Aushandlung von Deutungsansprüchen
Der Blick auf die Aushandlung von Deutungsansprüchen rückt die diskursive Erzeugung sozialer Realität in den Mittelpunkt der Betrachtung und somit die Fähigkeit der Akteure, ihre Deutungsansprüche im Rahmen der transatlantischen Diskurse zu artikulieren. Durch die Rekonstruktion sollen soziale Praktiken beleuchtet werden, die zeigen, wie Deutungsansprüche zwischen den Akteuren ausgehandelt und welche machtpolitischen Implikationen in diesem Prozess sichtbar werden.
Sprachregelungen als Deutungsanspruch
Hinsichtlich der Auseinandersetzung über die SNF zeichneten sich bereits lange vor den kritischen Wochen im Frühjahr 1989 konkurrierende Deutungsansprüche ab. Der Ausbruch eines offenen Konfliktes konnte jedoch durch eine Kompromissformell – „kept up to date where necessary“ – verhindert werden. Nach dem Treffen zwischen Kohl und Thatcher in Frankfurt wurde bereits darüber berichtet, wie diese Sprachregelung von Seiten der Bundesregierung leicht verändert wurde:
“In the official English text, the communiqué said that NATO's weapons will be 'kept up-todate where necessary'. But the West German government's translation – issued at the summit and reaffirmed by Kohl today – reads that weapons will be 'kept in the necessary state', omitting a translation of the phrase 'up-to-date'” (Washington Post, 22. Februar 1989)
Auf dem NATO Ministertreffen im April 1989 wurde schließlich ebenfalls die Formel „kept in the necessary state“ verwendet, womit hinsichtlich der Entscheidung über den Zeitpunkt der Modernisierung Flexibilität gezeigt wurde, indem man Kohls Wunsch nach einer Verschiebung der Entscheidung entgegenkam und dies durch eine leicht veränderte Sprachregelung ausdrückte. Verhandlungen wurden jedoch nach wie vor abgelehnt.
Durch die nicht autorisierte Veröffentlichung der Koalitionsvereinbarung geriet dieser common sense der NATO Mitglieder unter Druck, denn die Forderung nach der Aufnahme ‚baldiger' Verhandlungen wurde von der gemeinsam getroffenen Sprachregelung nicht abgedeckt.
Auch im Falle des 10 Punkte Programms spielten Sprachregelungen eine wichtige Rolle. So wies Kohl immer wieder auf in der Vergangenheit getroffene Vereinbarungen hin, in denen das ‚Selbstbestimmungsrecht' der Deutschen hinsichtlich der Wiedervereinigung als Sprachregelung festgeschrieben worden sei. Diese Sprachregelungen wurden von Kohl durch das 10 Punkte Programm aktualisiert, während Thatcher deren Gültigkeit unter den gegebenen Umständen in Zweifel zog. Auch hier geriet der common sense zunächst unter Druck, wurde schließlich jedoch durch den 4 Punkte Plan der US-Regierung ‚konserviert'. So konnte trotz der heftigen Auseinandersetzungen das ‚Selbstbestimmungsrecht' als Sprachregelung in die Straßburger Erklärung aufgenommen und als common sense erhalten werden.