Warum sollte die psychische Gesundheit von Mitarbeitern ein Thema für die Berichterstattung von Unternehmen sein?
Im Rahmen ihrer Berichterstattung legen Unternehmen Rechenschaft gegenüber ihren vielfältigen Anspruchsgruppen ab. Gesetzliche Regelungen in Deutschland verpflichten sie hierzu im Hinblick auf finanzielle und wesentliche nichtfinanzielle Informationen – die Auswahl der nichtfinanziellen Informationen ist bislang der Einschätzung der Unternehmen selbst überlassen. Informationen zu ökologischen und sozialen Auswirkungen der Unternehmenstätigkeit sind im Zuge der Nachhaltigkeitsberichterstattung und der zunehmenden Bedeutung einer integrierten Berichterstattung vermehrt Gegenstand der externen Unternehmensberichterstattung. Hierüber informieren Unternehmen bislang weitgehend auf freiwilliger Basis. Wesentliche Berichtspflichten und Reporting-Standards führt die Gesamtpublikation detailliert auf.
Legitimation: Schonender Umgang mit Ressourcen
Anspruchsgruppen bzw. Stakeholder sind nach Definition des Prüfungsstandards AccountAbility 1.000 solche Individuen, Gruppen von Individuen oder Organisationen, die Aktivitäten, Produkte oder Leistungen und die dazugehörige Performance einer Organisation beeinflussen und/oder durch diese beeinflusst werden können (vgl. AccountAbility 2008, 24). Die Rechenschaft erfolgt in erster Linie im Hinblick auf die Geschäftstätigkeit der Unternehmen. Haben sich diese zu einer nachhaltigen Unternehmensführung selbst verpflichtet, so sollten sie über gesellschaftlich, ökologisch und ökonomisch relevante Aspekte ihrer Geschäftstätigkeit informieren. Dies beinhaltet insbesondere den schonenden Umgang mit menschlichen und natürlichen Ressourcen und damit eine nachhaltige Nutzung des zur Verfügung gestellten gesellschaftlichen Gesamtkapitals (vgl. Moldaschl 2007, 15 f.). Auf die Bedeutung der Ressource Gesundheit unter gesellschaftlichen Aspekten geht Kap. 4.2 näher ein. Die Information der verschiedenen Anspruchsgruppen erfolgt neben individuellen Dialogformen in der Regel über öffentlich zugängliche Quellen in Form der Berichterstattung der Unternehmen, z. B. durch Geschäfts- und Nachhaltigkeitsberichte, die über die Internetseiten der Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.
Die Themen der Berichterstattung sollten am Informationsinteresse der Stakeholder ausgerichtet sein und somit auf einer Materialitätsanalyse basieren (vgl. Hoffmann 2011, 75 f.). Zu diesem Zweck treten Unternehmen in Dialog mit ihren Anspruchsgruppen und binden diese im Idealfall in ihre Entscheidungsprozesse ein. Ein Stakeholderdialog in dieser Form ist u. a. wesentlich für die Früherkennung von Forderungen und gesellschaftlichen Issues (vgl. Kap. 3) im Rahmen eines strategischen Issue-Managements und dient der Risikominimierung und damit der Verbesserung des Risikomanagements (vgl. Bauernfeind 2007, 36 ff.). Kommunikation mit und Einbindung von Anspruchsgruppen sowie eine transparente Darstellung wesentlicher Sachverhalte im Zusammenhang mit der Geschäftstätigkeit können die Legitimation von Unternehmen in der Gesellschaft („license to operate“) ebenso wie deren Image verbessern (vgl. Bauernfeind 2007, 34).
Das Thema psychische Gesundheit von Mitarbeitern hat auf Basis der in Kap. 3 dargelegten Definition von unternehmerischen und gesellschaftlichen Issues sowohl potenziellen Einfluss auf die Unternehmensleistung als auch auf die Legitimation von Unternehmen im Sinne ihrer „license to operate“.
Nicht zuletzt durch die in Kap. 2 dargestellte Berichterstattung der Medien steigt der öffentliche Druck auf Unternehmen, sich zu ihrer Verantwortung für die psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter in qualifizierter Form zu äußern. Staatliche Organe und gesellschaftliche Anspruchsgruppen wie im eingangs zitierten Fall das Bundesarbeitsministerium (BMAS) und die IG Metall (vgl. Kap. 2) sehen sich bereits dazu veranlasst, einzugreifen. Die Legimitation der Akteure ist vor allem in Form des BMAS ebenso hoch wie deren Machtpotenzial (vgl. Kap. 3). Die breitere Öffentlichkeit ist v.a. durch die Medienberichterstattung auf das Problem zunehmender psychischer Erkrankungen im Zusammenhang mit der Arbeitswelt aufmerksam geworden. Regulatorische Eingriffe in Form verschärfter Regelungen zum Thema Arbeitsorganisation und Mitarbeitergesundheit stellen bereits in ihrer Ankündigung strategierelevante Ereignisse für Unternehmen dar, da sie potenziellen Einfluss auf die Unternehmensleistung haben. Die in den vorangegangenen Kapiteln dargelegte starke Zunahme psychischer Erkrankungen von Erwerbstätigen, die zwar nicht ausschließlich, jedoch wesentlich auf Belastungsfaktoren des Arbeitsumfelds zurückgeführt werden kann, stellt aufgrund ihrer strategischen Relevanz für Unternehmen sowie ihrer gesellschaftlichen Auswirkungen ein Thema der Berichterstattung für Unternehmen dar.