Amazon: Der Wall Street-Liebling
Wenn man einen Gegenpol zu Apple suchte, eine Kehrseite der Medaille, was Anleger einem Unternehmen zutrauten, das die Zukunft vermeintlich vor sich hat, dann fanden sie es in Amazon. Der boomende Online-Einzelhändler war an der Wall Street zur Anti-Apple geworden, wie die im Januar nur wenige Tage nach Apple vorgelegten Zahlen für das Weihnachtsquartal bewiesen.
An den Aktienmärkten riefen die Konzernbilanzen hysterische Reaktionen hervor – nur jeweils in die entgegengesetzte Richtung. Apple verdiente mit mehr als 13 Mrd. $ so viel wie nie – und wurde von der Börse mit einem Kurssturz von 12 % bestraft. Amazon patzte dagegen beim Umsatz, verdiente saftige 45 % weniger – und die Aktie zischte auf Jahreshochs.
Gewinne? Wie oberflächlich! Bei Erlösen von enormen 21 Mrd. $ blieben im wichtigsten Quartal des Jahres gerade mal symbolische 95 Mio. $ hängen. Anlegern sind Gewinne bei Amazon jedoch seit Jahren komplett egal – die Wall Street frisst Konzernchef Jeff Bezos förmlich aus der Hand und bewilligt für Amazon Mond-Bewertungen mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis nördlich der 1000, während für Apple über weite Strecken des vergangenen Jahres eine Multiple von 10 oder weniger gezahlt wurde.
Das Urvertrauen der Börse kommt nicht von ungefähr, denn Bezos ist einer von ihnen – ein waschechter Wall Streeter, der nach dem Studium bei Bankers Trust anheuerte und dort ein Computersystem für Vermögensverwalter entwickelte und dann zum Hedgefonds D.E. Shaw wechselte, wo er die computerwissenschaftliche Grundlage für Quant Fonds lieferte. Anfang der 90er-Jahre antizipierte Bezos frühzeitig den Aufstieg des WWW und nutzte die Gunst der Stunde mit der Gründung des Online-Buchversenders Amazon 1994, den er schnell zum globalen E-Commerce-Anbieter aufbaute.
Es ging sehr schnell: Bezos setzte auf Wachstum um jeden Preis und war zur ersten Internetblase Ende der 90er-Jahre nicht mehr von den Titelblättern wegzudenken – das Time Magazine kürte den heute 49-Jährigen 1999 zum „Mann des Jahres“. Heute wird Bezos dank seiner charismatischen Ausstrahlung und großen Vision in der Techwelt als veritabler Steve Jobs-Nachfolger gesehen, der Amazon mit einem Börsenwert von in der Spitze 150 Mrd. $ zum zweitwertvollsten Internetkonzern nach Google aufgebaut hat und jährlich bereits mehr als 70 Mrd. $ umsetzt.
Was hat Apple mit dem Online-Einzelhändler gemein? Auf den ersten Blick wenig – höchstens den Kampf um den digitalen Marktplatz der Musik-, Film- und Bücher-Inhalte, den Apple seit dem Launch des iTunes Stores 2003 extrem erfolgreich besetzte. Tatsächlich ist iTunes so etwas wie eine unterschätzte Erfolgsstory: Bereits 4 Mrd. $ setzte Apple im ersten Kalenderquartal 2013 mit dieser um – die Division ist mit Zuwachsraten von knapp 30 % erstaunlicherweise nach der iPad-Sparte der am zweitschnellsten wachsende Konzernbereich.
Und das, obwohl Amazon mit seinem eigenen Entertainmentangebot, das mit über 20 Mio. MP3-Titeln auf ein fast ähnlich großes Song-Download-Angebot kommt wie iTunes, längst zum natürlichen Gegenspieler erwachsen ist, dem keine Rabattschlacht zu aggressiv erscheint. Apple kann das Gefecht zunächst gelassen sehen, besteht doch die Konzernmaxime darin, iTunes als trojanisches Pferd zum Hardwarekauf von iPod, iPhone und iPad einzusetzen, ohne zwangsläufig selbst am Geschäft mit den Download-Verkäufen verdienen zu müssen.
Ende 2011 jedoch begann Jeff Bezos den Spieß umzudrehen: „Wir wollen Geld verdienen, wenn die Leute unsere Geräte benutzen, nicht, wenn sie sie kaufen“, erklärte Bezos und schickte seinerseits ein trojanisches Pferd ins Rennen, das Apple Ärger bereiten sollte. Nach dem E-Reader Kindle kündigte Bezos im Herbst 2011 nämlich überraschend den Eintritt in den boomenden Tabletmarkt an – und zwar zu absoluten Kampfpreisen.
Für bemerkenswerte 199 $ griff Bezos zum Weihnachtsgeschäft 2011 mit einem abgespeckten 7-Zoll-Tablet an, das auf Googles mobilem Betriebssystem Android basierte und vom Start weg 17 Mio. Songs und mehr als 100.000 Filme und TV-Serien im Angebot hatte, dafür aber auf vom iPad bekannte Features wie eine Kamera oder ein hochauflösendes Retina-Display verzichtete. Nicht mal ein Jahr später rüstete Bezos mit einer HD- und sogar einer 9-Zoll-Version nach, die mit 299 $ das günstigste iPad-Modell immer noch unterbot.
Apple konnte die plötzliche Konkurrenz gar nicht gefallen. Geschätzte 4,7 Mio. Kindle Fires verkaufte der nach Google zweitwertvollste Internetkonzern der Welt in seinem ersten Weihnachtsquartal, 6 Mio. Stück waren es schon ein Jahr später. Mindestens zwei Millionen iPads sollen Apple durch Amazons Kindle Fire durch die Lappen gegangen sein.
So war die 7-Zoll-Variante, die Apple ein Jahr später dann zu Preisen ab 329 $ als iPad mini ins Rennen schickte, eine Reaktion auf den Boom der Billig-Tablets der Konkurrenz (auch Google war mit einem 200 Dollar-Tablet gestartet), die wiederum nachhaltig an den Gewinnen knabberte. Die Profitspanne des iPad minis läge „signifikant unter unserer Gewinnmarge“, gab Apples Finanzchef Peter Oppenheimer in der Telefonkonferenz Ende April bekannt.
Entsprechend sind die Gewinnrückgänge bei steigenden Umsätzen in den letzten Quartalen zu erklären. Plötzlich sah sich Apple in einen Mehrfrontenkrieg verstrickt, bei dem es nur verlieren konnte: Würde man die Billigkonkurrenz von Amazon und Google nicht mit eigenen vergünstigten Angeboten kontern, verlor man Marktanteile. Drehte man erzwungenermaßen an der Preisschraube, nähme die Konzernbilanz in Form sinkender Gewinne Schaden. So wenig Amazon Apple als Hardwarehersteller den Rang streitig machen dürfte, so sehr schwächte der aufstrebende Online-Rivale Apple jedoch an der Heimatfront der Tablet-Verkäufe.