Überblick und kriteriengestützte Beurteilung der Ansätze
Insgesamt sind bei den sieben dargestellten Ansätzen sehr viele Gemein-samkeiten festzustellen, aber auch einige wesentliche Unterschiede. Im ersten Schritt erfolgt eine Übersicht, in der alle Dimensionen aller Ansätze zusammengefasst sind (siehe Tab. 7.1). Im zweiten Schritt werden die verschiedenen Ansätze einer vergleichenden Beurteilung und kritischen Würdigung unterzogen, die in eine zusammenfassende Bewertung mündet.
Die verwendeten dreizehn verschiedenen Dimensionen und Elemente können in ihrer Gesamtheit als wissenschaftlich erarbeiteter, fundierter, zum aktuellen Zeitpunkt (September 2013) gültiger Pool verstanden werden, aus dem die Markenidentität bestehen kann.[1] In der folgenden Abbildung (Abb. 7.1) sind die in den sieben verschiedenen Ansätzen verwendeten Dimensionen und Elemente analysiert, thematisch sortiert und in eine Reihenfolge nach der Häufigkeit ihrer Verwendung gebracht worden.
Für die vergleichende Beurteilung der Ansätze sind Kriterien zu definieren, anhand derer die Beurteilung erfolgt. Als geeignet angesehen werden nach Analyse der einschlägigen Literatur folgende fünf Kriterien: Vollständigkeit der Elemente,
Tab. 7.1 Markenidentitätsmodelle und ihre Elemente. (Quelle: Eigene Darstellung)
Abb. 7.1 Häufigkeit der Markenidentitätselemente in den Modellen. (Quelle: Eigene Darstellung)
Überschneidungsfreiheit, Verzahnung, Vorhandensein einer wertenden Strukturierung der Elemente sowie Praktikabilität des Ansatzes.[2]
Die Vollständigkeit der Elemente kann sowohl in einer rein quantitativen Gesamtbetrachtung als auch in einer sektorspezifischen Betrachtung erfolgen. Bei ersterer ist festzustellen, dass die vier wissenschaftlichen Ansätze von Kapferer, Aaker, Burmann sowie Esch jeweils zehn der 13 möglichen Elementen beinhalten, jedoch mit punktuell unterschiedlichen Inhalten. Bei allen vier Autoren sind Produktattribute, funktionaler Nutzen, emotionaler Nutzen, Markenpersönlichkeit, Markenwerte sowie Markenherkunft vertreten. Kapferer fügt als einziger die Dimension Selbstimage/Selbstprojektion des Markennutzers hinzu, verzichtet jedoch auf das Markenbild und die organisationale Markenkompetenz. Aaker lässt den Kommunikationsstil weg. Burmann bezieht als einziger die Markenvision explizit mit ein, verzichtet dafür auf die Beziehung Marke-Nutzer und das Markenbild. Esch führt den Typischen Benutzer nicht auf. Die Vollständigkeit der Elemente ist bei den vier wissenschaftlichen Ansätzen somit weitestgehend gleich gegeben.[3] Die Praxisansätze umfassen zwischen vier und sieben Elementen; bei ihnen fehlen teilweise Dimensionen und Elemente wie emotionaler Nutzen oder Markenherkunft, die bei allen wissenschaftlichen Autoren einbezogen sind. Fokussiert man bei der Vollständigkeit auf die sektorspezifische Frage, ob sowohl die rationale als auch die emotionale Seite, also beide Hemisphären, angesprochen werden, ist festzustellen, dass bei allen vier wissenschaftlichen Ansätzen die rationalen Aspekte vollständig erfasst werden. Die emotionalen Aspekte werden zwar auch bei allen vier Autoren abgebildet, aber in unterschiedlicher Tiefe und Gewichtung.[4] Bei Eschs Ansatz wird am deutlichsten, dass bewusst Elemente aus beiden Hemisphären erfasst werden sollen. Die drei Praxisansätze bilden nach Einschätzung des Verfassers dieser Arbeit rationale und emotionale Aspekte vollständig ab.
Bei der Analyse der Überschneidungsfreiheit der einzelnen Elemente ist zu konstatieren, dass bei Kapferers Ansatz die Zugänge Selbstreflexion (Bild der Konsumenten vom typischen Markennutzer) und Selbstimage der Kunden (eigene Wunschvorstellung der Kunden bei der Markennutzung) von den Dimensionen Markenpersönlichkeit und Beziehung Marke-Nutzer nicht trennscharf zu unterscheiden sind.[5] Bei Aaker sind die beiden Perspektiven Marke als Produkt und Marke als Symbol nicht völlig überschneidungsfrei.[6] Beim Ansatz von Burmann wie auch bei Eschs Modell erfolgt eine klare Trennung der einzelnen Dimensionen, so dass kaum Überschneidungen auftreten dürften. Die zwei Praxisansätze von McKinsey und Bates sind ebenfalls relativ trennscharf,[7] das Modell von Henrion, Ludlow und Schmidt hingegen weist zwischen Produkte und Dienstleistungen auf der einen und Design auf der anderen Seite sowie zwischen Kultur und Verhalten deutliche Überschneidungspotenziale auf.
Die Verzahnung der einzelnen Dimensionen untereinander erfolgt in den vier wissenschaftlichen Ansätzen relativ unterschiedlich. Kapferer hebt ausdrücklich hervor, dass insbesondere durch die Konzeption seines Ansatzes als Kommunikationsmodell alle sechs Dimensionen miteinander verbunden sind und permanent in wechselseitiger Beziehung stehen.[8] Obwohl der explizite Nachweis, den er dafür bringt, relativ schwach ist, ist seine Aussage insgesamt nachvollziehbar. Bei Aaker ist kein Hinweis zu finden, wie die vier verschiedenen Perspektiven Marke als Produkt, als Organisation, als Person und als Symbol miteinander verzahnt sind. Die Bei Burmanns Ansatz bildet die Markenherkunft das Fundament für die fünf anderen Komponenten. Die Markenleistungen werden vor allem durch die Markenkompetenzen, aber auch die Markenwerte und die Markenpersönlichkeit beeinflusst.[9] Weiter wird erwähnt, dass die Ausgestaltung von Art und Form der Markenleistungen die Wahrnehmung des funktionalen Nutzens und die drei Dimensionen Markenwerte, -persönlichkeit und -vision primär die Wahrnehmung des symbolischen Markennutzens determiniert. Es existiert somit eine teilweise Verzahnung verschiedener Dimensionen miteinander. Esch reklamiert für sein Modell, dass alle fünf Elemente stringent miteinander verzahnt sind und eine innere Logik haben. Die Markenattribute stützen den funktionalen Marken-nutzen; der emotionale Markennutzen wiederum entsteht unter anderem durch die Markentonalität. Das Markenbild schließlich macht die Markenattribute sichtbar und die Tonalität erlebbar. In diesem Modell ist die Verzahnung der Dimensionen weitestgehend gegeben.[10] Bei den Praxismodellen von McKinsey, Henrion, Ludlow und Schmidt sowie Bates besteht die implizite Verzahnung einiger, jedoch nicht aller Elemente.
Kapferer bekräftigt mit seiner Aussage „Building a brand is first of all a matter of defining very clearly, explicitly and publicly what about the brand is non-negotiable
[…]“[11] die hohe Bedeutung einer wertenden Strukturierung der Markenidentität in einen Kern- und einen erweiterten Bereich und berücksichtigt dieses Kriterium explizit, indem das Identitätsprisma in eine übergeordnete, dreistufige Markenpyramide (Markenkern, Markenstil, Markenthemen) einfügt. Er erläutert ferner, dass zwischen Kerneigenschaften (kernel traits), peripheren Eigenschaften (peripheral traits) und out of brand-territory-Eigenschaften unterschieden werden muss und stellt ein relativ einfaches, aber sozialpsychologisch abgesichertes Befragungsverfahren vor, das einen Beitrag leistet, dies herauszufinden.[12]
Aaker verwendet in seinem Ansatz das gut illustrierbare Bild der zwei bis drei Identitätskreise. Die Kernidentität umfasst bei ihm die wichtigsten, zeitlosen Elemente aus zwei bis vier Dimensionen, darunter in jedem Fall die Grundwerte, die unter allen Umständen unverändert beibehalten werden sollen. Er gibt einige wohlmeinende, aber sehr allgemeine Hinweise wie „the core identity should include elements that make the brands both unique and valuable“.[13] Burmann erkennt zwar an, dass eine Aufteilung in essenzielle und akzidenzielle Merkmale der Markenidentität wünschenswert wäre, bemerkt aber, dass es darüber zum Zeitpunkt seiner Ausführungen noch keine wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse gibt: „Eine klare und generalisierbare Abgrenzung zwischen essenziellen und akzidenziellen Merkmalen der Markenidentität ist daher (noch) nicht möglich.“[14] Er verzichtet folgerichtig in seinem Ansatz bewusst auf eine zuordnende Wertung und macht keine Aussagen, welche Komponenten oder Elemente den Kern der Markenidentität ausmachen.[15] Eschs Modell vermittelt bereits durch die optische Gestaltung den Eindruck, dass es mit der Markenkompetenz einen Markenkern gibt. Er betont, dass sich die vier Quadranten Markennutzen, -attribute, -tonalität und -bild um die
Abb. 7.2 Zusammenfassende Bewertung der Markenidentitätsmodelle. (Quelle: Eigene Darstellung)
„Markenkompetenz als Kern der Markenidentität“[16] gruppieren und sie konkret erlebbar machen. Die Praxismodelle wenden die wertende Strukturierung unterschiedlich an. Bei Bates ist ein Markenkern existent, bei McKinsey und Henrion, Ludlow und Schmidt hingegen nicht.
Beim Kriterium Praktikabilität wird der Einschätzung von Esch/Langner/ Rempel gefolgt, die alle wissenschaftlichen Ansätze als grundsätzlich praktikabel einstufen.[17] Die Praxisansätze erfüllen ebenfalls dieses Kriterium.
Die zusammenfassende Darstellung der Beurteilung der sieben Markenidentitätsmodelle anhand der Kriterien ergibt folgende Übersicht (Abb. 7.2):
In einer zusammenfassenden kritischen Würdigung der Ansätze kann resümiert werden, dass Kapferers Modell in seiner Gesamtkonzeption überzeugt und sich als sehr elaborierter, vielschichtiger Ansatz erweist, der kleinere Mängel bei der Überschneidungsfreiheit und der Verzahnung aufweist. Aakers Ansatz scheint insgesamt sehr klar und umfassend, krankt aber unübersehbar an der nicht vorhan-denen Verzahnung und wirkt sehr statisch. Das Modell von Burmann hat die Besonderheit, dass es zum einen als einziges die Markenvision in die Markenidentität integriert und zum anderen das Element Beziehung Marke-Nutzer weglässt. Ferner lehnt es eine Markenkernfestlegung ab. Eschs Modell erweist sich als dasjenige, das die Anforderungen weitestgehend erfüllt.
- [1] Bei der Festlegung der individuellen Markenidentität sollen im konkreten Fall jedoch grundsätzlich aus dem angebotenen Gesamtkatalog nur diejenigen Dimensionen bzw. Elemente herangezogen werden, die notwendig sind für die Formulierung dessen, was die konkrete Marke einzigartig und unterscheidbar von Konkurrenten macht und wofür sie in den Augen der Kunden stehen soll. Aaker/Joachimsthaler betonen in diesem Kontext: „A brand identity is not a tax form that requires an entry on every line […]“ (Aaker und Joachimsthaler 2000, S. 57). Kapferer führt eine Frageliste auf: „Thus, the brand identity will be clearly defined once the following questions are answered: What´s the brand´s particular vision and aim? What makes it different? What need is the brand fulfilling? What is its permanent crusade? What are its value or values? What´s its field of competence? Of legitimacy? What are the signs which make the brand recognisable?“ (Kapferer 2012, S. 150)
- [2] Vgl. Esch et al. (2005, S. 123); Kapferer (2012, S. 246 f.); de Chernatony (2010, S. 61)
- [3] Hier wird der Einschätzung von Esch et al. (2005, S. 123 f.) gefolgt
- [4] Hier wird der Einschätzung von Esch et al. (2005, S. 123 f.) nicht gefolgt
- [5] Insofern wird hier Eschs Kritik gefolgt, vgl. Esch (2012, S. 100). Kapferer sieht dies anders: „Although related, each facet adresses a different dimension of uniqueness“ (Kapferer 2012, S. 164). Hier muss betont werden, dass die Dimension bzw. der Zugang Selbstimage/Selbstprojektion aus-schließlich von Kapferer verwendet wird
- [6] So kann ein Produktdesign Symbolcharakter haben, wie das z. B. bei der Odoloder der Orangina-Flasche der Fall ist, und somit sowohl von der einen wie auch von der anderen Perspektive erfasst werden. Wenn man sich klar für einen Zugang der Erfassung entscheidet, ihn also weder vergisst noch doppelt notiert, fällt nach Auffassung des Verfassers dieser Arbeit die Kritik der nichtvorhandenen Trennschärfe relativ wenig ins Gewicht
- [7] Die vier Dimensionen sind ziemlich klar unterscheidbar, auch die erwähnten intangiblen Assoziationen bzw. intangible Attribute sind gegenüber den emotionalen Nutzen abgrenzbar. Hier wird somit der Kritik von Esch/Langner/Rempel nicht gefolgt, siehe Esch et al. (2005, S. 124 f)
- [8] Kapferer betont: „The content of one echoes that of another“ (Kapferer 2012, S. 163). Esch/ Langner/Rempel sehen dies anders, wie sie überhaupt dieses Kriterium bei keinem Ansatz erfüllt sehen, vgl. Esch et al. (2005, S. 125)
- [9] Vgl. Burmann und Meffert (2005a, S. 58); Blinda (2007, S. 109)
- [10] Siehe die wahrscheinlich nicht ganz unvoreingenommene, aber zutreffende Selbstbeurteilung bei Esch et al. (2005, S. 125)
- [11] Kapferer (2012, S. 247)
- [12] Die einzige Frage an die Probanden lautet: Kann ein neues Produkt, das bestimmte Imageeigenschaften nicht hat, dennoch den Namen der abgefragten Marke tragen? Wenn 70 % und mehr dies bejahen, dann gehört diese Eigenschaft zur Kernidentität, bei einer Zustimmung von 60 bis 70 % ist es eine periphere Eigenschaft, wenn die Zustimmung unter 60 % liegt, gehört diese Eigenschaft nicht zur Markenidentität (vgl. Kapferer 2012, S. 255. und 258 ff.) Er betont aber auch, dass man sich bei der Ermittlung der Kernidentität nicht nur auf subjektive externe Urteile, wenn auch von einer großen Anzahl, leiten lassen darf: „Identity is not a point of view“ (Kapferer 2012, S. 254)
- [13] Aaker (1996, S. 87). Es gibt jedoch etliche Beispiele, die zeigen, dass die Frage, ob ein Element zum Markenkern gehört und niemals verändert werden darf oder zur erweiterten Markenidentität, die im Zeitablauf angepasst werden kann, mit guten Gründen in beide Richtungen beantwortet werden kann. Als solche Beispiele können insbesondere Elemente aus den Perspektiven Marke als Produkt und Marke als Symbol gelten wie der gelbe McDonaldsBogen oder die braune Farbe von Coca-Cola (siehe Esch 2012, S. 100 f.) Über die Zuordnung der Markenpersönlichkeit gibt es in der Literatur unterschiedliche Auffassungen: Kühne und van Rekom et al. ordnen sie dem Markenkern bzw. der brand essence zu vgl. Kühne (2008, S. 155 ff.); van Rekom et al. (2006, S. 114); Becker und von Rosenstiel hingegen grenzen sie explizit vom Markenkern ab, vgl. Becker und von Rosenstiel (2007, S. 197). Kapferer, Aaker, Esch und Lobenstein führen die Markenpersönlichkeit in ihren Marken-identitätsmodellen explizit als eigenständige Dimension auf und suggerieren somit, dass sie nicht zwingend zum Markenkern zuzurechnen ist, aber zugerechnet werden kann vgl. Kapferer (2012, S. 159); Aaker (1996, S. 83); Esch (2012, S. 102 ff.); Lobenstein (2004, S. 212). Aaker bekräftigt: „A brand personality does not often come become a part of the core identity“, Aaker (1996, S. 88)
- [14] Burmann und Meffert (2005a, S. 56). In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Meffert/Burmann in ihrem Modell 2002 eine Kernidentität ausweisen (vgl. Burmann und Meffert 2002, S. 49 ff)
- [15] Vgl. Burmann und Meffert (2005a, S. 56)
- [16] Esch (2012, S. 101)
- [17] Vgl. Esch et al. (2005, S. 125).