtbegriffs diskutiert (2.1), um in Anschluss daran zu zeigen, wie der Machtbegriff in den IB konzipiert wurde (2.2). Schließlich wird die praxistheoretische Aufladung des Machtbegriffs begründet (2.3, 2.4, 2.5). In Kapitel 3 wird die gegenstandsbezogene Forschung zu den transatlantischen Beziehungen diskutiert. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit dieser Literatur steht die Frage, welche Machtkonzeptionen in der Erforschung der transatlantischen Beziehungen entwickelt wurden und inwiefern diese Vorstellungen problematisch erscheinen. Zentral sind hier die Debatte um den „unipolaren Moment“ und das sogenannte „soft-balancing“ (3.1) sowie Konzepte der (liberalen) Hegemonie und der Sicherheitsgemeinschaft (3.2). In Anschluss hieran wird eine Typologie von Machtordnungen aufgezeigt, die aus der Forschung zu den transatlantischen Beziehungen rekonstruiert werden kann. Diese Typologie wird schließlich vor dem Hintergrund eines praxistheoretisch unterlegten Machtbegriffs problematisiert (3.3).

In Kapitel 4 wird ein Untersuchungsansatz entwickelt, der die soziale Praxis der Akteure in ihrem sprachlich artikulierten und praktischen Vollzug in den Blick nimmt. Als methodologisches Konzept wird auf die Grounded Theory zurückgegriffen, da sich dieser Ansatz besonders für die Analyse individueller Akteursbeziehungen und Umgangspraktiken eignet und auf einer rekonstruktiven Forschungslogik basiert, die eine Theoriebildung aus dem empirischen Material heraus ermöglicht (Strauss/Corbin 1990)[1]. Die theoretische und methodische Herausforderung dieses Ansatzes besteht darin, die Aushandlung von Machtverhältnissen nicht nur auf der Basis sprachlich artikulierter Bedeutungsgenerierung zu verstehen, sondern auch deren alltagspraktische Dimension in die Analyse zu integrieren, um die Relationalität von Machtbeziehungen erfassen zu können. Die Trennung zwischen Sprechen und Handeln, die oftmals noch die Debatten in den IB dominiert, soll durch den Begriff der sozialen Praxis überwunden werden. Insofern richtet sich der analytische Blick nicht ausschließlich auf konkurrierende Bedeutungszuschreibungen, die sich in bestimmten Text- und Rededokumenten rekonstruieren lassen, wie dies in einer klassischen Diskursanalyse der Fall wäre, sondern auf Artikulations-, Kommunikations- und Interaktionsprozesse der Akteure, die ebenso in die Aushandlung von Machtverhältnissen hineinspielen. Insofern sollen in der hier angestrebten Machtanalyse nicht Diskurse und/oder Praktiken untersucht, sondern Diskurse in ihrer sozialen Praxis verstanden werden.

In Kapitel 5 wird die Herausbildung der transatlantischen Machtbeziehungen im Krisenjahr 1989 unter Anwendung der Grounded Theory rekonstruiert. Untersuchungsgegenstand ist dabei der Streit über die Modernisierung bzw. die Aufnahme von Abrüstungsverhandlungen über die sogenannten LANCERaketen sowie das 10 Punkte Programm von Helmut Kohl, das den Weg zur deutschen Einheit skizzierte. Die empirische Fallstudie beginnt mit einer kurzen Reflektion über die Bedeutung des Kalten Krieges für die Herausbildung des transatlantischen Machtverhältnisses nach dem Zweiten Weltkrieg. Hierdurch soll plausibel dargestellt werden, wie durch das greifbare Ende des Kalten Krieges auch die Machtbeziehungen innerhalb des Bündnisses in eine „Krise“ geraten sind (5.1). Anschließend wird der Streit über die LANCE-Raketen in den Mittelpunkt gerückt, durch den die militärstrategischen Differenzen zwischen den Regierungen in Bonn, London und Washington deutlich wurden (5.2). Diese Auseinandersetzung verweist auf grundlegende Fragen, die auf eine Neujustierung der transatlantischen Machtbeziehungen hindeuten. In Kapitel 5.3 erfolgt die Analyse der politischen Auseinandersetzungen über die Veröffentlichung des 10 Punkte Programms. In Kapitel 6 folgen eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie deren „Theoretisierung“. Zum Abschluss wird auf Basis der empirischen Erkenntnisse die Forschungsfrage beantwortet sowie gezeigt, wie der hier entwickelte Ansatz weitergeführt werden kann (7).

  • [1] In den IB finden die Grounded Theory sowie weitere rekonstruktiv-interpretative Forschungsverfahren immer weitere Verbreitung (Franke/Roos 2010a). Für den Bereich der deutschen Außenpolitik legte Ulrich Roos (2010) eine erste systematische Anwendung der Grounded Theory vor, indem er die Handlungsregeln deutscher Außenpolitik von der Wiedervereinigung bis in das Jahr 2007 rekonstruierte. Auf diese Arbeit wird später noch ausführlicher eingegangen. Ulrich Franke (2010) setzte sich unter Anwendung der objektiven Hermeneutik, ein Verfahren zur rekonstruktiven Interpretation einzelner Textsequenzen, mit dem Fortbestand der NATO nach 1989 auseinander
 
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