Zum Verhältnis von theoretischen Überlegungen und Transkriptanalyse
Als Teilnehmerin der Tagung „‚Was ist Unterricht?' Zur Konstitution einer pädagogischen Form“ habe ich mich an der Diskussion des Transkripts einer Schulstunde beteiligt, das von den Initiatoren und Referenten der Tagung für die Analyse ausgewählt wurde. Ich gehe davon aus, dass in der Schulpädagogik und Allgemeinen Didaktik nicht ohne theoretische Hintergrundannahmen über Unterricht nachgedacht wird. Es liegen Theorien über Unterricht als System von wertfreien, gültigen und generalisierbaren Aussagen vor, die sowohl theoretisch-konzeptionell und empirisch geprüft werden können (vgl. Kiper und Mischke 2004; 2006; Wellenreuther 2004; Klauer und Leutner 2007). Wenn ich mich mit einem Transkript einer Schulstunde auseinander setze, so geschieht das unter Rückgriff auf die in der Begriffslandkarte der Integrativen Didaktik dargelegten Kategorien (vgl. Kiper und Mischke 2004). Ich frage, ob sie für die Analyse eines Falles (Transkript einer Stunde) herangezogen werden können resp. ob ich anhand einer transkribierten Unterrichtsstunde neue Kategorien gewinnen kann, die die vorgelegten unterrichtstheoretischen Überlegungen ergänzen und erweitern bzw. dazu herausfordern, die vorgestellten Überlegungen zu verwerfen. Ich gehe nicht davon aus, allein aus empirischen Materialien wie einem Transkript oder aus mehreren Transkripten, eine Theorie entwickeln zu können. Jedoch kann die Beobachtung, Aufzeichnung, Transkription und Analyse von Unterricht dazu verhelfen, die Wahrnehmung zu schärfen und Theorien zu überprüfen. Die vorgelegten theoretischen Überlegungen können ihr Potential (oder auch ihre begrenzte Aussagekraft) zeigen, wenn auf sie bei der Analyse zurückgegriffen wird.
Beobachtungen in der Schulstunde, Aufzeichnungen von Schulstunden und Transkripte und meine Auseinandersetzung mit ihnen sollen also nicht dazu verhelfen, eine Theorie zu entwickeln, sondern ich befrage ein Transkript als Aufzeichnung einer Schulstunde unter der Perspektive, ob in diesem Unterricht gelehrt wird und/ oder – durch geeignete Arrangements – gelernt wird bzw. gelernt werden kann. Die Analyse eines Transkripts kann dazu verhelfen, die Passung von Lehrangebot und Vorwissen der Schüler und die Qualität der Lehrund Lernhandlungen im Prozess zu erkennen. Es ist möglich, die Qualität der Auseinandersetzung mit Sachverhalten zu erschließen. Ebenso ist es möglich herauszufinden, ob die Unterrichtsstunde vor allem darin besteht, miteinander (in bestimmten Rollen) Zeit zu verbringen oder ob Lernhandlungen ermöglicht wurden (vgl. auch Kiper 2012, S. 134ff). Mit Rückblick auf die Unterrichtstheorie kann anschließend geprüft werden, ob sie trägt oder ob Kategorien fehlen und ergänzt werden müssen. Mit Blick auf normative Setzungen, nämlich dass Unterricht mit Blick auf fachliche Inhalte, geistige Operationen und soziales Miteinander lernwirksam sein soll, kann anhand des Transkripts einer Schulstunde (vorsichtig) geurteilt werden.
Würde man nun eine Vielzahl von Transkripten zur Kenntnis nehmen und analysieren, könnte es gelingen, in eine Auseinandersetzung mit Lehrund Lernprozessen in verschiedenen Schulformen und ihren Bildungsgängen und Unterrichtsfächern einzutreten und zu untersuchen, wie sich die Qualität der ko-konstruktiven Auseinandersetzung mit Sachverhalten unterscheidet und – durch die Analyse kleinster Handlungsmomente im Unterricht – Hinweise für Erfolg oder Misserfolg, Gelingen oder Scheitern gewinnen.