Postmoderne Differenzierungen im Stadtlandhybriden: Revitalisierung, New Urbanism und McMansions

Infolge des Wachsens der Suburbien und der Übernahme zentralörtlicher Funktionen durch Edge-Cities ging ein Niedergang der Kernstädte in den Vereinigten Staaten einher, wofür das Bild des metropolitan Doughnut (z. B. Breckenfeld 1977: 231, Jessen/Mayer 2009) als Sinnbild dient. Der Niedergang der Stadtzentren wiederum wird als räumlicher Ausdruck eines wirtschaftlichen Zyklus gedeutet, bei demWohn- und Geschäftsräume durch langjährige Nutzung einem Filtering-down-Prozess und damit einer ökonomischen Entwertung unterliegen (vgl. Wilson 1987, Krätke 1995, Cuff 2001). Ein Aspekt der räumlichen Konzentration von (insbesondere schwarzer) Armut liegt Wilson (1987) zufolge auch in der Abwanderung schwarzer Mittelschichtangehöriger bei gleichzeitiger Zuwanderung von schwarzen Bevölkerungsteilen mit einer geringen Ausstattung an symbolischem Kapital aus anderen Teilen der Stadt bzw. Agglomeration (Jargowsky/ Bane 1990). Auch die Bemühungen der Stadterneuerungsbewegung (Urban Renewal) der 1950er und 1960er Jahre, die von der Mehrheitskultur mit wohligem Ekel[1] als Slums stigmatisierten citynahen Stadtteile durch moderne und für die soziale Mittelschicht attraktive Bausubstanz zu ersetzen, brachten nicht nur nicht den gewünschten Erfolg einer allgemeinen Reurbanisierung, sondern demaskierte auch das von Stereotypen befrachtete und mittelschichtideologisch geprägte Denken von Politikern und Planern (vgl. auch Gans 1967). Die Urban Renewal-Bewegung zerstörte mit ihren Bemühungen, die Mittelschicht wieder in den Kernstädten anzusiedeln, zudem gewachsene soziale Strukturen in den beseitigten Stadtvierteln, indem sich die Bewohner gezwungen sahen, in anderen prekären Stadtteilen eine Behausung zu finden und damit im unteren Mietpreissegment eine Wohnraumverknappung und steigende Preise herbeiführten (Anderson 1964, Gans 1967, Friedland 1983, Krätke 1995, Holzner 1996, Kotkin 2006, Degen 2008). Darüber hinaus wurden die Abrisse von Gebäuden als physische Manifestationen expertenhafter gesellschaftslandschaftlicher Deutungshoheit der urban renewal-Bewegung vielfach ohne eine sich gebäudlich manifestierende ökonomische Nachnutzug vollzogen, so dass bis heute als Parkplätze zwischengenutzte Flächen in Downtown-Bereichen (Schneider-Sliwa 2005: 165; vgl. auch Jakle 2010) seit den 1950er und 1960er Jahren Zeugnisse dieser physischen Manifestation machtvermittelter expertenhafter Landschaftsdeutungshoheit geworden sind. Eine sich seit den 1980er Jahren in vielen US-amerikanischen Städten (insbesondere in den Städten der Ostküste) vollziehende Gentrifizierung trug weniger zu einer Rückwanderung von Suburbaniten bei, sondern speiste sich überwiegend aus Innenstadtbewohnern, die ihre Wohnraumansprüche ihren steigenden Gehältern anpassten, ohne sich zu suburbanisieren. Auch die Gentrifizierung bedeutete eine weitere Präkerisierung der vormals ansässigen Bevölkerung durch Abdrängung in andere (zumeist) stigmatisierte Stadtteile (Friedland 1983, Dangschat 1997, Mayer 2007, Füller/Marquardt 2010).

Gegenwärtig lassen sich Fisherman (2005, vgl. auch Calthrope/Fulton 2001, Pries 2001, Jessen/Mayer 2009) zufolge in den Vereinigten Staaten jenseits der Gentrifizierung zwei weitere Trends zur Reurbanisierung feststellen: Ein Aspekt des nicht vollständigen Funktionsverlustes innerstädtischer Bereiche ist dabei, dass einige Dienstleistungsbranchen (z. B. Banken und Einzelhandel) infolge von Fühlungsvorteilen nicht vollständig in die Edge-Cities abgewandert sind. Ein wesentlicher Träger der Revitalisierung der Innenstädte sieht Fisherman (2005) in der massiven Zuwanderung aus Lateinamerika und Südostasien. Für diese Einwanderer sind die Downtowns einerseits lediglich Durchgangsstationen, andererseits aber auch vielfach dauerhafter Lebens- und Arbeitsort. Die sich entwickelnden ethnischen Viertel bildeten den Nukleus für eine expandierende und breit gefächerte innerstädtische Ökonomie, die in den 1970er Jahren oft auf niedrigstem Niveau, bisweilen mit dem Obst- und Blumenverkauf vom Handkarren am Straßenrand, startete (Jessen/Mayer 2009: 271). Mit der Investition in die physischen Manifestationen ökonomischer Aktivität (wie innerstädtischer Shopping Malls in historischen oder historisch inszenierten Gebäuden; Conzen 2001b) und der Steigerung der physischen Sicherheit in innerstädtischen Bezirken wird innerstädtisches Wohnen auch für die weiße Mittelschicht wesentliche Träger der Gentrifizierung attraktiver, ein Prozess, der durch Modellprojekte wie Battery Park in New York, rekursiv verkoppelt ist. Diese Trends mindern zwar die Suburbanisierung nicht oder nur unerheblich, doch bedeuten sie eine Vitalisierung der Entwicklung innerstädtischer Bereiche.

Die soziale und ökonomische Postmodernisierung bedeutete eine Differenzierung der Nachfrage nach Wohnraum, die sich neben Gentrifizierungstendenzen in den zentralstädtischen Bereichen auch in der Differenzierung der Angebotspalette der Entwickler suburbaner Siedlungen für unterschiedliche Ausstattungen an ökonomischem wie sozialem und kulturellem Kapital aber auch am Lebensalter äußerte. Wurden bis in die 1980er Jahre weitgehend standardisiert entwickelte suburbane Siedlungen für Familien mit Kindern errichtet, passten sich die Developer (also die Immobilienentwickler) danach sukzessive den Bedürfnissen von Singles, Geschiedenen, Rentnern und EmptyNestern an, so dass im Jahr 2000 lediglich rund 27 Prozent der Haushalte in den Suburbien aus traditionellen Familien mit Kindern bestanden haben (Knox 2005, Harlander 2009, Sherman 2009). Um den unterschiedlichen Bedürfnissen (insbesondere auch der kleinräumigen sozialen Distinktion) gerecht zu werden (bzw. diese zu erzeugen), gehen in diesem Zusammenhang die Developer zunehmend dazu über, innerhalb der von ihnen entwickelten Siedlungen kleinräumige Cluster gleicher Preis-, Grundstücks- und Gebäudegrößenklassen auszuweisen, um auf diese Weise die gewünschte soziale Homogenität und die maximale Werterhaltung bzw. Wertsteigerung der einzelnen Bauparzellen (Harlander 2009: 187; vgl. auch Rapaport 1990) gewährleisten zu können. Für Personen mit überdurchschnittlichem Einkommen werden in solchen Untereinheiten vergleichsweise große Gebäude (280460m2), aber auf relativ kleinen Grundstücken eng beieinander stehend, errichtet. Diese abschätzig McMansions genannten Gebäude weisen in der Regel einen neotraditionalistischen Architekturstil mit Fassaden mit Türmchen, Erkern, Säulen und inszenierten Eingangsbereichen (Harlander 2009: 188) auf und sollen vor allem eines: beeindrucken (Harlander 2009: 188), indem Aspekte des als gesichert geltenden Fundus architektonischer Formensprache über die Dimensionen des Vorbildes hinaus vergrößert werden (ein Vorgehen, das gemäß einer modernen Ästhetik als kitschig bezeichnet werden kann).

Neben dem Versuch der Re-Attraktiviering von Innenstädten für Personen mit einer höheren Ausstattung an symbolischem Kapitel stellt der New Urbanism einen weiteren Versuch der Erzeugung von Urbanität dar. Der New Urbanism ist ein komplexes Planungsparadigma und eine soziale Bewegung, das seit kurzem einen Einfluss auf Planung, Wohnungsbau und öffentliches Bauwesen (Al-Hindi/Till 2001: 189) erhalten hat (genaueres zum New Urbanism siehe Roost 2000, Bodenschatz 2001, Kegler 2002 und 2004, Hayden 2004a, Basten 2005, Weller 2008). Die Anhänger des New Urbanism suchen nach Wegen, wieder soziale Bezüge in den amerikanischen Suburbien zu etablieren (Rojas 2003: 291), die eine stärkere Ausrichtung auf soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit aufweisen als dies in den klassischen Suburbien der Fall war (Ellin 1999, Hindi/Till 2001, Kegler 2004, Basten 2005)[2]. Dabei greifen sie eher auf historische städtische Formen aus Europa und dem Mittelschicht-Amerika des frühen zwanzigsten Jahrhunderts zurück als das heutige Leben auf den Straßen der Viertel der Latinos, Afroamerikaner, Asiaten oder anderer Minderheiten in den Vereinigten Staaten zu betrachten (Rojas 2003: 291; vgl. auch Basten 2005 und 2009), eine Einstellung, die durchaus distinktive wie latent ethnozentristisch-WASPische Züge trägt. Der New Urbanism stellt in Hinsicht auf die Gestaltung der Siedlungen keine absolute Neuerung dar. Er wurzelt in der City-beautiful-Bewegung (als Ausdruck des Progressivismus [3]; so Storper/Scott 2002, zuerst 1989) als visuell-ästhetischer Ansatz der 1890er und 1910er Jahre, wobei insbesondere öffentliche Repräsentativbauten nach ästhetischen Vorstellungen gestaltet wurden, und der zum Ende des 19. Jahrhunderts begonnenen Tradition des Rückgriffs auf wissenschaftliche Erkenntnisse von der Ökologie bis hin zur Architektur, hier insbesondere der Park-Bewegung unter Einfluss von Frederick Law Olmstead (Scott 1969, Zapatka 1995, Pregill/Volkman 1999). Dabei wird dem New Urbanism vorgeworfen, dass er den nostalgischen Impuls bediene, unweigerliche fiktionale (stimmige, widerspruchsfreie) Bilder von Geschichte entwerfe und somit den Eskapismus in eine idealisierte Vergangenheit unterstütze und reproduziere, anstatt eine aktive Auseinandersetzung mit der pluralen Welt der Stadt zu fördern (Basten 2005: 207). Die Simulation von historischer Stadt als gesteigerte Form der Wertschätzung des Historischen im New Urbanism geht so weit, dass andere Prinzipien der Postmoderne (wie Individualisierung, Toleranz) eingeschränkt werden, mit der Folge, dass derNew Urbanism zwar als Ausdrucksform postmoderner Stadtentwicklung bezeichnet werden kann, er jedoch aus normativ-postmoderner Perspektive abgelehnt wird (Dear 2000, Soja 2000, Basten 2005, Kühne 2006a).

  • [1] Dieser wohlige Ekel basiert auf einer semantischen Verdichtung eines moralisierten Armutskonzeptes, die durch die Verräumlichung der Armut eine Verbindung von Topographie und Moral erzeugt, die als moralische Topographie (Steinbrink/Pott 2010) bezeichnet werden kann. Dabei stehen Armut und Slums aus bürgerlicher Perspektive nicht nur für Elend und Siechtum, sondern auch für Erotik, Zügellosigkeit und sexuelle Wildheit (Steinbrink/Pott 2010: 257).
  • [2] In der Kritik an der Suburbanisierung werden (zumeist wohl unbewusst) wesentliche Aspekte der Rosenkranzschen Hässlichkeitsästhetik aktualisiert: Es wird von Amorphie (Gestaltlosigkeit), Asymmetrie (Ungestalt) und Disharmonie (Misseinheit) gesprochen.
  • [3] Der Progressivismus ist eine im 19. Jahrhundert in den Vereinigten Staaten entstandene linksliberale Strömung, die sich als Alternative zum Sozialismus und zum Konservatismus konzipierte. Bekenntnisse zur Freiheit des Individuums und zum freien Markt wurden mit Forderungen nach direkter Demokratie, Kontrolle von Kartellen und Regulierung von Konzernen, Umweltschutzpolitik und dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit verbunden (Rodgers 2000).
 
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