Facebook, Twitter und Dropbox: Die Internet-Emporkömmlinge
Auch gegenüber einem anderen Internet-Emporkömmling sah sich Apple plötzlich in der Defensive – wenn auch vorerst nur auf einem Nebenschauplatz. Das weltgrößte soziale Netzwerk Facebook führte Apple deutlich vor Augen, was es im Web versäumt hatte: eine stringente Internetstrategie. Dabei hatte Apple unter Steve Jobs wie kein anderer Hard- und Softwarehersteller in den späten 90erJahren auf das Aufkommen des Web reagiert.
Der iMac war ein Rechner der neuen Generation, der auf das Browsen im Web zugeschnitten war – schon das „i“ im Namen deutete die Nähe zum Internet an. In den folgenden Jahren entwickelte Apple passend dazu die Gadgets für die Internet-Generation: den iPod, das iPhone und iPad. Nur bei der Bestückung von Inhalten blieb der sendungsbewusste iKonzern seltsam blass.
Dabei gab es immer wieder Vorstöße. Mit .Mac schuf Apple 2001 ein Internet-Angebot, das sich die Eitelkeit der Apple-Kunden zunutze machte: Für 99 $ gab es eine mac.com-Email-Adresse und Speicherplatz. Der Dienst funktionierte als Apple-Alternative zu den unzähligen Angeboten wie AOL, MSN, Yahoo Mail oder später Gmail. 2008 überarbeitete Apple sein Internet-Angebot und wertete es mit MobileMe scheinbar auf: Bessere Verzahnung mit den Apple-Geräten – ein Push-Service, Push-Kontakte, Push-Kalender. „MobileMe ist Exchange für den Rest“, scherzte Marketingchef Phil Schiller in Anspielung auf Microsofts Nachrichtensystem – doch plötzlich fehlten Mails.
Steve Jobs tobte. „Kann mir jemand sagen, was MobileMe tun soll?“, ereiferte sich Jobs vor versammelter Mannschaft, um sich dann selbst die Antwort zu geben: „Warum tut es das verdammt noch mal nicht?“ Einmal in Rage, holte Jobs richtig aus: „Ihr habt Apples Ruf geschadet, Ihr solltet euch dafür hassen, dass ihr euch nicht gegenseitig unterstützt habt.“ Die Folge: Der Teamleiter der MobileMe-Unit wurde vor der Belegschaft gefeuert und durch Eddy Cue, Apples heutigen Internetchef, ersetzt.
Nur mühsam konnte Apple mit MobileMe nach dem peinlichen Flop das Vertrauen der Techszene zurückgewinnen. „Lassen Sie mich Ihnen sagen: Das war nicht unsere Sternstunde“, sollte sich Jobs drei Jahre später bei der Vorstellung des Nachfolgers ungewohnt demütig geben. Doch Jobs hatte sich noch einmal viel vorgenommen: iCloud war im Juni 2011 das große Highlight der Entwicklerkonferenz WWDC und das letzte Produkt, das Jobs präsentierte.
Es vervollständigte, was mit MobileMe begonnen wurde: Das Synchronisieren zwischen iGeräten, Abgleichen und Bereitstellen von Inhalten wie Mails, Kontakten, Fotos, Musik und das automatische Speichern bis zu bestimmten GB-Speichermengen in der Datenwolke. „Apple hat als Erster erkannt, dass der Rechner zum digitalen Knotenpunkt wird“, erklärte Jobs im Gespräch mit Walter Isaacson und präzisierte dabei seine Vorstellung vom Speichern und Abgleich von Inhalten in der Datenwolke. „Wir müssen das Unternehmen sein, das deine Beziehung mit der Cloud verwaltet – das Unternehmen für deine Musik- und Video-Streams aus der Cloud, für die Speicherung deiner Bilder und Informationen und womöglich sogar deiner medizinischen Daten.“
Und so kam es dann auch ab Herbst 2011 zehn Jahre nach dem Start vom. Mac: Fotos, die mit dem iPhone geschossen wurden, flossen nun in iCloud über den Fotostream automatisch in das Fotoarchiv auf allen Apple-Geräten ein, wenn man sie dazu autorisierte; Songs und Apps, einmal heruntergeladen, wurden automatisch auf anderen Geräten ergänzt; Notizen, Erinnerungen, Kalendereinträge und bearbeitete Dokumente wurden ebenfalls automatisch abgeglichen und allen iGeräten bereitgestellt. „Es funktioniert einfach“, beendete Jobs mit einem Apple-Standardspruch die iCloud-Präsentation im Juni 2011.
Das stimmte und doch fehlte etwas. Das Cloud-Start-up Dropbox, das im Dezember 2007 gegründet wurde, erfreute sich auch unter Apple-Nutzern so großer Beliebtheit, dass es bereits Anfang 2013 100 Mio. Nutzer zählte. Dropbox ergänzte Apple an einer seltsamen Schwachstelle der iCloud: bei der Speicherung von ausgewählten Dokumenten, die Apple bei MobileMe noch in der iDisk abgelegt hatte. Warum konnte man seine sieben Sachen – das angefangene Manuskript, Kundenrechnungen und ein paar Urlaubsbilder – nicht einfach in einem Ordner mit klarer Verzeichnisstruktur speichern? Auch in der Mailverarbeitung machte Dropbox mit dem von ihm übernommen Start-up Mailbox vor, wie State-of-the-Art Internet-Anwendungen funktionierten. Es überrascht daher nicht, dass Dropbox als einer der heißesten Übernahmekandidaten von Apple gehandelt wurde, den Tim Cook vermutlich mit einem Quartalsgewinn bezahlen konnte.
Doch es gab noch mehr Internet-Überflieger aus dem Silicon Valley, die hatten, was Apple nicht hatte. Der Kurznachrichtendienst Twitter, der 2006 von früheren Apple-Mitarbeitern gegründet wurde, wurde immer wieder als ideales Übernahmeziel genannt, um in den boomenden sozialen Medien präsenter zu sein. Apple implementierte den 140-Zeichen-Dienst bereits 2011 tiefer in die neuste Version seines mobilen und regulären Betriebssystems und soll nach Angaben von US-Medien bereit gewesen sein, in Twitter zu investieren, doch der hippe Kurznachrichtendienst brauchte Apples Geld nicht und strebt im November selbst an die Börse.
„Apple muss kein Social Network gehören“, erklärte Tim Cook im Frühjahr 2012 auf der vom Wall Street Journal veranstalteten Technologiekonferenz D10.
„Muss Apple aber ‚social' sein? Ja!“ Das war dem wertvollsten Konzern tatsächlich in der Vergangenheit eher misslungen. Als eine – neben MobileMe und dem Kartendienst Maps – der größten Blamagen gilt der 2010 angekündigte Start des eigenen Musik-Social-Networks Ping. „Stellt Euch Ping einfach als Facebook für die Musikwelt vor“, hatte Jobs den Launch 2010 noch angekündigt. Doch der Flop war grandios: Vom ersten Tag an war Ping eine Totgeburt: Es gab keine Interaktionsmöglichkeit, lediglich die Möglichkeit, einen Song zu „liken“. Doch am Ende trieben sich auch Apple-Fans in einem anderen Social Network herum – Facebook.
Das weltgrößte Social Network, das sich in Überschallgeschwindigkeit zu entwickeln schien, war zur größten Erfolgsstory des Silicon Valley in den vergangenen Jahren avanciert: Facebook war zu so etwas wie dem sozialen Betriebssystem des Internets geworden. Im Oktober 2012 knackte das gerade mal achteinhalb Jahre alte Social Network die 1-Milliarde -Nutzer-Grenze.
Sein nerdiger Gründer Mark Zuckerberg, an dessen Beharrlichkeit Jobs Gefallen gefunden und dem er als Mentor einige Mal zur Seite gestanden hatte, war dabei, das modernste Internet-Unternehmen unserer Zeit zu bauen. Sein Anspruch, die Welt zu „einem offeneren und vernetzterem Ort zu machen“, hatte Facebook vermutlich zur meistgenutzten iPhone und iPad App geführt: Immer öfter sah man Apple-Nutzer versunken in die blaue App auf ihrem iGerät starren. Als „Supermacht des digitalen Lebens“ sah das Hamburger Nachrichtenmagazin Der Spiegel Facebook bereits.
Auch Jobs war durchaus beeindruckt. „Ich habe Steve mal gefragt, wen er im Silicon Valley bewundert“, erzählte Jobs' Biograf Walter Isaacson vergangenen Sommer auf einer Podiumsdiskussion, „und Mark Zuckerbergs Name war er erste, der fiel“. Kein Wunder: Wie auch Jobs kümmerte sich Zuckerberg offenkundig nicht um die Verlockungen des schnellen Geldes und der Wall Street. Er wollte ein Unternehmen aufbauen, das noch nach Jahrzehnten Bestand hatte.
Eine Übernahme-Offerte, die für beide Unternehmen eine Win-Win-Situation darstellen könnte – Apple hätte sein Bargeld für eine wachstumsträchtige Akquisition verwendet, während Zuckerberg auch im fusionierten Unternehmen eine tragende Rolle spielen und vielleicht einmal zum Apple-CEO der Zukunft aufsteigen könnte –, hatte Jobs daher wohl nie forciert. „Facebook ist ein Freund“, beschrieb Jobs' Nachfolger Tim Cook das Verhältnis zum aufstrebenden InternetStar, dem auch immer wieder Ambitionen nachgesagt wurden, ein eigenes Smartphone – das Facebookfon – auf den Markt zu bringen.
So meilenweit Facebook mit seinem symbolischen Gewinn von 53 Mio. $ bei Umsätzen von 5,09 Mrd. $ im vergangenen Fiskaljahr noch davon entfernt war, sich geschäftlich in so geordneten Bahnen wie Apple zu bewegen, so faszinierte es die Technologiebranche und Anleger doch mit den Zukunftsperspektiven des Internet-Überfliegers. In gewisser Weise glich Facebook dem jungen Apple der frühen 80er-Jahre, das mit seinem selbstbewussten Gründer an die Börse gestürmt war und mutig die Welt zu verändern schien.
„Es spricht vieles dafür, dass Apple die beste Zeit bald hinter sich hat und dass sich in den nächsten Jahren ein anderer Akteur an die Spitze setzen wird: Facebook“, verkündete Der Spiegel im Dezember 2011 allen Ernstes komplett verfrüht den Generationswechsel. Off sah Apple 37 Jahre nach seiner Gründung unterdessen wie ein Dinosaurier der Techbranche aus und befand sich knapp zwei Jahre nach dem Tod seines Gründers unter dem spröden Tim Cook in einer Identitätskrise. Hatte Apple das scheinbar unvermeidliche Schicksal der Zyklik bereits erreicht?