Der Unterrichtsrahmen

Ganz am Anfang findet sich eine Szene, in der die Schüler der Lehrerin zum Geburtstag gratulieren:

#1#

20 S?: Alles Gute zum Geburtstag.

21 Lw: > {lächelnd:} Dankeschön, sehr lieb. < Ohne ( )

22 S?: Alles Gute zum Geburtstag.

23 Lw: Ohne körperlichen (Eifer) wär mir das viel lieber, meine Herren. {gibt Edis

24 rechten Arm frei und geht um Pult}

25 SS: > {singend:} Happy birthday to you, happy birthday to you, happy birthday liebe

26 Öhler {lachen} happy birthday to you! < {einige SS setzen sich}

27 Lw: > {lächelnd und sich leicht verbeugend:} Dankeschön. < [ Danke vielmals. (.)

28 Sehr nett.

Was kann uns diese Szene bezüglich unserer Untersuchungsfrage sagen? In welchem Verhältnis zum ‚Unterricht' steht diese Thematisierung eines Teiles der persönlichen Biographie im Unterrichtsablauf? Wir fragen, inwiefern sich durch diese Inszenierung die Szene als ‚Unterricht' identifizieren lässt. Wir können z. B. die Arbeit der Rahmung beobachten, die beide Seiten durchführen. Diese Arbeit lässt sich im Lachen der Schüler erkennen. Während das Lächeln beim Gratulieren eine durchaus gewöhnliche Sache ist, erweist sich das Lachen der Schüler an der Stelle, wo es auftritt – beim „liebe Öhler“ – als bezeichnend. Die Schüler scheinen mit zwei Interaktionsrahmen konfrontiert zu sein, die die Beziehung von Nähe und Distanz auf verschiedene Art und Weise gestalten. Die für die Szene ‚Geburtstagsgratulation' übliche Anredeform, die ‚Persönliches' zur Geltung bringt und thematisiert (hier „liebe Öhler“), geht über den Rahmen der Aufführung der Szene ‚Unterricht' hinaus, indem sie die in der institutionellen Anredeform gesicherte Distanz (hier

„Frau Professor“) für einen Augenblick aufhebt. Diese Aufhebung fällt beiden Seiten schwer. Die Schüler markieren dies durch das Lachen, den gegenseitigen Blickaustausch während des Gesangs und die gesunkenen Stimmen an der Stelle, wo die für sie übliche Anredeform „Frau Professor“ [1] durch „liebe Öhler“ ersetzt wird. Auch die Lehrerin scheint mit beiden Interaktionsregistern konfrontiert zu sein. Bei der Erwiderung der Gratulationen zeigt sie, dass sie nicht nur einfach als ein Geburtstagskind, sondern als die Lehrerin-die-Geburtstag-hat adressiert wird. Die Äußerung über persönliche Gefühle beim Bedanken wird durch einen leichten Tadel gerahmt, der das Benehmen der Schüler aus der Perspektive der pädagogischen Moral und Normativität problematisiert („Ohne körperlichen (Eifer) wär mir das viel lieber, meine Herren“).

  • [1] Dies ist die in Österreich generell übliche Form der Anrede von Lehrerinnen weiterführender Schulen. Die anderen Fälle (z. B. in anderen Ländern) können aber andere Verhältnisse von Distanz und Nähe im Unterricht zeigen
 
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