Was ist der Fall?
Eine Lehrerin einer achten Klasse im Fach GSK – entsprechend dem deutschen
„Gesellschaftslehre Politik Geschichte“ – hat beschlossen, im Rahmen der Behandlung des Nationalsozialismus einen Spielfilm mit dem Titel „Swing Kids“ der Klasse zu zeigen.
Der Film wird anders behandelt, als es von seinem Darstellungskontext her nahe gelegt wäre. Er wird im Klassenraum nicht als solcher in Gänze projiziert, sondern gleichsam in Scheiben geschnitten, so dass er wie eine Fortsetzungs-Geschichte über mehrere Stunden hinweg zur Aufführung kommt. Das hat zur Konsequenz, dass, wie bei solchen Aufstückelungen mit der teils längeren zeitlichen Unterbrechung des Schauens üblich, vor dem nächsten Stück kurz referiert werden muss, was bisher geschehen ist.
Anders als dies bei einer Lektüre eines längeren Textes zu erwarten wäre, werden die Schüler nicht auf die Beantwortung von Fragen gerichtet, die bei der Erschließung eines Textes anfällig würden, sei es solchen, die vom Film selbst ausgehen, sei es solchen, die an den Film herangetragen werden. Der Film wird nicht als Geschichte mit einer Bedeutung behandelt, die sich bereits mit der mehr oder weniger aufmerksamen Verfolgung der gezeigten Story ergibt. Eine analytische Aufschließung etwa im Sinne der Psychologie der Akteure oder der inneren Verfassung der Diktatur ist freilich nicht vorgesehen. Auch kommt es nicht dazu, dass die Schüler den ästhetischen Gehalt des Filmes als Film zum Thema machen würden, bzw. sie aufgefordert wären, ihn im Sinne einer künstlerischen Ausdrucksgestalt zu beobachten und zu bewerten. Stattdessen werden die Schüler darum gebeten, in den Phasen zwischen dem Schauen Aufzeichnungen zu machen. Für diese gibt die Lehrerin eine gliedernde Hilfestellung, mit der unterteilt wird in die „Entwicklung (.) dieser nationalsozialistischen Strömungen“ (Z. 166) und „Entwicklung der Freundschaft“ (Z. 171).
Wie die Schülerbeispiele solcher Aufzeichnungen aber zeigen, setzen sich die über die Hilfe souverän hinweg, indem sie die Aufgabe uminterpretieren und mehr oder weniger knappe Inhaltsangaben zum Film notieren (vgl. die Hefteinträge von Arne, Bert, Falk und Ingo). Einmal, als es für die Lehrerin um eine besonders prägnante Stellen geht, kommt es zur Wiederholung einer Filmszene in der Stunde. Sieht man von manchen Intermezzi ab, die mit dem Allotria heutiger Schule oder der Arbeitsorganisation zu tun haben und die nicht selten den lockeren Umgang miteinander zeigen, besteht der Kern der Stunde darin, den jeweiligen Filmausschnitt zu sehen. Unterrichtet im Sinne der Lehre von etwas oder der Arbeit an etwas wird eigentlich nicht.
Der Film erzählt die Geschichte einer Gruppe von fast erwachsenen Freunden, die in Hamburg kurz vor dem Ausbruch des 2. Weltkrieges sich als Swing Kids der damals in Deutschland verbotenen US-amerikanischen Swing-Musik verschrieben haben, Platten sammeln, musizieren, in Tanzlokalen exzessiv zu dieser Musik tanzen. Diese Gruppe ist im Film der Verfolgung durch verschiedene Gruppierungen des NS-Regimes ausgesetzt. Sie zerbricht an den Maßnahmen der Repression. Der eine Protagonist wird zum Märtyrer seiner Leidenschaft, der andere geht zu den Gruppen des Regimes über. Ein dritter Junge begeht Selbstmord. Im Hintergrund der Geschichte der Freunde werden die Verfolgung der Juden und die der politischen Opposition an Beispielen wie der Erschießung eines Menschen auf der Flucht oder des Verprügelns eines jungen Juden geschildert.
Der Film ist als eine Hollywood-Produktion ein typisches Produkt der Kulturindustrie. In ihm wird dick mit manchen Knallchargen aufgetragen, massiv die Dramaturgie nach Maßgabe von Gut und Böse, Krise und Neubeginn, Identifikation und Ablehnung usf. schematisiert. Die historisch beglaubigte Geschichte, nach der jugendliche Anhänger der Swing-Musik während des NS in Hamburg verfolgt wurden, wird zum Anlass genommen, alterstypisches Peergroup-Verhalten zu thematisieren. Der Film adressiert sich damit vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene, die sich mit ihrer Lebenswelt in der der Protagonisten des Films spiegeln sollen. Sie erleben sich in ihnen und zugleich eine Differenz, die durch den Faschismus als Sonderfall markiert ist. Die NS-Diktatur dient mehr zur Dramatisierung der Konflikte in der Gruppe, als dass sie im Film zum Gegenstand narrativer Erklärung würde. Den Zuschauern wird nur eine homöopathische Dosis Aufklärung zugemutet, damit sie beim geschilderten Jugendproblem bleiben.
In einer Art Parallelaktion geht es im Unterricht immer wieder um die Nachbereitung und die Vorbereitung des Unterrichts, in den das Zeigen des Filmes eingebettet ist. Die Schüler haben bereits über „Ismen“ (Z. 56) gearbeitet. Sie haben eine Art Steckbrief mit allgemeinen Begriffen und konkreten Stichworten zum Nationalsozialismus auf Folie präsentiert bekommen. Diese wurden und werden noch arbeitsteilig in Gruppen als Aspekte des Nationalsozialismus vorgestellt, wenn es mit dem Film schauen zu Ende gegangen sein wird (vgl. Z. 122ff.).
Die Stunde, deren Aufzeichnung uns vorliegt, liegt wohl etwa in der Mitte der Filmschau.